Bauwerk

„Die universelle Sekunde“
Torben Schønherr - Holstebro (DK) - 1994
„Die universelle Sekunde“, Foto: Rita Weilacher
„Die universelle Sekunde“, Foto: Udo Weilacher

Im Märchengarten

Stets ein wenig reserviert gegen modische Neuerungen aus dem benachbarten Ausland, entwickelten Gartenarchitekten aus Dänemark und eine schlichte, aber kraftvolle und elegante Formensprache.

1. Juli 2001 - Udo Weilacher
Stets ein wenig reserviert gegen modische Neuerungen aus dem benachbarten Ausland, entwickelten Gartenarchitekten aus Dänemark und Schweden wie Gundmund Nyeland Brandt und Carl Theodor Sørensen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine schlichte, aber kraftvolle und elegante Formensprache in Garten und Landschaft, die - ähnlich wie dänisches Design - als zeitlos modern gilt.

Die Natur spielte bei den Schöpfungen der grossen Gartenarchitekten des Nordens eine wichtige Rolle. Vor allem gegen die kräftigen Atlantikwinde, die über das sanft gewellte Jütland und die dänischen Inseln fegen, mussten von jeher mit freiwachsenden oder streng geschnittenen Hecken und Baumgruppen windgeschützte Räume geschaffen werden.

Fast könnte man glauben, der Wind habe die scharfen Ecken und Kanten in den bevorzugt geometrisch konstruierten Gartenplänen der Dänen vollends abgeschliffen und die bekannten stromlinienförmigen Figuren geformt. Wo der Seewind ungebremst angreifen kann, modelliert er tatsächlich bis heute die Silhouetten der Gehölzgruppen zu markanten, manchmal bizarren Gestalten, die wie ruhelose Geister die Landschaft und die Phantasie der Menschen bevölkern.

Das Fragment einer solchen windgeformten Hecke aus Mehlbeerbäumen blieb auch im parkartigen Garten des AMU-Berufsbildungszentrums in Holstebro erhalten und erzählt noch heute ein Stück ursprünglicher Landschaftsgeschichte, obwohl das Areal längst Teil eines ausgedehnten Gewerbegebietes geworden ist und mittlerweile durch einen Lärmschutzdamm von der angrenzenden Umfahrungsstrasse und der freien Landschaft abgeschirmt wird. 1994 erteilte man dem dänischen Landschaftsarchitekten und Poeten Torben Schønherr den Auftrag, den grossen Lärmschutzwall zu begrünen und zwischen den flachen Flügelbauten des neuen Ausbildungszentrums einen pflegeleichten Garten zu schaffen.

Die Bepflanzung des Lärmschutzwalls löste der Landschaftsarchitekt auf traditionell dänische Weise, indem er über den sanft modellierten Hügel eine präzise kniehoch geschnittene, dichte Matte aus Laubgehölzen legte, die mit ihren organisch geschnittenen Rändern von aussen in den Gartenraum hinein greift. Doch damit war der eigentliche Auftrag, einen bedeutungsvollen Ort zu schaffen, noch nicht erfüllt, denn in all seinen Projekten sucht Schønherr nach einer Kombination von Poesie und Garten. «Für mich bestehen Gedichte und Gärten aus dem gleichen Stoff - vom Nichts ins Nichts - und ich liebe diese Verbindung sehr.»

Für Aussenstehende hat es allerdings schon etwas Klischeehaftes an sich, dass der Däne auf seiner Suche nach poetischen Landschaftselementen ausgerechnet auf ein Motiv stiess, das nicht nur in Hans Christian Andersens Märchen, sondern auch in Johan Ludvig Heibergs romantischem dänischen Nationalschauspiel «Elverhøj» von 1828 eine zentrale Rolle spielt: den Elfenhügel, legendärer Sitz des Elfenkönigs mit seinem Gefolge.

In besonderen Nächten, so heisst es, schwebt der Hügel auf Feuersäulen in die Höhe und erlaubt dem Sterblichen einen verlockenden, zuweilen aber verhängnisvollen Blick ins Reich der Elfen, denn wer dieses betritt, kehrt nie wieder zurück. Tatsächlich begegnet man in der dänischen Kulturlandschaft immer wieder oft meterhohen Erdhügeln. Um diese Megalithgräber aus der Frühgeschichte ranken sich zahlreiche Märchen und Legenden.

In Holstebro hat Torben Schønherr einen fünf Meter hohen, exakt geometrisch konstruierten Erdhügel mit einem Durchmesser von 30 Metern erschaffen. Er überzog die archetypische Formation mit einer Rasenhaut und teilte die Erdskulptur mit einem messerscharfen, leicht geneigten Schnitt. Die Schnittfläche verkleidete er mit polierten rötlichen Granitplatten, die in der grünen Rasenlandschaft einen markanten Akzent setzen. Den Grundriss der zweiten Hälfte des Erdhügels markiert ein flacher Wasserspiegel, der über einen kurzen Wasserkanal von einer kleinen, streng gefassten Quelle gespeist wird.

Vor der rötlichen Wand des angeschnittenen Hügels steht in der Wasserfläche die mehrere Meter hohe rostige Cortenstahl-Skulptur des Bildhauers Erik Heide. Wie ein Wächter baut sich die Gestalt vor dem Betrachter auf und verwehrt ihm scheinbar den Eintritt ins Reich der Elfen. Inspiriert von diesem Bild, glaubt man fast, auch in der Reihe der knorrig windgeschliffenen Mehlbeerbäume menschliche Gestalten zu erkennen, die dem Kommando des Wächters gehorchen.

«Die universelle Sekunde» lautet der Titel des Landschaftsprojekts, mit dem Schønherr mitten im sonst so funktional gestalteten Gewerbegebiet auf formal kraftvolle und dennoch fast spielerisch einfache Weise etwas über den Ursprung der Erde und den anfänglichen Stillstand der Zeit ausdrücken will. Erik Heides Skulptur, so beschreibt es ein Begleittext, stehe als Symbol für den Menschen, denn nur der Mensch sei in der Lage, das Konzept des Universellen zu formulieren.
Die archaische Formensprache, der sich der Gestalter im Garten bediente, die unbändige Kraft alter Legenden und der unwiderstehliche Reiz von Hans Christian Andersens Märchen verlocken den Betrachter aber fast zwangsläufig zu ganz anderen Lesarten, und es ist fast so wie beim verbotenen Blick in den erleuchteten Elfenhügel bei Nacht: Weh dem, der sich darin verliert!

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