Bauwerk

Jugendmusikschule
Enric Miralles, Benedetta Tagliabue - Hamburg (D) - 2000
Jugendmusikschule, Foto: Roland Halbe / ARTUR IMAGES
Jugendmusikschule, Foto: Roland Halbe / ARTUR IMAGES

Ein Gebäude mit Rhythmus

Die Jugendmusikschule von Enric Miralles in Hamburg

4. August 2000 - Roman Hollenstein
Understatement ist in Hamburg oberstes Gebot - auch in der Architektur. Ausser entlang der Elbe, wo Otto Steidle 1991 für Gruner + Jahr ein Verlagshaus in Form einer nautischen Hightech- Maschine und kurz darauf William Alsop einen nicht minder technoiden Fährterminal realisierten, gibt sich die Hansestadt diskret: Das gilt auch für die neuen Kontorhäuser an den Kanälen, auf deren Klinkerkuben höchstens mal ein gläserner Dachaufbau tanzt. Doch seit die norddeutsche Metropole im Dreijahresrhythmus ihren Architektursommer feiert, scheint sich allmählich eine baukünstlerische Öffnung anzubahnen. So konnte jüngst im nördlich der Innenstadt gelegenen Nobelviertel Rotherbaum ein Glashaus von Norman Foster eröffnet werden. Es ist aber nicht dieser Bau, der wie ein Silberstreifen am Horizont leuchtet, sondern die nur wenige hundert Meter davon entfernte, im Juni eingeweihte Jugendmusikschule von Enric Miralles und Benedetta Tagliabue. Sie stellt nach dem frühen Tod des 1955 in Barcelona geborenen Meisterarchitekten dessen baukünstlerisches Vermächtnis dar.

Nähert man sich vom starkbefahrenen Mittelweg der Schule, so nimmt man zunächst nur eine Umfassungsmauer wahr, hinter der sich ein kleiner Patio öffnet. Dort sieht man sich dann ganz unvermittelt einem Architekturschauspiel gegenüber, das sich zu einem dekonstruktivistischen Feuerwerk aus einstürzenden Wänden und verkanteten Kuben steigert. Die bald expressionistisch, bald kubistisch anmutende Eingangsfassade aus Glas und bunt bemaltem Stahl erinnert an Miralles Sportpaläste von Valencia und Huesca, die wie geborstene Brücken bedrohlich in den Himmel weisen. Vor der nach Südwesten exponierten Aussenhaut aus Zinkblech und rosa Verputz denkt man hingegen an Bauten von Gehry, mehr aber noch an Raumstrukturen von Tschumi oder Eisenman. Hier wird deutlich, dass Miralles die beiden Formzertrümmerer seit seiner Zeit als Professor in Harvard und an der Columbia University kannte und ihnen viel verdankte. Allerdings verschmolz Miralles die Einflüsse, zu denen sich in Hamburg noch die Backsteintradition gesellte, zu etwas eigenständig Neuem. - Wie Miralles und sein Team auf den parkartigen Ort reagierten und daraus allmählich die eigenwillige Form des Schulhauses extrahierten, konnte man im Juli in einer kleinen, informativen Schau in der Galerie Renate Kammer am Hamburger Münzplatz sehen. Dem traditionsbewussten Katalanen blieb offensichtlich nicht verborgen, dass in einer Stadt wie Hamburg, die einst mit Fritz Schumacher (1869-1947) einen auch auf dem Gebiet des Schulhausbaus bedeutenden Architekten besass, Bauten für den Unterricht immer auch am Bestehenden gemessen werden müssen. So wirken denn die Klassen-, Übungs- und Versammlungsräume bezüglich Grösse, Belichtung und Zugang ganz vertraut - ausser dass sie im Grundriss ab und zu gegen das ungeschriebene Gesetz des rechten Winkels verstossen.

Der Unterschied zu herkömmlichen Schulbauten liegt in der Erschliessung. Diese erfolgt nicht wie bei Schumacher über integrierte Seitengänge, sondern durch eine Architekturlandschaft, die - wie an Mikadostäben aufgeständert - am eigentlichen Schulhaus klebt. Die als Laufstege inszenierten Zugangsplattformen der einzelnen Geschosse sowie die dazwischen vermittelnden Treppen und Rampen sind hinter die zum Patio hin so dramatisch in Erscheinung tretende Membran aus Glas und bunt bemaltem Stahl gesetzt. Was von aussen willkürlich wirkte und mitunter an die aufgerissenen Wände eines Bürohauses erinnerte, macht von innen gesehen plötzlich Sinn. Selten hat man sich in einem Schulhaus so leicht und unbeschwert gefühlt; selten auch konnte das Auge so frei wandern: hier ein Blick auf vorüberziehende Wolken, dort auf ein Stück mit Farn bewachsenen Waldboden und schliesslich auf eine historistische Kirche in warmem Backsteinrot. Allgegenwärtig bleiben dabei als zentrale Themen Rhythmus und Klang: Was Miralles hier geschaffen hat, tönt wie gebaute Musik. Dass dabei nicht alles bis ins Detail völlig überzeugt, dass man bisweilen glaubt, der Architekt zitiere sich selbst, spielt keine Rolle: Denn die Jugendmusikschule ist auch so ein Juwel. Gespannt wartet man daher auf sein Parlamentsgebäude in Edinburg, das nun ohne die leitende Hand des Meisters vollendet werden muss.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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