Bauwerk

Altenpflegeheim
Johann Obermoser - Zams (A) - 1996
Altenpflegeheim, Foto: Klomfar & Sengmüller

Japanische Meditation in Tirol

Mit Skepsis wurde die transparente Gebäudeschachtel in Zams-Schönwies anfänglich betrachtet. Mittlerweile sind alle Beteiligten froh, daß Johann Obermosers Altenpflegeheim sich der verkitschten Gemütlichkeit strikt verweigert, in der „Senioren“ sich angeb

30. August 1997 - Liesbeth Waechter-Böhm
Die Kulisse ist spektakulär, die Gegend ist ländlich: Mitten in einem Tal in den Tiroler Bergen liegt Zams- Schönwies. Architektonisch ist man mit dem üblichen Einerlei konfrontiert, mit einer wuchernden Satteldach-Wirklichkeit, die sich unmerklich die Hänge hinaufschleicht, und Nachkriegsbauten der ausnahmslos eher gewöhnlichen Art; es ist alles da: Dorfkirche, Schipiste, Eislaufplatz - eben alles, was ins Bilderbuch der Tiroler Bergwelt immer schon gepaßt hat.

Und dann, unvermittelt, ein neuer Ton, ein anderes Bild: Es hat die Anmutung einer kühlen, gläsernen Schachtel, steht mitten auf der grünen Wiese und läßt auf Anhieb keinen Schluß darauf zu, was drinnen Sache ist.

Tatsächlich ist es ein Haus für alte Leute, für Pflegefälle aus der unmittelbaren Umgebung. Und es fügt sich mit seiner architektonischen Sprache in eine Gesamtentwicklung ein, die erfreulicherweise darauf abzielt, mit all diesen längst überholten Vorstellungen von einer verkitschten Gemütlichkeit aufzuräumen, die es angeblich braucht, damit sich „Senioren“ wohl fühlen. Klaus Kada hat in der Steiermark ein Altenpflegeheim gebaut, das ebenfalls eine solche Sprache spricht; in Vorarlberg finden sich gleich mehrere Häuser dieser Art - etwa von Gohm & Hiessberger, von Rainer Köberl, von Noldin & Noldin.

Das Haus wurde auf der grünen Wiese errichtet. Unweit davon verläuft ein Bahndamm, der allernächste Nachbar ist ein Kindergarten. Städtebaulich hat sich der Innsbrucker Architekt Johann Obermoser auf diesen Nachbarn ausdrücklich bezogen. Denn seine L-förmige Bebauung, die einen grünen Freiraum definiert, nimmt zwar im Sockelgeschoß die Achse der Grundstücksgrenze auf, in den zwei vorspringenden Geschoßen darüber folgt sie hingegen der Baulinie des Kindergartens.

Das hat eine gewisse Verdrehung des Baukörpers in sich zur Folge. Aber gerade die stellt sich als raffinierte Maßnahme heraus: Denn Obermoser hat in den beiden Wohngeschoßen an der Außenseite seines Hauses einen Wintergarten geplant, der sich durch diese Verdrehung von einer Gangbreite von 1,50 Metern auf 4,50 Meter erweitert und so von einer bloßen Erschließung zum vielfältig nutzbaren Aufenthalts- und Kommunikationsraum mutiert. Im Knickpunkt dieses Raums, wo der zweite Schenkel des L mehr oder weniger im rechten Winkel ansetzt, sind jeweils die Schwesternstationen situiert, dann geht es weiter und schließlich über eine Freitreppe hinaus ins Grüne.

Nach außen also: eine Glasschachtel für alte Leute, die sich zwar mit Hilfe von Lamellenjalousien auch vollständig verschließen läßt - aber immerhin. Die vorsichtige Skepsis des Bauherrn kann man verstehen: So viel nüchternes, „kaltes“ Glas für Senioren mitten in einer kleinen ländlichen Gemeinde in Tirol? Er hat das Projekt des Architekten letztlich aber doch und praktisch sogar unverändert akzeptiert, worüber jetzt alle Beteiligten froh sind. Denn was bleibt, wenn für jemanden nur noch das Altenpflegeheim bleibt? Helle, freundliche, angenehme Wohn- und Aufenthaltsräume, eine sinnvoll organisierte Differenzierung zwischen Individual- und Gemeinschaftsbereichen, überschaubare, für die alten Leute auch leistbare Wegführungen und - die Möglichkeit des Beobachtens, was „draußen“ geschieht, die Sichtbeziehung zum Ort, wo man früher gelebt hat.

Johann Obermoser ist auf diese Vorgaben städtebaulich mit viel Bedacht eingegangen, sodaß sein Haus durch vielfältige Blickbezüge in den Ort, in die vertraute Umgebung einbezogen ist. Der Ausblick auf die Berge ist sowieso überwältigend; auf den Hängen kann man die grasenden Kühe beobachten, im Winter sieht man das Treiben auf der Schipiste; im Tal den vorbeifahrenden Zug; man kann hinüber zur Dorfkirche und zum Eislaufplatz schauen; und unmittelbar vor Augen hat man den Kindergarten, dessen Gelände an den Freibereich des Altenpflegeheims direkt angrenzt, wenn auch, ein Dorn im Auge des Architekten, durch einen Zaun davon abgetrennt. - Von der Nutzung her ist das Haus so organisiert: Im Sockelgeschoß sind die Verwaltungsräume, die Küche und Gemeinschaftsbereiche wie Speisesaal und Café. Wobei das Personal einen separaten Eingang benützt, der an der Schmalseite des L Richtung Kindergarten liegt. Ebenfalls im Erdgeschoß: die öffentliche Bibliothek, die relativ zentral situiert und durch Glaswände zwar abgetrennt, aber trotzdem gut einsehbar ist, sodaß sich auch hier die Möglichkeit des Beobachtens bietet und die Verbindung zum „wirklichen“ Leben aufrecht bleibt.

Die Haupttreppe liegt zwischen Speisesaal und Café und ist fast wie ein Schnitt durch das Gebäude aufgefaßt. Es gibt natürlich auch einen behindertengerechten Lift, aber der wurde ein wenig versteckt, einfach um die alten Leute zum Treppensteigen - als Bewegungstherapie - zu motivieren.

Sie können von hier aus einen Rundumweg absolvieren: hinauf in den Wintergarten, den Wintergarten entlang, wieder hinaus ins Freie und über den grünen Hof und die Terrasse zurück ins Haus.

Die Fassade an der Innenseite des L hat Obermoser beinahe kontrapunktisch zur gläsernen Außenhaut gelöst. Denn hier liefert er mit einer Holzriegelbauweise jene „Wärme“ nach, die man im Zusammenhang mit Senioren so gern einfordert.

Die Bewohner kommen über die Haupttreppe und den Wintergarten zu ihren Zimmern, die sehr großzügig dimensioniert sind, Balkon oder französische Fenster haben und so konzipiert sind, daß das Bett sowohl hinten im Raum als auch vorne beim Fenster stehen kann. Im Fall der Bettlägrigkeit eines Bewohners wird sich diese Voraussicht bewähren. Es sind durchwegs Einzelzimmer, einige davon sogar mit eigenem Küchenblock, wobei aber alle doppelt installiert sind, sodaß im Notfall auch zwei Leute in einem solchen Raum untergebracht werden können.

Obermoser hatte das Privileg, die Einrichtung weitgehend selbst zu entwerfen. Das macht sich in den Zimmern sehr wohltuend bemerkbar, weil es dadurch praktische, kleine Raffinessen gibt, die das Leben erleichtern - von der Lösung des Schuhschranks bis zur schwenkbaren Lampe, die auch sehr unterschiedlichen Plazierungen des Bettes gerecht wird. Im Wintergarten stößt man zum Beispiel auf einzelne „Möbelobjekte“, die sehr viel können: Sie enthalten auch ausklappbare Paraventelemente, mit denen sich quasi temporäre Räume bilden lassen, etwa für ein individuelles kleines Fest. - Der Architekt hat sein besonderes Augenmerk auf die Lichtführung gerichtet. Zu allen Tageszeiten fällt direkt oder indirekt Sonnenlicht ein, es kommt zu reizvollen Schattenspielen an Decken und Wänden. Und im Wintergarten soll mit stündlich regulierten Spiegeln sogar noch eine Art „Sonnenuhr“ installiert werden.

Natürlich braucht ein Altenpflegeheim auch Therapieräume, einen Bewegungsraum. Diese Einrichtungen hat Johann Obermoser in einem eigenen kleinen Baukörper untergebracht, einem schwungvoll gerundeten, beinahe organisch geformten Element, das unter den zweiten, teilweise aufgeständerten Schenkel des L geschoben ist. Architektonisch ist das eine sehr reizvolle Lösung, weil sie Spannung in die ansonsten so schlichte Gebäudeschachtel bringt. Und innenräumlich ist dieser kleine Baukörper auch sehr schön: Er schaut weitgehend nach Süden, hat eine opake Glashaut, die durch außenliegende Screens beschattbar ist, und liefert atmosphärisch einfach etwas Besonderes mit.

Deswegen wurde in diesem Baukörper zusätzlich auch noch ein Meditationsraum - keine Kapelle - untergebracht, ein Bereich, in dem es nichts gibt als die aufschiebbaren Tafeln eines Kunstwerks und zwei schmale, spartanische Bänke. Wenn man hier sitzt, kann man das Kunstwerk studieren - es thematisiert die Geschichte des Ortes - , man kann aber auch hinausschauen, hinüber zum anderen Trakt des Pflegeheims oder einfach nur auf den Freibereich unmittelbar vor dem Pavillon.

Die Gestaltung dieses Freibereichs, der ja unter dem einen Wohntrakt liegt, war ein gewisses Problem. Solche Resträume können ganz schnell zu etwas Unangenehmem verkommen. Dem hat eine Künstlerin etwas entgegenzusetzen gewußt: Denn vor dem Meditationsraum gibt es eine gewissermaßen „japanisierende“ künstlerische Arbeit mit Wasser, Sand, Steinen und Pflanzen, die sehr stimmungsvoll ist.

Abgesehen von der überzeugenden räumlichen Organisation besticht an diesem Altenpflegeheim vor allem auch die rigorose materielle Umsetzung des Konzepts. Da gibt es die „kühle“ und transparente Glasfassade nach außen, die aber auch völlig verschließbar ist; und es gibt die „warme“ Holzfassade an der Innenseite des L, wo die Zimmer zum Grünraum schauen. Was drinnen aus Holz ist, wurde aus Lärche gemacht, nur der Boden ist ein Eschen-Lamellenparkett. Es gibt viel Glas - durchsichtig und opak, und gelegentlich taucht die Farbe Blau auf.

Diese Eleganz der Ausstattung, auch die Sorgfalt im Detail sind wirklich bemerkenswert. Aber sie halten andererseits auch die Balance. Einschüchternd wirken sie nicht. Man kann sich gut vorstellen, daß die Bewohner der Häuser oben auf dem Hang auf dieses Haus hinunterschauen und sich gar nicht davor fürchten, selbst einmal dort Einzug zu halten.

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