Bauwerk

´Barcode-House´
MVRDV, Stadler + Partner - München (D) - 2005

Neun Hüllen für ein Haus

Neun Gebäudestreifen, mal schmaler, mal breiter, mal kalt und hart, mal warm und weich, direkt aneinander liegend oder mit einigen Metern Abstand voneinander, silbrig glänzend, in kräftigem Rot, mattem Schwarz oder aus edlem Holz: Das »Barcode-House« in München hat viele Gesichter.

2. Januar 2006 - Klaus Meyer
Barcode-House? Dem unbefangenen Passanten gibt sich das Gebäude kaum als solches zu erkennen. Von der Straße aus sieht er nicht viel mehr als eine silbrig glänzende Wand, besprenkelt mit schwarzen Tupfen. Eine weiche Wand bei näherer Betrachtung, in der die schwarzen Hartplastikknöpfe versinken wie Noppen in einem Polstermöbel. Was soll das sein? Ein Verpackungskunstwerk? Die Hommage eines architekturbeflissenen Chesterfield-Sofaliebhabers an das Objekt seiner Begierde? Bildeten nicht schmale Fugen in der Silberwand die Kontur eines Garagentores, man stünde vor einem Rätsel. So aber fühlt man sich ermutigt, nach einem Eingang zu suchen. An die Silberwand schließt sich links ein hoher, aus rohen Brettern dicht gefügter Zaun an, in den eine Gartenpforte eingepasst ist. Erst wer hier Einlass findet, sieht klarer.Zwei Kuben mit einem Freiraum dazwischen bilden zusammen einen langen Riegel, der sich nach Süden in den Garten erstreckt. So schlicht die Form, so kunterbunt und vielgestaltig präsentiert sich die Fassade. Silber, Rot und Schwarz, Glas, Stahl, Holz und Kunststoff, hermetisch-geschlossene und transluzente Abschnitte, schmale und breite Partien, verspielte und strenge Wandgliederungen: Zusammen ergibt das ein Streifenmuster, das an die computerlesbare Signatur erinnert, die wir von Lebensmittelpackungen kennen. Zum Garten hin offenbart es sich, das Barcode-House.

Hintergrund

Der Mitte 2005 fertig gestellte Komplex, der sich – grob gesagt – aus einem Wohnhaus und einem Atelierhaus mit Garage zusammensetzt, steht in Solln, einem grünen Münchner Stadtteil mit gepflegten Straßen, Häusern und Bürgern. Im Sommer 2004 wurde mit dem Bau begonnen, die Planungen reichen jedoch bis ins Jahr 2001 zurück. Die Bauherrschaft, ein Paar mit Kindern, hatte sich nach dem Erwerb des Grundstücks eingehend mit dem Projekt auseinander gesetzt und ein detailliertes Briefing für die Architekten entwickelt. Vor allem bestand der Wunsch, ökologisch sauber zu bauen. Arbeiten und Wohnen galt es zu trennen, die Küche sollte das Herzstück des Wohnbereichs werden, gleichwertige Kinderzimmer waren einzuplanen und im Bürotrakt wollte man multifunktionale, loftartige Räume haben.Mehrere Architektenteams wurden um erste Ideen gebeten. Wirklich überzeugt hat die Bauherren der Entwurf von MVRDV. »Viele Entwürfe waren rein ästhetisch geprägt« erläutern die Bauherren. »Die Leute von MVRDV brachten eine wirklich konzeptionelle Idee. Gemeinsam mit Jacob van Rijs und den Architekten von Stadler und Partner haben wir das Konzept der Enfilade dann derart weiterentwickelt, dass es unseren Anforderungen entspricht«.

Die aus Massivholzmauern konstruierten Boxen des Wohn- und Ateliergebäudes wurden in insgesamt neun Häuser unterteilt, ihnen wurde jeweils eine bestimmte Funktion zugeordnet. Park-, Treppen-, Service- und Lofthaus folgen im nördlichen Kubus aufeinander, nach dem luftigen Zwischenglied des Patiohauses beschließen im südlichen Block Kinder-, Treppen-, Eltern- und Wohnhaus die Enfilade. Jede Einheit hat ihren eigenen, auf die Funktion zugeschnittenen Grundriss, jede ist innen wie außen durch eine eigene Materialität gekennzeichnet. »An manchen Stellen«, so die Bauherren, »fühlt sich das Haus wie eine Villa an, an anderen wie ein Industrieloft oder eine Kindertagesstätte.« Die Hülle jedes Abschnitts sollte auf die jeweilige Nutzung anspielen. Nicht zuletzt deshalb wurde die Fassadengestaltung heiß diskutiert. Die Architekten von MVRDV, ihre Kollegen vom Münchner Büro Stadler und Partner, aber auch die Bauherren fahndeten bis kurz vor Baubeginn nach dem optimalen Material. Jacob van Rijs spricht deshalb von »demokratischem Fassadendesign«.Hüllen Der Fassadenaufbau ist in allen Partien weitgehend identisch. Auf die massive Holzwand folgt eine Weichfaserdämmschicht, die durch Windpapier geschützt wird. Die darauf angebrachte Lattung dient als Hinterlüftungsebene und Träger der Hülle. Im südlichen Abschnitt, dem Wohnhaus, ist das eine Haut aus Rimex-Edelstahl – ein für Bedachungen und Außenwandverkleidungen vielfach erprobtes Material. Spiegelglatt wünschten sich die Bauherren die Fassade zunächst. Dies hätte allerdings sehr starke Lichtreflexionen impliziert. Daher entschieden sie sich für eine mit einem geprägten Karo-Muster versehene Oberfläche, die das einfallende Sonnenlicht vielfach bricht und so die Blendwirkung minimiert.Das anschließende Elternhaus ist mit massivem Zebrano-Holz verkleidet – und zwar nicht nur außen, sondern auch innen. Die erstaunliche Gleichmäßigkeit des charakteristischen braun-gelben Streifenmusters rührt daher, dass die Bretter aus einem einzigen Baum geschnitten wurden. Auf der Westseite öffnet sich die im Erdgeschoss befindliche Küche vollständig zum Garten: In einen Stahlrahmen ist hier ein geschosshohes und die gesamte Raumbreite einnehmendes Tor-Fenster eingepasst, dass sich motorgetrieben liften lässt.

Zwischen Eltern- und Kinderhaus vermittelt das Treppenhaus, vor dessen Glasfassade ein Verschattungssystem aus Aluminium-Lamellen angebracht ist. Das rote Kinderhaus bildet mit seinen wulstigen Fensterrahmen einen kräftigen Akzent innerhalb der Barcode-Struktur. Die Hülle besteht aus sorgsam verspachtelten OSB-Platten, auf die vor Ort eine hauchdünne Polyurethanschicht gespritzt wurde. Dieser, in der Betonsanierung häufig eingesetzte Kunststoff ist äußerst witterungsbeständig und langlebig, eignet sich daher im Prinzip hervorragend für den Einsatz bei Hausfassaden. Da er extrem schnell aushärtet, erfordert die Verarbeitung allerdings das handwerkliche Geschick eines Spezialisten. – In ähnlicher Weise wie beim Barcode-House hat MVRDV das Material übrigens beim Thonik Studio (Amsterdam, 2001) eingesetzt. – Ebenfalls mit Kunststoff, diesmal mit orange eingefärbten Polycarbonatplatten, wurde das Lofthaus ummantelt. Das üblicherweise für Fabrikhallenfassaden verwendete Sandwich-Material wird in Planken geliefert, die einfach ineinander gesteckt werden. Sehr schön wirkt die transluzente Hülle, wo sie ohne jede Kaschierung als Balkonbrüstung eingesetzt ist. Wo sie dicht auf der Wand aufliegt, zeichnet sich unter ihr die Bedruckung der Windfolie ab, was manch einer als störend empfinden oder aber als Zeichen materialgerechter Baukultur schätzen kann. Ganz in Schwarz präsentiert sich die Trespa-Fassade des anschließenden Servicehauses – wenigstens wenn alle Schotten dicht sind. Die bündig zur Außenwand eingesetzten Türen und Fensterläden mit ihren schmalen Fugen heben hier jegliche Fassadengliederung auf und vermitteln den Eindruck eines monolithischen Blocks. Einsichten, wenn auch nur schattenhafte, gewährt dagegen das Treppenhaus, das mit einer Hülle aus satiniertem Glas ausgestattet ist.Bleibt die Silberwand des Parkhauses, eine mit Schaumstoff unterfütterte und mit schwarzen Tellerhaltern am Untergrund befestigte Lkw-Plane. Eine wahrhaft experimentelle Lösung, die naturgemäß gewisse Risiken birgt: »Ein Schnitt mit einem scharfen Messer, und schon klafft da ein Schlitz«, sagt Jacob van Rijs. Wenn die Fassade auch kaum vor Vandalismus gefeit ist, so scheint sie immerhin der Witterung hinreichend lange standzuhalten. Zehn Jahre Garantie gibt der Hersteller. »Was dann passiert, weiß kein Mensch«, sagen die Bauherren. Dem gegenwärtigen Lebensgefühl einen adäquaten Ausdruck zu verschaffen war ihm wichtiger als für die Ewigkeit zu bauen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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