Bauwerk

Polytechnische Schule
Thomas Forsthuber, Christoph Scheithauer - Mattsee (A)

Schule, neu gedacht

Wer Schule als lebendigen, offenen Teil des Gemeinwesens will, der sollte die Chance nutzen, das auch räumlich auszudrücken. Die Salzburger Gemeinde Mattsee plant ein mutiges Projekt. Und kämpft nun mit der Angst vor der eigenen Courage.

25. September 2004 - Christian Kühn
Die Schule neu denken': Unter diesem Titel hat der deutsche Pädagoge Hartmut von Hentig 1993 seine Reflexionen über das Bildungssystem im zu Ende gehenden 20. Jahrhundert zusammengefasst. Ein Grundgedanke Hentigs ist die Verwandlung der Schule von einem Ort der Belehrung in einen Ort der Erfahrung, an dem die Schüler Selbstbestimmung und Solidarität als gleichermaßen zentrale Werte begreifen lernen. Diese Schule ist keine Aufbewahrungs- und Gleichrichtungsanstalt, sondern lebendiger, offener Teil des Gemeinwesens.

Mit Architektur hat das nicht zwangsläufig etwas zu tun. Auch in einem konventionellen Schulgebäude lassen sich neue Formen des Unterrichts erproben. Aber wer die Schule wirklich neu denken will, wird sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, das auch räumlich auszudrücken. In den 90er-Jahren haben sowohl das Wiener Schulbauprogramm als auch die Schulen, die von der Bundesimmobiliengesellschaft in ganz Österreich errichtet wurden, den Schulbau auf ein neues Niveau gehoben. Wirklich neu gedacht wurde die Schule dabei nur selten, zu sehr bauen die meisten Projekte auf konventionellen Typologien und Betriebsformen auf. Das soll die Leistung nicht schmälern: In seiner regionalen Vielfalt von den Städten bis zu ländlichen Gemeinden ist der österreichische Schulbau auch im internationalen Vergleich durchaus vorbildlich.

Die Schule auch architektonisch neu zu denken, geht allerdings über ästhetische Fragen hinaus. Wenn die Schule wirklich ein integraler Teil des Gemeinwesens werden soll, dann muss sie auch zum Teil des öffentlichen Raums werden, sich mit anderen Nutzungen verbinden und neue Betriebsformen entwickeln. Beispiele dafür sind noch selten. Umso erfreulicher ist es, wenn einmal nicht die Stadt, sondern eine Landgemeinde die Vorreiterrolle für ein solches Experiment einnimmt, wie es die Gemeinde Mattsee gerade mit ihrer neuen Polytechnischen Schule vorhat.

Aus einem Wettbewerb ist hier ein Projekt hervorgegangen, das so gar nicht aussieht wie ein Schulhaus. Im Anschluss an einen bestehenden Turnsaal haben die Architekten Thomas Forsthuber und Christoph Scheithauer drei klar ablesbare Baukörper arrangiert: Ein Sockelgebäude mit Werkstätten, die U-förmig einen Werkhof umschließen; einen quer dazu angeordneten Klassentrakt, der den Weg zum See begleitet; und einen auf Stützen über dem Werkstättensockel schwebenden Körper, in dem ein kleines Jugendzentrum untergebracht ist. Der Klassentrakt wird seitlich von einem verglasten Treppenhaus erschlossen, der als Gelenk- und Verteilerraum auch die Verbindung zum Altbau herstellt. Das Sockelgebäude mit den Werkstätten nutzt geschickt den Geländesprung: Sein Dach ist eine öffentliche begehbare Fläche, die unmittelbar die Straße erweitert. Ein paar Oberlichten für die Werkstätten wachsen als schräge Körper aus dem Asphalt heraus. Dass die Jugendlichen diese Elemente auf vielfältige Art in Gebrauch nehmen werden, ist ganz im Sinne des Architekten.

Kritiker des Projekt stoßen sich daran, dass es nicht nur nicht wie ein Schulhaus aussieht, sondern nicht einmal wie ein Haus. Jugendliche im Alter von 14 bis 16 Jahren, also die wesentlichen zukünftigen Nutzer des Gebäudes, haben damit wohl keine Schwierigkeiten. Sie würden sich wahrscheinlich für viel abseitigere Formen der Schule begeistern: Warum soll man nicht auf einem Schiff in die Schule gehen oder in der Eisenbahn? Das Schulhaus als fest gemauerte, nach außen klar abgegrenzte Institution ist wahrscheinlich für Lehrer und Direktoren ein viel wichtigeres Anliegen, gerade weil die Schule heute derartig unter Druck steht. Diesem Druck versucht das Projekt aber nicht durch Abgrenzung zu begegnen, sondern durch eine fließende Einbindung in den umgebenden öffentlichen Raum, wie sie mit konventionellen Formen gar nicht möglich wäre.

Forsthuber hat bereits in einem anderen Projekt, dem Kinder- und Jugendhaus in Salzburg Liefering - das neben vielen internationalen Auszeichnungen auch den Architekturpreis des Landes Salzburg erhalten hat -, bewiesen, dass ein solches Konzept funktioniert. Auch dieses Haus ist eine große, besteigbare Skulptur mit mehreren Eingängen für unterschiedliche Altersgruppen, die im Inneren ein dichtes Gewebe von Aktions- und Rückzugsräumen anbietet. Die Schule in Mattsee bietet ähnliche Qualitäten in Ergänzung zu all den Funktionen, die von einer polytechnischen Schule erwartet werden. Und so wie das Jugendhaus in Liefering sehr genau auf die Struktur - nicht die Form - der umgebenden städtischen Bebauung reagiert, so reagiert auch das Schulprojekt für Mattsee präzise auf den umgebenden Landschaftsraum. Der Bauplatz bildet mit einer kleinen Allee eine Art von Landschaftsschleuse zwischen dem Seeufer und dem von dort ansteigenden Buchberg. Durch die geschickte Staffelung der Baukörper lässt das Projekt diese Schleuse offen und gibt ihr durch das schwebende Jugendzentrum noch einen besonderen Akzent.

Ob sich die Gemeinde wirklich mit dem Projekt anfreunden kann, ist noch nicht ganz sicher. Obwohl die Jury sich einstimmig dafür ausgesprochen hat, keinen zweiten, sondern nur zwei dritte Preise zu vergeben, hat der Gemeinderat beschlossen, auch diese Projekte nochmals zu einer Präsentation einzuladen. Dass die Gemeindevertreter ein bisschen Angst vor der eigenen Courage bekommen haben, ist nachvollziehbar. Unkonventionelle Lösungen haben immer ein gewisses Konfliktpotenzial. Aber die Erfahrungen, die gerade kleine Gemeinden mit solchen umstrittenen Projekten gemacht haben, sind überwiegend positiv. Gerade weil diese Projekte Diskussionen auslösen und eine Auseinandersetzung der Bürger mit scheinbaren Selbstverständlichkeiten verlangen, steht am Ende die Akzeptanz und oft genug der Stolz darauf, dass man sich zu etwas Neuem entschlossen hat.

Sollte das Projekt noch gestoppt oder klein gekocht werden, wäre das jedenfalls ein schlimmes Signal für die Salzburger Baukultur: Es gab ein anonymes Wettbewerbsverfahren mit einer ausgewogenen Jury, in der neben renommierten Architekten auch Gemeindevertreter und die Schuldirektorin stimmberechtigt waren; die Jury hat einstimmig ein Projekt ausgewählt und zwei andere nur als eindeutig nachrangig auf die Plätze verwiesen. Auch Jurys können sich irren. Aber ein besseres Verfahren zur Einbindung von lokaler Verantwortung und fachlicher Kompetenz hat bis jetzt niemand erfunden. Die Landesregierung, die einen Großteil der Kosten trägt und das Projekt nicht zuletzt wegen seiner architektonischen Qualität für eine baldige Realisierung gereiht hat, trägt hier auch eine Verantwortung für die zukünftige Entwicklung. Wer die engagiertesten Architektinnen und Architekten als Projektanten und Jurymitglieder gewinnen will, muss auch in der Umsetzung Konsequenz beweisen.

Mattsee wird einer der schönsten Orte Salzburgs bleiben, auch wenn es sich ein Bauwerk leistet, das anders aussieht als alles, was bisher am Ort Brauch gewesen ist. Aber es könnte damit ein Signal an seine Jugendlichen aussenden: Das 21. Jahrhundert hat auch bei uns begonnen.

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