Bauwerk

Gemeindehaus
Daniel Truniger, Andreas Müller - Jona (CH) - 1999

„Steinernes Jona“

Das neue Gemeindehaus der Architekten Truniger und Müller

6. Februar 1999 - Roderick Hönig
Noch bevor Jona und Rapperswil Fusionsgedanken hegten, schrieb die Aufsteigergemeinde am Obersee einen Wettbewerb für ein neues Gemeindehaus aus. Gewonnen haben die beiden jungen Zürcher Architekten Daniel Truniger und Andreas Müller mit einem strengen Entwurf für ein schnörkelloses Stadtpalais. Das nun fertiggestellte Erstlingswerk der Architekten erzählt nicht nur die Geschichte eines städtischen Hauses an einem unstädtischen Ort, es verrät auch einiges über ein Meister-Schüler-Verhältnis.

Hö. Wer das Zentrum von Jona sucht, sucht vergeblich. Die Gemeinde am Obersee ist ein unförmiger Vorstadtgürtel, der sich um das schöne Rapperswil schnürt und der 1973 nur wegen seines schnellen Wachstums zur Stadt erklärt wurde. Wer mit dem Zug nach Jona fährt, steigt bei einem Bahnhof aus, den man eher als Haltestelle bezeichnen sollte. Auf der einen Seite liegt freies Feld, auf der andern Seite deutet ein Häuserverbund auf so etwas wie einen Ort. Man läuft durch die lose Ansammlung von Bauten, bis einen an der Kreuzung plötzlich doch ein Gefühl von Zentrum überkommt. Denn dort, wo sich das Flüsschen Jona und die verkehrsreiche Hauptstrasse treffen, steht nun ein stattliches Haus aus graugrünem Stein.

Das neue Gemeindehaus zieht unweigerlich die staunenden Blicke der Passanten und Autofahrer auf sich und tut selbstbewusst kund: «Schaut, hier ist die Mitte von Jona!» Dieser unschweizerische Bau ist ein eindrückliches Hôtel de Ville, das einen mit seinen französischen Fenstern an klassizistische Stadtpaläste in Mailand oder Paris erinnert. Die strenge Rasterfassade hüllt das Gebäude rundherum ein, und nur wenige Ausnahmen brechen die Regelmässigkeit der Aussenhaut. Das viergeschossige Haus ist nach klassischer Manier in Sockel, Mittelteil und Dach unterteilt. Es herrscht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Fenster und Stein, was dem Bau eine elegante Note verleiht. Das karge Einheitskleid unterstreicht aber auch die Autorität, die das Haus ausstrahlt. Schnell wird einem klar: Das Gebäude ist nicht irgendein Haus, sondern das Prunkstück einer selbstbewussten Gemeinde.

Weit herum sichtbar

Die Entscheidung, einen in sich abgeschlossenen, freistehenden Solitärbau an der vielbefahrenen Kreuzung zu errichten, war richtig. Die Architekten haben erkannt, dass eine Stadtreparatur wenn überhaupt, nur durch ein eigenständiges, weit herum sichtbares Zeichen möglich ist. Denn wo keine einheitliche Baustruktur vorhanden ist, können Planer auch keine weiterstricken. Oder anders herum: Wieso soll sich der Architekt mit seinem Bau bei einer unkoordiniert gewachsenen Häuseransammlung anbiedern? So steht das neue Gemeindehaus Jona an der Stelle des alten und kümmert sich um seine direkte Umgebung wenig. Es ist ein kompakter Baukörper, der sich neben Kirche, Schulhaus und Tagungs- bzw. Gemeindeversammlungszentrum gut behauptet. Mit dem Bau des Gemeindehauses entsteht zwar noch keine bauliche Mitte, wie wir sie von mittelalterlichen Stadtkernen her kennen, doch die starke Präsenz des neuen Baus vermittelt ein deutliches Gefühl von Zentrum.

Betritt man den Bau, ist die Überraschung gross: Das Innere des Gemeindehauses ist eine hölzerne Höhle. Vergessen ist die schwere Sandsteinfassade, hier ist alles in warmes Eichentäfer gehüllt. Eine luftige Halle ist der Kern des Baus. Um sie herum reihen sich die aussenliegenden Büros auf. Die Halle ist aber eigentlich keine Halle, sondern vielmehr eine Abfolge von Foyers auf drei Ebenen: Über eine breite Defiliertreppe steigt man vom zweigeschossigen Entrée, über welches das Einwohneramt, die Schulgemeinde und der Polizeiposten zu erreichen sind, ins hohe, wiederum doppelgeschossige Hauptfoyer im ersten Obergeschoss. Darin öffnet ein riesiges, fast rahmenloses, quadratisches Fenster den weiten Blick auf die Landschaft und die Kirche. Von hier aus führt eine weitere, schmalere Treppe zur dritten und letzten Station der Raumabfolge. Der Besucher landet im nunmehr eingeschossigen Vorraum im dritten Stock, wo auf der Nordseite ein breites Panoramafenster einen exakten Ausschnitt aus der Dachlandschaft Jonas sticht. Ständiger Begleiter dieser Promenade architecturale ist der hellgraue Valser Quarzit, der sich als Bodenbelag vom Sockelbereich der Fassade durch das ganze Haus bis unters Dach zieht.

Die strenge Säulenabfolge, welche das Haus von aussen bestimmt, charakterisiert auch die drei grosszügigen und hellen Innenräume. Hinter den breiten, holzummantelten Stützen, die den Innenraum begrenzen, liegen die diskreten Erschliessungsgänge für die Angestellten. Sie verbinden die aussenliegenden Büros miteinander. Im Dachgeschoss sind dann noch das Bauamt, ein grosses Sitzungszimmer und die Cafeteria untergebracht. Diese Etage ist zwar abgetrennt von der Halle, aber nicht weniger öffentlich. Die Büros im vierten Geschoss sind nur über das zweite, rückseitige Treppenhaus oder den Lift erreichbar. Die eindrückliche und schöne Halle wirft aber auch eine kritische Frage auf: Für wen ist dieser luxuriöse Innenraum gedacht? Das Gemeindehaus Jona will zwar ein Haus für Besucher sein, doch eignet sich der Raum weder als Veranstaltungsort, noch kann man sich vorstellen, dass er Treffpunkt der Gemeinde wird. Die meisten Besucher werden ihr Gemeindehaus nur betreten, wenn sie beispielsweise ihren Pass verlängern wollen. Vielleicht hätte man die Cafeteria, die nun in der obersten Etage versteckt und nur für Personal geöffnet ist, in die Halle mit dem grossen Fenster im ersten Stock legen sollen. So gäbe es allenfalls auch einen Anreiz, diesen öffentlichen Innenraum beispielsweise in Verbindung mit einer Ausstellung zu betreten.

Das Meisterstück

Ein pikantes Detail fällt in Jona vielleicht vor allem Fachleuten auf: Das stattliche Gemeindehaus weist deutlich Parallelen zu einer Architektursprache auf, die derzeit den Wiederaufbau Berlins beherrscht: Unter dem Schlagwort «Kritische Rekonstruktion» wird dort mit Neubauten an neuralgischen Punkten einem Stadtbild aus der Gründerzeit Leben eingehaucht. Die unverkennbaren Neubauten im «steinernen Berlin» orientieren sich an der klassizistischen Formensprache der Häuser aus der Jahrhundertwende. Federführend in dieser hitzigen städtebaulichen Diskussion um die Art des Wiederaufbaus Berlins, die auch weit über die Grenzen der deutschen Metropole geführt wird, ist unter anderem der international bekannte Architekt Hans Kollhoff. Der Berliner vertritt seine traditionalistische Architekturauffassung auch seit vielen Jahren als Professor für Entwurf an der Architekturabteilung der ETH Zürich.

Die jungen Architekten Andreas Müller und Daniel Truniger haben während ihrer Ausbildung an der ETH beide bei Hans Kollhoff studiert. Obwohl die beiden Gestalter ungern mit ihrem Lehrer in Verbindung gebracht werden, ist die Ähnlichkeit mit der umstrittenen Formensprache ihres ehemaligen Professors augenfällig. Doch mit ihrem Erstlingswerk ist den ehemaligen Kollhoff- Studenten nun ein sorgfältig detailliertes und konsequent zu Ende gedachtes Meisterstück gelungen, das den eindrücklichen Bauten ihres Lehrers in keiner Weise nachsteht. Daneben macht der stattliche Bau aus Jona zwar noch keine Stadt, doch vermittelt er der gesichtslosen Gemeinde immerhin einen wichtigen Orientierungspunkt und ein deutliches Gefühl von Mitte.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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