Bauwerk

MPREIS Matrei i. O.
Machné & Durig, Machné Architekten - Matrei (A) - 2004

Ein Hallo aus dem Hang

Wie eine Zunge streckt sich plötzlich eine grüne Plattform von der Straße weg, schleckt die Weite der Natur ab. Die neue M-Preis-Filiale im Osttiroler Matrei. Ein Lokalaugenschein.

7. August 2004 - Wojciech Czaja
Früher hätte man es noch des öfteren mit dem Michelfeit-Logo verwechselt. Ein weißes M auf rotem Hintergrund, der parasitäre Michelfeit-Punkt vom kleinen i machte den einzigen Unterschied. Nein, hier geht es um keine Möbelhaus-Promotion, die Rede ist vom M-Preis. Eine Tiroler Lebensmittelkette, Ursprünge irgendwann in den Zwanzigerjahren, Gründerin Therese Mölk (daher also das M). So weit, so biografisch. Bis sich schließlich eines Tages Architekt Heinz Planatscher eines frei stehenden Neubaus in Sillian annahm - an ein dekonstruktuvistisches Frühwerk Frank O. Gehrys erinnernd - und gleich das neue M-Logo auf einem roten Würfel mit designte. Das war vor über zehn Jahren.

Seitdem expandierte M-Preis mehr und mehr auf bis zu 110 Filialen, punktet größtenteils mit seiner eigenen Logistik (Verzicht auf Warenlager, stattdessen tägliche Frischwaren-Belieferung vom Zentrallager aus), Jahresumsatz 400 Millionen Euro. Wäre da nicht noch die erfrischende Kleinigkeit der Architekturkomponente! Während es gerade im Gewerbe üblich ist, jede einzelne Marktfiliale vom Giebel über die Markise bis zum Türgriff mit corporate-designten Selbstzitaten auszugestalten, ist die Architektur von M-Preis keine Frage der Form, sondern der Positionierung. Geschäftsführer Hansjörg Mölk: „Die Herausforderung besteht darin, den Kunden nicht nur eine attraktive Produktauswahl, sondern auch ein räumliches Erlebnis zu bieten und ihnen den täglichen Einkauf zu verbessern. Gelungene Architektur fördert eindeutig das Wohlbefinden.“

Mittlerweile kann das Unternehmen auf über 20 Architekten zurückblicken, mit denen bisher zusammengearbeitet wurde. Kamen ursprünglich einzig und allein in Tirol ansässige Ziviltechniker zum Zug, wurde mit Dominique Perrault bei der Filiale in Wattens erstmals auch ein ausländischer Architekt beauftragt. International ist mittlerweile nicht nur das primäre Element des Bauens, längst auch schon das sekundäre Element der Rezension: Holzbaupreise, Architekturpreise, Bauherrenpreise, Auszeichnungen und Publikationen en masse. „Es gibt Supermärkte, super Märkte, und es gibt M-Preis“, schreibt in einer Schwerpunkt-Ausgabe das Lifestyle-Magazin „wallpaper“.

„Wenn man noch vor zehn Jahren erklärt hätte, dass einmal Lebensmittelmärkte, noch dazu in einer alpinen Region, Bestandteil eines modernen Architekturtourismus sein werden, wäre man als verrückt oder zumindest als Spaßvogel angesehen worden“, erklärte Friedrich Achleitner einmal in einer Architekturkritik. Wie die Zeit schnell vergeht, heuer ist M-Preis sogar schon Biennale-tauglich. Neben vier Architekturbüros nahm Kuratorin Marta Schreieck - und das ist eine Seltenheit - mit der Tiroler Lebensmittelkette auch einen Bauherrn mit ins Boot. Grund genug, im zeitlichen Voraus, abseits von venezianischem Pomp, Jubel und Trubel auf die neueste M-Preis-Filiale zu blicken. Der Standort: Matrei in Osttirol, der Architekt: Hans-Peter Machné. Die Filiale: in bewährter M-Tradition - wieder anders, wieder neu.

Feldertauernstraße. Rechts steigen die Hänge an, ohne Schnee ist das Bild der dahingleitenden Gondelboxen für unser Tirol-Klischee zu grün, irgendwie skurril. Weit hinter dem hoch gelegenen Sägezahn-Horizont der Bergkette verschwindet die Seilbahn im Nichts. Links ein geböschter Geländesprung, einige Meter darunter beginnt das Virgental. Grüne saftige Wiesen, ab und zu - als wären es grasende Kühe - irgendwelche typisch westösterreichische, mehr oder weniger schöne Holzkisten darin verstreut. Es ist ein ruhiges, aber sehr heterogenes Bild einer von Menschenhand bereits durchmodellierten Landschaft.

Wie eine Zunge streckt sich plötzlich eine grüne Plattform von der Straße weg, schleckt die Weite der Natur ab. Ihre Kanten sind weich, amorph. Da, wo die Zunge in die Straße mündet, schmiegen sich die beiden Kantenenden an die Straße an und kaschieren den Geländesprung. Unter der weit ausladenden Ebene - von Dach kann man hier kaum mehr sprechen - befindet sich das lang gestreckte Lebensmittelgeschäft. Die Fassade springt hinter die Dachkante weit zurück, im Freiraum sind auf diese Weise einige überdachte Parkplätze definiert. „Die fließenden Formen, die übers Eck jedoch kantig ausgeführt sind“, beschreibt Architekt Hans-Peter Machné, „sind Teil des Entwurfs, der im weitesten Sinne mit der Dualität zwischen Landschaft und architektonisch gesetzten Eingriffen spielt.“ Im Klartext: Rein grundrisstechnisch ordnet sich der M-Preis der städtebaulichen Situation unter, übernimmt Ausrichtungen und Achsen. Vom Ambiente her wirkt er aber weniger als Bauwerk denn als weit gerecktes Hallo aus dem Berghang heraus.

In dieser Ambivalenz zwischen Positiv- und Negativarchitektur ergeben sich freilich einige großartige Spielmöglichkeiten, die einem herkömmlichen Hochbau - zumindest konzeptionell - vorenthalten bleiben. Ach so oft spricht man von der berühmten fünften Fassade, vom berühmten Dach, aus dem man häufig mehr herausholen will, als ihm eigentlich innewohnt. Oft genug wurde die fünfte Fassade bereits intellektuell ausgestopft, visualisiert, cool gerendert. Allein, die potenziell Schaulustigen sind meist Vögel und Flugzeuge. Ob das denn dafür steht?

Im Falle von Matrei grenzt an den Supermarkt eine Skiliftstation an, der davon beschlagnahmte Berg steigt steil an, birgt Hänge und Einfamilienhäuser. Der Architekt: „Für die Integration des Bauwerkes in die Landschaft wurde das Dach und dessen Anschluss an die Umgebung in seiner Gestaltung als fünfte Fassade behandelt. Dies umso mehr, da das Dach vom Skilift aus gut einsehbar ist.“ Hier hat Machnés Dachlandschafts-Gestaltung Berechtigung, vor allem aber regt sie neben allem rationellen Background ganz einfach zum Schmunzeln an. Für das Kiesdach wurden zwei verschieden graue Kiesarten verwendet: Die hellere dient als Hintergrund, mit der dunkleren wurde emblemgerecht ein „M“ und ein „Preis“ hineingeschrieben. Eine Werbung XXL für alle Skifahrer und Bergsteiger - clever und erfrischend lustig! Im Winter ist das himmelwärts strebende Bild nicht etwa gesamtheitlich von Schnee bedeckt, sondern kommt als Negativrelief durch korrekt eingepasste Heizschläuche zum Vorschein. Im Angesicht des M-Preises schmilzt also selbst der tiefgefrorene Winterschnee dahin?

Im wahrsten Sinne des Wortes ist die Präsenz ausgereifter Architektur hier zu einem essenziellen Teil der Werbelinie von M-Preis geworden. Architektur als Imageträger, oder wie Machné betont: „Aufgrund der Architekturszene, die sich rund um M-Preis entwickelt hat, findet die Know-how-Weitergabe und der Austausch von Informationen vielfach bereits direkt zwischen den Architekturbüros statt - und jedes Büro versucht einen Schritt weiterzugehen.“ Von der Filiale bis zum Internetauftritt und zum mit Poesie bedruckten Verpackungsmaterial der Feinkostabteilung - hier geht der Gedanke des Interdisziplinären auf. In Matrei ist seit kurzem ein weiterer kleiner, aber feiner Beweis dafür vorzufinden.

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