Details
- Adresse
- Landsbergerstrasse 1, 3100 St. Pölten, Österreich
- Architektur
- RLP Rüdiger Lainer + Partner (Rüdiger Lainer, Oliver Sterl)
- Mitarbeit Architektur RLP Rüdiger Lainer + Partner
- Oliver Sterl (Projektleitung), Bettina Litschauer, Ulrike Lenger, Klaus Leitner, Julia Zeleny
- Bauherrschaft
- Gebäudeerrichtungs- und Betriebs GmbH
- Tragwerksplanung
- FCP
- Kunst am Bau
- Oskar Putz
- Bauphysik
- Walter Prause
- Haustechnik
- ZFG Projekt GesmbH
- Haustechnik / Elektro
- TB Eipeldauer
- Lichtplanung
- Christian Bartenbach
- Verkehrsplanung
- Erich Lust
- Vermessung
- Schubert Vermessung
- Brandschutz
- TU Wien, IBS - Technisches Büro GmbH
- Fotografie
- Margherita Spiluttini
- Weitere Konsulent:innen
- Farbkonzept: Oskar Putz
- Funktion
- Büro und Verwaltung
- Wettbewerb
- 2001
- Planung
- 2002
- Ausführung
- 2003 - 2006
- Grundstücksfläche
- 38.000 m²
- Bruttogeschossfläche
- 15.000 m²
- Nutzfläche
- 9.000 m²
Preise und Auszeichnungen
Publikationen
Theresia Hauenfels, Elke Krasny: Architekturlandschaft Niederösterreich, Mostviertel, Hrsg. ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2007.
ORTE. Architektur in Niederösterreich II. 1997-2007, Hrsg. Marcus Nitschke, Walter Zschokke, SpringerWienNewYork, Wien 2006.
Archfoto
Presseschau
Feuerwerk der Raumlust
Keine Glasfassade und doch ein Bürohaus. Dafür von einer räumlichen Differnziertheit, die ihresgleichen sucht: das neue Zentralgebäude der Witschaftskammer in St. Pölten.
Wenn man die Quartiere im Süden des historischen Stadtkerns von St. Pölten aus der Automo bilistenperspektive beurteilt, die sich beim Fahren auf der Mariazeller Straße bietet, kommen sie sicher schlecht weg. Dringt man allerdings zu Fuß oder mit dem Rad in das Gebiet zwischen der mehrspurigen Autostraße und der Traisen vor, stellt man überrascht fest, dass dieses Stadterweiterungsgebiet aus dem 19. Jahrhundert mit dem zeittypischen Schachbrettraster wesentlich mehr zu bieten hat, als man St. Pölten gemeinhin zutraut.
Mit der Josefstraße, die von dort, wo die Linzer Straße den ehemaligen Mauerring verlässt, geradewegs nach Süden strebt, verfügt das Quartier über ein in einigen Zonen durchaus lebendiges städtebauliches Rückgrat. An der nahezu zwei Kilometer langen Strecke finden sich unter anderem zwei Kirchen, mehrere Schulen und eine qualitätsvolle, urbane Wohnanlage aus den späten 1920er-Jahren von Rudolf Wondracek, einem leider viel zu wenig bekannten und geschätzten St. Pöltener Architekten dieser Zeit. Die Josefstraße endet an der Kreuzung mit der Landsbergerstraße in einem Kreisverkehr. Bis vor wenigen Jahren stand nahebei das fernwirksame Wifi-Hochhaus von Karl Schwanzer. Seine bauplastische Qualität machte es zu einem städtebaulichen Merkzeichen, und in St. Pölten war es sicher einsames Hauptwerk dieser Ära. Eine extreme Minimalisierung der Räume und die konstruktive Unveränderbarkeit des Stahlbetons verhinderten jedoch die weitere Nutzung unter heutigen Erfordernissen, weshalb der Abbruch unabwendbar wurde.
Das neue Zentralgebäude der Wirtschaftskammer, das nun auf dem Grundstück steht, ist zwar kein Hochhaus, aber seine architektonische Qualität kompensiert den Verlust in hohem Maß. Das Projekt von Rüdiger Lainer, der noch bei Schwanzer an der Technischen Universität Wien studiert hatte, gewann den 2001 ausgelobten Wettbewerb. 2003 war Baubeginn, Ende 2005 wurden die Büros bezogen.
Auf den ersten Blick wirkt das lange Gebäude mit der mehrmals flach geknickten Fassade und dem nach Südosten wegstrebenden kürzeren Gebäudeflügel nicht wie ein typisches Bürohaus. Es verfügt nicht über die übliche Glasfassade und schon gar nicht über die heute beliebte doppelte Ausführung. Vielmehr handelt es sich eindeutig um einen Massivbau. Städtebaulich liegt das Bauwerk im nördlichen Zwickel von Landsbergerstraße und Josefstraße, wobei der lange, sich in Nordsüd-Richtung erstreckende Baukörper zum Verkehrskreisel im Süden in zwei Flügel aufgespreizt ist. Diese Anordnung und Gliederung betont das einzelne, große Objekt, was städtebaulich mit den benachbarten Wohnanlagen korrespondiert. Doch von diesen unterscheidet es sich mit einer lebendig bewegten großen Form.
Aus dem massiven Körper sind überdies an unregelmäßig verteilten Stellen der Fassade und an den Ecken loggienartig Volumen herausgeschnitten. Bauplastisch relativieren sie die Strenge des großen Körpers; funktional dienen diese Außenräume für kurze Arbeitspausen im Freien, wohl mehrheitlich zum Rauchen. Die außen aufgesetzten Fenster scheinen auf den ersten Blick auch unregelmäßig verteilt angeordnet, die vermeintliche Zufallsverteilung folgt jedoch exakten geometrischen Regeln, sodass die Anschlüsse der Bürotrennwände problemlos möglich sind. Diese bewusst gestaltete Zufälligkeit vermeidet eine Untergliederung der Fassade, lässt sie flächiger wirken und stärkt die große, ganzheitliche Form.
Im Erdgeschoß durchstößt die lange Eingangshalle den Baukörper ziemlich schräg in Fortsetzung der Vorfahrt. Nach dem häuschenartig gerahmten Windfang gelangt man in eine zwei Geschoße hohe Raumzone, wo das Empfangspult steht. Ein Steg, der den Raum quer überspannt, bildet eine kleine Zäsur, bevor man in den sechs Geschoße hohen, mit Glas überdeckten Lichthof hinaufblickt. Allein das Betreten des Gebäudes folgt somit einer räumlichen Dramaturgie, die einiges an starken Wirkungen bereithält.
Im Grundriss reihen sich die Büros entlang den Fassaden. Die Mittelzonen sind jeweils keilförmig aufgespreizt und enthalten zwischen zwei Gängen Neben- und Archivräume. Von dieser Art streben drei Flügel - wie bei einem Y - vom noch weiter auseinander gespannten mittleren Drittel des Baukörpers weg, wo der lange Lichthof mit unregelmäßigen Raumbegrenzungen seine autonome Kraft entfaltet. Rundherum ziehen sich die Erschließungsgalerien für die Büros. Sie sind da und dort etwas ausgeweitet, sodass flache Raumnischen zu einem kurzen Verweilen und zu spontanen Gesprächen einladen.
Die Gänge werden nie besonders lang, ohne dass sie von einer innen verglasten Loggia oder einer kleinen Ausweitung unterbrochen werden, und dort, wo die zwei Gänge eines Gebäudeflügels im spitzen Winkel wieder aufeinander treffen, weitet sich der Raum zur kleinen Ganghalle, in der Begegnungen weniger beengt ablaufen können. Nun wird man sich fragen, ob vor lauter Individualität nicht etwa die Orientierung verloren geht. Aber darüber braucht man sich bei der klaren Struktur der drei Gebäudeflügel und dem übersichtlichen Lichthof keine Sorgen zu machen. Zurechtfinden ist nicht schwer, und Identität geht vor kalter Funktionalität. Denn die Vielfalt und Differenziertheit dieser allgemeinen Räume zeugt von außerordentlicher Raumlust, der Freude, unterschiedlichste Räume und Raumzonen zu generieren und den darin Arbeitenden zur neugierigen und interpretierenden Benutzung anzubieten. Erste Anklänge zu dieser Art Raumfeuerwerk finden sich schon in Rüdiger Lainers frühen Wohnbauten. Die freie Form des Lichthofs wurde von ihm auch in der Mall des Kinocenters bei den Gasometern ausprobiert, aber hier in der Wirtschaftskammer ist die Form strengeren Gesetzen unterworfen und die Farbigkeit zurückgenommen.
Ob dieses neuartige Bürogebäude wohnlich ist im Sinne eines Wohngebäudes, ist zu bezweifeln, denn wohnlich sind dort meist die privaten Räume, hier sind es vor allem die allgemeinen Räume. Eher ist es wohnlich im Sinne eines Stadtkerns mit Gässchen, Höfen, Ausblicken und Durchblicken. Denn die Gänge dienen nicht bloß einer nüchternen Verbindungsfunktion, sondern bieten immer wieder Orte für kurzes Aufhalten an, wie wir dies beim Flanieren durch eine Stadt kennen und genießen.
Gewiss lässt sich so ein großes Haus mit nur einem Haupt- und vielleicht einem Nebeneingang sowie mehreren Fluchtstiegenpforten nicht mit dem offenen System einer Kleinstadt gleichsetzen. Dennoch weist es viel mehr Freiheitsgrade auf als gar manches langweilig durchfunktionalisiertes Bürohaus und ist gerade deshalb vorbildlich. Aber Vorsicht beim Abkupfern, architektonisch so locker Räume bilden und kombinieren, dahinter aber eine Ordnung wahren, das muss man können. Rüdiger Lainer und sein Team haben dies in St. Pölten jedenfalls meisterlich vorgeführt.
Gute-Laune-Mehrwert
Wirtschaftskammer? Das klingt nach gestärktem Hemd und ernster Miene. Doch mit dem eben fertig gestellten Neubau in St. Pölten entlockt uns Rüdiger Lainer ein breites Lächeln.
Zugegeben, beim Wort Wirtschaftskammer verfällt man nicht sofort in lustvolle Schwärmerei. Die zur institutionellen Macht gehörigen physischen Hüllen, der üppige Bürokraten-Barock, die hässlichen Waschbetonfassaden und die absurden, achteckig labyrinthischen Grundrissen motivieren keine positiveren Gedanken. .
Nun, was geschehen ist, ist geschehen - ein Grund mehr, es heute besser zu machen. Im unbeirrbaren Kanon prächtiger Stahl-Glas-Architektur wird daher investiert, entwickelt und gemanagt, was das Zeug hält. Kräftig werkelt man an der - heutigen - Vorstellung von Zukunft und verstreut in der Landschaft ein Büromonster nach dem anderen. Immergleich stolze Exponate einer Gegenwartsarchitektur, die ihre jeweilige Existenz besser rechtfertigen wollen als die inzwischen viel propagierten Bausünden der 70er-Jahre. Ein weit gestecktes Ziel.
Man kann aber auch einen Schritt weiter denken. Man kann beispielsweise so weit denken, dass man mit dem Enthusiasmus von heute nicht nur das Grauen von morgen vorproduziert - das ist eine gewisse Weitsicht, deren Lorbeeren - wohlgemerkt - erst nach reifer Zeit geerntet werden können. So ein zukunftsträchtiges Ding in der Landschaft, das kurz vor der Fertigstellung steht, ist die neue Niederösterreichische Wirtschaftskammer in St. Pölten, Resultat eines zweistufigen Wettbewerbs von 2002, Architekten sind Rüdiger Lainer + Partner.
In einem Monat startet der Umzug in die neuen Räumlichkeiten, Ende des Jahres wird der Standortwechsel vollzogen sein. Dann wird die Wiener Herrengasse nur noch leer stehender Zeitzeuge einer viel zu lang gehegten Nabelschnur zur Wiener Mutterbrust sein.
Wie auch immer, gut Ding braucht eben ein wenig Weile. Wenn alles gut geht, könnte der voreilig holprige Stadtslogan „St. Pölten - mitten in Europa“ eines Tages auch mehr einbeziehen als einzig und allein ein vermeintlich geografisches Faktum.
„Keine weitere Tintenburg“, so Rüdiger Lainer, und es bewahrheitet sich sehr bald. Direkt im Anschluss an das bestehende WIFI im Süden St. Pöltens, mittels Glassteg an die Bauteile von Karl Schwanzer und Günther Domenig angedockt, ist die neue Wirtschaftskammer der extrovertierte Abschluss eines großen Wirtschaftskomplexes.
Selten verspürt man so viel gute Laune, wenn man vor einem Büroneubau steht. Doch dieses Bauwerk lächelt einen nahezu an, als hätte es eine Geschichte mitzuteilen. Und irgendwann grinst man dann zurück: Nach einem Farbkonzept von Oskar Putz steht die WKNÖ ziemlich rot da, es ist ein Zeichen kühnen Humors, eine finanztechnisch so behaftete Farbe an die Fassade zu pinseln.
Irgendwo Fenster, in jedem Geschoß anders, in jedem Geschoß versetzt. Leicht erhaben treten sie aus der grob verputzten Fassade heraus und schweben davor wie eine eingeglaste Fotografie vor einer Ausstellungswand. „Eigentlich sind spiegelnde Fassaden ja entsetzlich“, gesteht sich Lainer ein, „doch vor diesem Hintergrund musste es ganz einfach bildhaft werden.“ Emaillierte Quadrate, jedes davon drei Quadratmeter groß.
Gerhard Richter hat einmal für das Deutsche Guggenheim Museum die Auftragsarbeit „Acht Grau“ angefertigt, grau emaillierte Glastafeln, die nichts anderes wiedergeben als das Spiegelbild im Auge des Betrachters. Die Architektur antwortet: „Nein, die Fenster sind kein direktes Zitat an Richters Arbeiten, denn das wäre vermessen. Aber es stimmt, wir haben uns von ihm durchaus inspirieren lassen.“
Irgendwo zwischen diesen Glastafeln tummeln sich in der Fassade große Loggien, die als orangene Löcher aus dem zackigen Ding ausgestanzt sind. Eckig, unregelmäßig, gelungenermaßen tatsächlich sehr zufällig, so als träumte der Architekt von der Quadratur des Emmentalers. Konsequenterweise haben Rüdiger Lainer und sein Partner Oliver Sterl - kraft geplanten Zufalls - dabei nicht einmal den unwahrscheinlichen Fall ausgeschlossen, in dem zwei orthogonale Käselöcher durch Berührung schließlich zusammenwachsen. Blob.
Doch rein in den Käselaib, denn schließlich besteht ein Büroalltag aus mehr als nur Fassaden-Sightseeing. „Man wohnt auch im Büro“, so die Architekten, „wie ist es denn in Wirklichkeit? Wir verbringen mehr Zeit im Büro als zu Hause.“ Diese überstündliche Unsitte ist in diesem Falle aber kein Graus. Haben die rund 250 Mitarbeiter das inszenierte Nadelöhr namens Eingang erst einmal hinter sich, eröffnet sich nach wenigen Schritten eine Weite, die dem Gebäude von außen gar nicht anzusehen war.
Ein überschwängliches Atrium bis unters Glasdach, von oben dringt Tageslicht in den Schlund der unteren Geschoße. Alles in strahlendes Weiß getaucht, die massiv geschwungenen Brüstungen tanzen unregelmäßig von Stockwerk zu Stockwerk. Irgendwie erweckt es den Anschein, dass man sich den Innenraum des New Yorker Guggenheim Museums für hiesige Zwecke ein wenig eigen gemacht hat, es ist sozusagen ein lang, lang gedehnter Frank Lloyd Wright auf der Streckbank der Architekturgeschichte.
Keine drückenden Raumhöhen, kein verächtliches Warten in den zu engen Gängen einer thrombosegeplagten Behörde. Stattdessen Licht und Luft, gelegentlich sogar ein schluchtenübergreifendes Hallo zum Kollegen aus der anderen Etage. Oder auch Mahlzeit - schließlich ist man unter Beamten. Hauptsache, man sieht sich also.
Und was noch erfreulicher ist: Man sieht auch Wasser, Sträucher und immer wieder das eine oder andere kleine Bäumchen. Denn der Luftraum, der alle Ebenen miteinander verbindet, tut nicht nur dem Überblick und der Kommunikation gut, er ist vor allem auch ein mikroklimatischer Clou. Eine Wasserebene am Boden des Atriums und großzügige vereinzelte Pflanzentröge schaffen den Spagat zwischen psychologischem und klimatischem Wohlbefinden, ohne großes Zutun kann sich die Luft 24 Stunden lang regenerieren. Fehlen eigentlich nur noch die Tiere. Das ist - ausgehend von Architekt und Auftraggeber - ein Tribut ans menschliche Wohlbefinden, der einem so reinrassig selten über den Weg läuft. Meist sind es nämlich genau diese Spompanadeln, die unterm abgedrehten Geldhahn jämmerlich verdursten müssen.
Doch Grünzeug gibt es nicht nur im Innenraum - nun endlich kommen die Emmentaler-Löcher ins Spiel. Immer wieder tauchen an unerwarteter Stelle die Loggien auf, einmal eingeschoßig, einmal zweigeschoßig, einmal flächig, einmal übers Eck. Im Sonnenlicht strahlt das knallige Orange der Fassadenlöcher bis ins weiße Atrium hinein, bald werden auch die grün wuchernden Sträucher die Freiräume (und Raucherbalkone) unverkennbar kennzeichnen. Im Sommer wird sich hier der Qualm der gerauchten Zigaretten niederlassen, im Winter der Schnee. Es ist der Austritt ins Freie, es ist der Respekt einer arbeitenden Person gegenüber.
Die rationale Frage nach dem Bedarf wird gar nicht erst ins Spiel gebracht, denn sie ist längst schon beantwortet. Aus tiefster Überzeugung ein Büro mit Mehrwert - und nicht die Bausünde von morgen. Ein Plus an Qualität? Ein so oft postuliertes und so selten eingelöstes Sprücherl in der großen Architektenwelt, dabei würd's so einfach gehen.