Bauwerk

Museum Insel Hombroich
- Neuss (D)
Museum Insel Hombroich, Foto: J. Imbo
Museum Insel Hombroich, Foto: J. Imbo
Museum Insel Hombroich, Foto: J. Imbo
Museum Insel Hombroich, Foto: J. Imbo

Und es fing ganz harmlos an

Zwischen Naturgenuß und spielerischer Erforschung von Räumen: Bei Neuss in Nordrhein-Westfalen entsteht das „MuseumInsel Hombroich“ - Kunstsammlung, Naturpark, Architekturwanderpfad und Kulturlabor. Eine Zwischenbilanz.

28. September 1996 - Walter Zschokke
Venedig am letzten Tag dieses mageren Sommers. Vormittags liegt über den Dächern feuchtkalter Nebel, der die Kuppeln und Türme der Kirchen umfängt. Gegen Mittag schaffen es einige Sonnenstrahlen, den Nebel zu durchdringen, doch am Nachmittag stellt sich, zuerst nieselnd, dann stärker nässend, Regen ein, als Abgesang auf einen Sommer, der nicht groß war.

Im Westen der Lagunenstadt, ausgezeichnet durch den überraschend weiträumigen Campo Santa Margarita, befindet sich das Quartiere dei Carmini, ein Wohngebiet, in dem keine Touristenläden und Speiselokale die Gassen und Kanäle säumen. Am Rio dei Carmini, mit Blick auf den Vorplatz der gleichnamigen Kirche, steht der Palazzo Vendramin, noch geprägt von der Romantik des Zerfalls, der jahrelang den Ruf Venedigs ausmachte. Durchfeuchtete Mauern, fehlende Baluster, brökkelnder Verputz und Taubenkot täuschen die Augen der Laien.

Der Möglichkeitssinn von Architekten sieht hinter diesen vordergründigen Mängeln eine hohe und lange Sala terrena, darüber eine prächtige Halle und daran anschließend Zimmer und Säle mit wechselnder Ausstattung. In ein paar Jahren wird auch dieses Bauwerk erneuert sein, sodaß über die Schönheit der Räumlichkeiten keine Zweifel mehr bestehen werden.

Dieser Tage hat sich in dem Palast eine Ausstellung niedergelassen, die als deutscher Beitrag im Rahmen der 6. Architekturbiennale ein spezifisches kulturelles Unternehmen dokumentiert, das in besonderer Weise in der Tradition des deutschen Idealismus steht. Im Spannungsfeld von Architektur, Skulptur, Landschaftspflege und Kunstpräsentation hat es in den letzten Jahren in kunstinteressierten Kreisen unter dem Namen „Museum Insel Hombroich“ von sich reden gemacht. Dieses Hombroich liegt in der Nähe der alten Mittelstadt Neuss in Niedersachsen.

Es fing ganz harmlos an. Der Kunstsammler Karl-Heinrich Müller kaufte für seine wachsende Sammlung die frühhistoristischen Gebäude eines Gutes, die von der Erft umflossen werden, einem Flüßlein, das sein Wasser in den Rhein trägt. Später erwarb Müller angrenzende landwirtschaftliche Flächen der Erftauen. Der Bildhauer Erwin Heerich von der Kunsthochschule in Düsseldorf, dessen konkrete Skulpturen in der Sammlung vertreten sind, entwarf für den sich entwickelnden Landschaftspark Pavillons in wachsender Zahl, die als Ausstellungsräume dienen und durch ein Netz von Kieswegen erschlossen werden.

Diese Pavillons sind gleichermaßen Räume für Kunst sowie begehbare, konkrete Skulpturen, deren Formfindungsprinzipien meist einfachen Regeln folgen, die aber durch konsequente Reduktion in materialer und proportionaler Hinsicht große Ausdruckskraft erlangen. Die Mauern aus wiederverwendeten Ziegeln sind im Inneren dematerialisierend weiß und glatt verputzt; verzinkter Stahl, Holz und Stegplatten dienen für die Dachkonstruktion. Oft sind es einfache Raumkonzeptionen, die in der Verdichtung größerer Aneinanderfügungen und beim Wechsel außen- innen beziehungsweise innen- außen starke Wirkung erlangen.

Der Pflanzenbewuchs des Landschaftsparks ist mittlerweile recht weit gediehen. Mehrere zehntausend Besucher genießen jährlich den Spaziergang durch die 24 Hektar renaturierter Landschaft und den Blick auf die zu ihrem Gehalt rückgeführte Kunst, die ohne Beschriftung, oft in kühner Gegenüberstellung von Jung und Alt, Fern und Nah auf die Sinne wirken kann. Der Hamburger „Spiegel“ nennt die Anlage ein „Gesamtkunstwerk“ und ein „künstliches Paradies“, und wenn es ums Märchenerzählen ginge, könnten alle Beteiligten glücklich bis an ihr Lebensende dort weiterwerkeln.

Doch der Schritt ins letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts brachte eine neue Konfrontation: Einen knappen Kilometer entfernt befand sich eine obsolet gewordene Raketenstation, die 1994 erworben werden konnte. Diese nun wirklich aktuelle Herausforderung erfaßte die beteiligten Künstler und Architekten. Die vorhandenen Baulichkeiten, Unterkünfte, Hangars und Kommandobüros, wurden zu Ateliers, Wohngebäuden, Werkstätten und einer Veranstaltungshalle umgenutzt.

In der Folge soll hier ein „Kulturlabor“ entstehen. Zu diesem Zweck haben Erwin Heerich und weitere Architekten und Künstler Projekte erarbeitet. Von Alvaro Siza stammt der Entwurf für ein biophysikalisches Institut; Claudio Silvestrin plante ein klosterartiges Seminargebäude; Oliver Kruse und Katsuhito Nishikawa realisierten ein Gästehaus für solitäre Menschen, von dem mehrere Einheiten zu einem größeren Wohn- und Atelierhaus addiert werden sollen.

Tadao Ando projektierte ein Ausstellungsgebäude für klassisch- moderne Kunst der Jahrhundertwende, und von Raimund Abraham liegt der Entwurf für ein Gebäude vor, mit einem Musikstudio sowie Übungs- und Wohnräumen für Musiker und Komponisten.

Die neuinterpretierte Raketenstation soll zu einem Begegnungs-, Arbeits- und Forschungszentrum von Künstlern verschiedener Disziplinen werden. Teilweise begehbare Großskulpturen von Heinz Baumüller, Eduardo Chillida und Katsuhito Nishikawa sollen voraussichtlich errichtet werden.

Sehr vieles, auch sehr Verschiedenes kommt hier zusammen. Das Spannende scheint mir aber die Dialektik des Ortes zu sein, einer Zone, die während Jahrzehnten auf Karten und Luftphotographien inexistent war, ein Unort, abgegrenzt durch Stacheldraht, in der Ebene unsichtbar gemacht durch hohe Erdwälle.

Über die Konzentration künstlerischer und raumschaffender Kräfte kommt es hier zu einer Umdeutung und kulturellen Verdichtung, die mit großer Geschwindigkeit abzulaufen vermag, nachdem nun die Bedrohung entfallen ist.

Natürlich lassen sich für ein derartiges Unternehmen immer Vorläufer und Vergleichsbeispiele finden, seien dies die vom Bayernkönig Ludwig II. beschäftigten Künstler des späten Historismus, die Kolonie auf der Mathildenhöhe in Darmstadt oder die Deutschen Werkstätten in Dresden-Hellerau, das Bauhaus in Weimar und später Dessau oder die Werkstätten auf Burg Giebichenstein.

In fast allen Fällen entstand daraus ein kultureller Knoten, eine Verdichtung oder Akademie im weitesten Sinne, in der Interessierte zu Kunst und Architektur fanden und bereits erfahrene Künstler auch als Lehrer weiter reiften.

Natürlich gibt es in Hombroich Unterschiede in Qualität und Ausdruck, und ein Leben in klösterlicher Abgeschiedenheit werden internationale Künstler nur für einige Tage oder Wochen suchen, um danach wieder in die große Welt zurückzukehren. Dennoch sind die meisten der vorliegenden Entwürfe recht vielversprechend.

Das Faszinierende ist einerseits das Umdeuten von scheinbar wertloser, unnütz gewordener Bausubstanz, die äußerst optimiert aus industriellen Halbfabrikaten zusammengebaut worden war. Andererseits ist es die Beschäftigung der Künstler mit Raum, ob es sich nun um die Arbeit Heinz Baumüllers handelt oder die bereits ansehnliche Reihe von ausgeführten Entwürfen Erwin Heerichs.

Wenn man die Reihe der Bauten im Landschaftspark Insel Hombroich durchgeht und nun die Entwürfe für das Gelände der Raketenstation studiert, läßt sich eine spannende Entwicklung feststellen, die sich vom gebundenen Entwerfen in einem abstrakten Gitter zu lösen beginnt, einerseits den Weg einer seriellen Variation und dichten Aneinanderfügung beschreitet, aber andererseits auch die spezifische Interpretation des Ortes und der Nutzung zum Programmgemacht hat.

Letzteres zeigt sich an dem von Erwin Heerich entworfenen Gebäude zur Unterbringung eines Reliefs von Lucio Fontana: Drei U-Elemente und zwei parallele Scheiben erzeugen einen gegliederten Raum, der von den offenen, einspringenden Ecken sein Licht erhält. Der schmale Zugang bildet den scharf geschnittenen Übergang vom Umraum zum Innenraum.

Auf diese Weise wird ein Erfahrungsraum geschaffen, der Besuchern ein spielerisches Erforschen von Räumen, Raumstimmungen, Licht, Enge und Weite, aber auch der Wirkung von Kunstwerken im und mit dem Raum ermöglicht.

Abgesehen vom Naturgenuß, vom Spazieren an der frischen Luft, sind es die einfachen räumlichen Konstellationen, die Akustik und die Abstraktion dieser Räume, die eine Wahrnehmung mit niedrigem Rauschpegel erlauben. Es mag diese Klarheit sein, die als Faszinosum die Besucher anzieht und diese beruhigt und erholt wieder an ihre Arbeits- und Wohnplätze entläßt.

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