Bauwerk

Dachausbau
silberpfeil-architekten - Wien (A) - 2004

Über der guten Stube

Weltkultur, du liegst mir zu Füßen: Die Bundestheater-Holding in der Wiener Goethestraße hat sich einen Dachausbau de luxe von den Silberpfeil-Architekten realisieren lassen.

21. Mai 2005 - Oliver Elser
Als Otto Wagner ab 1910 seine Pläne für den XXII. Wiener Gemeindebezirk zu Papier brachte, entwickelte er zugleich ein neues Gesellschaftsmodell: Der moderne Mensch lebt in selbst gewählter Anonymität hinter uniformen Fassaden. Die Häuser verraten nichts über ihre Bewohner. Wer in diesem nie verwirklichten Stadtteil eingezogen wäre, der hätte in erster Linie als Bürger gegolten, egal, ob aus der Wohnung zwei, drei oder fünfzehn Fenster nach draußen zeigen. Die Zeit der Stadtpalais, deren Namen für Dynastien bürgen, schien für den damals bereits 69-jährigen Wagner endgültig vorbei zu sein.

Doch als hätte ihm sein Unterbewusstsein geflüstert, was die wahren Träume des Großstadtmenschen sind, zeichnete er eine verführerische Perspektive von seinem Stadtteil, die die Häuser so zeigt, wie nur ein Ballonfahrer sie hätte sehen können. Dieser Blick von oben aber, über die Masse hinweg, brannte sich viel stärker in die Köpfe als das Ideal der Gleichförmigkeit. Wenn schon der Architekt sich gestattet, auf die anderen hinabzublicken, dann kann doch über die modernen Wohnbedürfnisse noch nicht das letzte Wort gefallen sein.

Nur geht, zumindest in Wien, wo hohe Häuser so selten sind, mit der freien Aussicht auf das Treiben der ameisengroßen Mitmenschen eine Exponiertheit einher, die zu gewissen Verrenkungen zwingt. Denn jeder will wissen, wer dort oben wohnt. Doch die armen Reichen wollen zwar die Aussicht genießen, zugleich aber so anonym sein wie die Bewohner von Otto Wagners XXII Bezirk. „Nein, wer hier wohnt, das dürfen wir nicht sagen“, heißt es deswegen bei einem Ortstermin in einem der fünf stählernen Türme, die sich am Rande des Wiener Burggartens vom Gebäude der Theaterservicegesellschaft erheben, als hätte das benachbarte Schmetterlingshaus dort oben eine Reihe von Zweigstellen eröffnet. Das ist schade und auch ein bisschen schizophren, denn die Kollegen von einem österreichischen Wohnmagazin haben sich nicht nur umsehen, sondern auch exklusiv darüber berichten und mit Fotos belegen dürfen, wie jene geheimnisvollen Menschen hausen, die es sich leisten können, die 450 Quadratmeter für circa neun Monate des Jahres leer stehen zu lassen. Es ist ja nicht das einzige Anwesen. Bevor die Gerüchte ins Kraut schießen: Der heimliche Blick auf den Adressaufkleber eines herumliegenden Porsche-Kundenmagazins hat die Identität gelüftet, aber da sie gänzlich außerhalb der Sphäre öffentlichen Interesses liegt (keine Ölscheichs, keine „Seitenblicke“-Präsenz), soll nur so viel verraten werden: Die Leute haben Geschmack. Und sie waren so mutig, sich Architekten anzuvertrauen, die bis dahin über keinerlei Erfahrungen im Luxus-Bereich verfügten. Diesen Mut bewies allerdings schon der Bauherr des Gesamtprojekts, das zwölf Wohnungen mit durchschnittlich 250 Quadratmetern umfasst. Die Bundestheater-Holding, zu der auch die Theaterservicegesellschaft gehört, betrat seinerzeit Neuland in der Verwertung der eigenen Immobilie und riskierte einen europaweit offenen Wettbewerb, aus dem das Architekturbüro Silberpfeil als Sieger hervorging. Die Newcomer erhielten wider die eigenen Prognosen den Auftrag, als Architekten und Generalplaner tätig zu werden.

Zum überzeugenden Verfahren kam ein schlüssiges Konzept hinzu, das die Beißreflexe der Bewahrer des Weltkulturerbes Wiener Innenstadt schon im Ansatz aushebelte: Denn bevor der Nachkriegs-Klassizismus dem Gebäude ein langweiliges, fast flaches Dach verpasst hatte, saßen auf jedem der vorspringenden Gebäudeteile putzige Häubchen, deren Volumen für den Neubau übernommen und in die Sprache von Stahl und Glas übersetzt wurden. Auch die flachen Bauteile zwischen den Türmen erhielten ein Stahlskelett. Hier ist der Bau zweigeschoßig, und nur das obere Stockwerk ragt über die immens hohe Attika des Altbaus heraus. Wer eine der Wohnungen betritt, sieht sich deswegen zunächst um die erhoffte Aussicht betrogen. Erst die obere Ebene gibt den Blick frei, der aber nur aus den Türmen mit ihren zusätzlichen zwei Ebenen wirklich umherschweifen kann.

Dort zeigt sich, warum frühere Generationen nicht auf die Idee gekommen wären, direkt unter dem Dach zu wohnen, es sei denn, man war Künstler, ein armer Schlucker oder beides. Die Sonne schlägt hier so heftig zu, dass nur mit einem aufwändigen Kühlsystem die erwünschte Behaglichkeit hergestellt werden kann. Die filigrane Stahlkonstruktion verschwindet in Teilen unter einer massiven Verkleidung, die Kühlschläuche und sehr viel Dämmung enthält. An den Türmen übernehmen Sonnenschutzlamellen einen Teil dieser Aufgabe, die Restwärme wird von gekühlten Betonböden und einem ausgeklügelten Umluftsystem erledigt.

Der technische Aufwand ist gewaltig, der Kaufpreis von etwa 10.000 Euro pro Quadratmeter ebenfalls, und trotzdem haben die Wohnungen bereits vor der Fertigstellung alle ihre Liebhaber gefunden. Ist ja auch beeindruckend, wie man sich in den Türmen von Plattform zu Plattform allmählich auf Augenhöhe zu den Monumenten der Nachbarschaft emporschraubt. Räumlich sind selbst die kleineren Wohnungen raffiniert, doch wer sich dort oben eine Klippe über Wien erwartet hat, der dürfte enttäuscht sein. Aber man wohnt ja auch nicht am Abgrund zum Moloch von Downtown Manhattan, sondern herausgehoben und dennoch distanziert im Herzen Wiens.

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