Bauwerk

Park Jencks
Charles Jencks - Portrack (GB) - 1999
Park Jencks, Foto: Charles Jencks
Park Jencks, Foto: Charles Jencks
Park Jencks, Foto: Charles Jencks
Park Jencks, Foto: Charles Jencks

Eine kosmogene Parklandschaft

Kann ein Garten die Phantasie fesseln und zugleich das dynamische Wesen des expandierenden Universums offenbaren? Charles Jencks, namhafter Architekturtheoretiker und bekennender Postmodernist, ist davon überzeugt: «Künstler und Architekten müssen, wenn sie die neue Welt in ihrer Dynamik und Fruchtbarkeit darstellen wollen, entweder neue Sprachen suchen oder bestehende Sprachen weiterentwickeln. Das Leben der Formen in der Kunst ist das Mass der Kosmogenese. In diesem Sinne ist eine Ästhetik der Kreativität die letzte Instanz des kosmischen Prozesses.»

1. Januar 2000 - Udo Weilacher
Hinter dem Begriff Kosmogenese steht Jencks' Auffassung, dass das Universum, entgegen den traditionellen Modellen von Religion und Wissenschaft, nicht etwa ein präziser Mechanismus sei, sondern ein Prozess, dessen Geschichte durch kreative, überraschende Organisationssprünge geprägt werde. In seinem 1997 erschienenen Buch «The Architecture of the Jumping Universe» erläutert der amerikanische Architekt seine faszinierenden Theorien, die er an renommierten Architekturschulen in England und den USA lehrt.

In der rauhen Hügellandschaft des südschottischen Dumfriesshire verwirklicht Charles Jencks seit etwa zehn Jahren einen aussergewöhnlichen privaten Park, in dem die Erkenntnisse seiner wissenschaftlichen Beschäftigung mit Komplexitätstheorien in Erdformationen, Skulpturen und Gartenmotiven Gestalt annehmen. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1995 wirkte Jencks' Ehefrau Maggie Keswick, renommierte Expertin der Geschichte chinesischer Gartenkunst und Geomantie, nicht nur wesentlich an der Umgestaltung des etwa 120 Hektar grossen Familiensitzes mit, sondern entwickelte zusammen mit ihrem Mann, unterstützt von Wissenschaftern und Künstlern, neue Formen und Metaphern für die Geschichte des Kosmos. So entstand eine eigentümliche Kombination chinesischer Gestaltungselemente mit Motiven der Chaostheorie und der Kosmologie. Die «Symmetry Break Terrace», eine grosszügige Geländeterrasse vor dem Herrenhaus, ist zunächst eine visuelle Metapher für die wichtigsten Organisationssprünge, die das Universum seit seiner Entstehung vollzogen hat: von der Energie zur Materie, zum Leben und schliesslich zum Bewusstsein. Gartenhistorisch ist die Terrasse zudem Teil des «Earth Dragon» chinesischer Tradition und darüber hinaus eine Neuinterpretation des klassischen «Ha-Ha», einer für den Besucher unsichtbaren Geländestufe, mit der schon in den traditionellen englischen Landschaftsgärten der Eindruck erweckt wurde, der Garten ginge grenzenlos in die Wald- und Weidelandschaft über. In Jencks' Garten bilden zwei wellenförmig miteinander verschnittene Stützmauern aus Naturstein dieses raffinierte Grenzelement. Seine Fortsetzung, und damit die Metapher für den letzten Organisationssprung zur Stufe des Bewusstseins, bildet eine geschnittene Eibenhecke, die in weitem Bogen das Herrenhaus auf der Anhöhe umfängt.

Folgt man dem Weg vom Herrenhaus hinab in die breite Talsohle des Flusses Nith, erreicht man den ummauerten «Physics Garden». Diesen Küchengarten, den Maggie Keswick in traditioneller Weise funktional gestaltete, widmet Jencks der menschlichen DNA und den sechs Sinnen. Sechs, nicht fünf, denn er fügt als sechsten Sinn des Menschen die Intuition hinzu und reichert den Garten mit Skulpturen und chiffrierten Sinnsprüchen an. Vier grosse Aluminiumskulpturen versinnbildlichen die DNA-Doppelhelix und repräsentieren den Geschmackssinn, den Gehörsinn, den Tastsinn und eben die Intuition. Der Geruchssinn und das Sehen sind hingegen figürlich als überdimensionale Nase und in Form einer Grotte mit optischen Installationen dargestellt. In den von niedrigen Buchshecken eingefassten Beeten gedeihen Pflanzen, die den jeweiligen Sinn besonders stimulieren. So ist die Skulptur des Tastsinns umgeben von Disteln, Brennnesseln und Eselsohr, während die begehbare Erdmulde um die Nase mit aromatisch duftenden Pflanzen wie Oregano, Lavendel und Thymian bepflanzt ist. Im «Physics Garden» steht weniger die Kultivierung von Küchenkräutern als vielmehr die ästhetische Verarbeitung umfassenden Wissens im Mittelpunkt, und es verwundert nicht, dass Maggie Keswick gelegentlich bei Ian Hamilton Finlay im wenige Stunden entfernten «Little Sparta» zu Gast war.

Wohltuenden Ausgleich zur gestalterischen und konzeptionellen Fülle des «Physics Garden» findet man wenige Schritte weiter zwischen atemberaubend elegant geformten Erdhügeln und grandiosen Wasserflächen. In ihrer Komposition erinnern sie an den klassischen englischen Landschaftsgarten Studley Royal aus dem achtzehnten Jahrhundert. Von der Spitze des etwa 15 Meter hohen «Snail Mound», eines mit Rasen begrünten Erdkegels, geniesst man einen herrlichen Blick in den von Bäumen und Sträuchern gesäumten Landschaftsgarten und die umliegenden Lowlands. Das Pendant zum Schneckenhügel, den man über zwei spiralförmig geführte, in paradoxer Weise manchmal leicht abfallende Wege besteigt, ist der «Snake Mound». Diese über 120 Meter lange s-förmige Erdwelle aus elegant gespannten Erdschleifen fasst räumlich die «Slug Lakes», drei Seen, die wie Himmelsspiegel in der Landschaft liegen. Auch in diesem Teil des Parks verbinden sich auf der Basis der Komplexitätstheorie Elemente klassischer englischer Gartenkunst mit fast extraterrestrisch anmutender Land Art zu hybrider Landschaftsarchitektur, die die Sprache der Gartengestaltung weiterentwickelt und ein neues, dynamisches Weltbild vermittelt.

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