Bauwerk

Kleines Café
Hermann Czech - Wien (A) - 1970
Kleines Café, Foto: Hermann Czech
Kleines Café, Foto: Hermann Czech

50 Jahre Kleines Café: „Heast, ist das ein schönes Lokal!“

Anno 1970 gelang es Hermann Czech, in einen verwinkelten historischen Bestand eine kleine – nomen est omen – Besonderheit zu setzen: das Kleine Café am Franziskanerplatz. Wiederbegegnung mit einer Institution.

15. August 2020 - Ute Woltron
Der Architekt Hermann Czech und der vormalige Schauspieler und lebenslange Gastronom Hanno Pöschl müssen da jetzt einfach durch. Sie müssen es sich gefallen lassen, ein wenig gefeiert zu werden, auch wenn der eine nicht schon wieder als Kaffeehausarchitekt bezeichnet werden will und der andere keine Lust mehr auf Öffentlichkeit hat. Doch es wird ein runder Geburtstag begangen: Ein gemeinsames Kind, wenn man so will, feiert heute den 50er, und dieses Jubiläum des Kleinen Cafés am Wiener Franziskanerplatz bejubeln nicht nur die Stammgäste, sondern es darf auch zum Anlass genommen werden, über Qualität und Funktionalität, über Raffinesse und Zeitlosigkeit wirklich gelungener Architektur nachzudenken.

„Seit 50 Jahren“, sagt Hanno Pöschl, seinerzeit der Bauherr des winzig kleinen Cafés und immer noch sein Betreiber, „geh ich dort rein und denk mir jedes Mal: Heast, ist das ein schönes Lokal!“ Mit dieser Empfindung ist er nicht allein, doch wenn es von Beginn an nur schön und nicht auch klug durchdacht gewesen wäre, das süße Kind in der Wiener Innenstadt, hätte es die Jahrzehnte wohl nicht so unverwelkt überstanden. Tatsächlich ist es Hermann Czech gelungen, in einen verwinkelten, 400 Jahre alten Bestand ein, er möge den Ausdruck bitte verzeihen, Schmuckkästchen zu integrieren. Jedes Detail, jeder Einbau, jedes Material und jede Farbe steht sowohl im Dienst der Funktionalität für diejenigen, die die Kaffeehausmaschinerie bedienen und am Laufen halten, als auch für die Gäste, deren Rücken etwa von exakt kalkulierten Lederpolsterschwüngen gehalten, deren Blicke von Wandspiegeln in die Weite gelenkt werden.

Dabei entstand das Lokal, das heute in seiner Dichte wie in das alte Bestandsgemäuer hineingegossen wirkt, in mehreren Etappen. 1970 übernahm Hanno Pöschl als 20-Jähriger den ersten, ursprünglichen Gastraum. Der war lediglich 27 Quadratmeter klein, von zwei ungleichen Kreuzgewölben höhlenartig überspannt und hatte vormals einen Branntweiner, dann vorübergehend ein Nachtlokal beherbergt. Czech beließ die alten Holzlamperien der Sitznischen, verpasste ihnen einen glänzenden Anstrich, entwarf eine funktionale, kleine Schank und stattete den Raum mit einem umlaufenden Gesimsprofil aus, auf dem die Gäste ihre Gläser abstellen konnten.

Drei Jahre später ergab sich die Möglichkeit einer Erweiterung, als auf der Seite des Franziskanerplatzes die ebenfalls winzig kleine Räumlichkeit einer ehemaligen Fleischhauerei verfügbar wurde und an das Café angeschlossen werden konnte. Die Deckengewölbe beider Räume verlaufen auf demselben Niveau, der Fußboden des neu zu bespielenden Raumes liegt jedoch um 60 Zentimeter höher. Czech nutzte den architektonischen Geländesprung, den andere möglicherweise als Hindernis betrachtet und eliminiert hätten, perfekt aus. Er konzipierte den oberen Bereich des Kleinen Cafés für sitzende Gäste. Sie befinden sich auf Augenhöhe mit den stehenden Besuchern des unteren Bereichs und auch des Barpersonals, was einen eigenartigen Reiz entfaltet und das Gefühl verstärkt, man sitze oder blicke in ein Schatzkästchen aus undefinierbarer Zeit. Entlang beider Seiten befinden sich ledergepolsterte Sitzbänke mit bequem geschwungenen Rückenlehnen, deren Vorbild Czech in den Polstersitzen von Kutschen in der Schönbrunner Wagenburg fand. Zum Raffiniertesten in diesem Raum zählt Czechs Spiel mit den nicht sehr tiefen, bereits vorhandenen Nischen in den unter dem Gewölbe zurückversetzten Wänden. Mit scheinbar massiven, tatsächlich aus Abbruchsteinen auf Gehrung geschnittenen Marmorpfeilern unterschiedlicher Färbung werden die über den Sitzbänken mit Spiegeln ausgestatteten Wände in der Vertikalen zu Nischen unterteilt, für die horizontale Teilung sorgt der darüber befindliche Einbau des hölzernen Stauraums.

Nur wer genau hinschaut, bemerkt, dass jeder Sturz dieser vermeintlichen Mauerung einen leichten Schwung aufweist, eine flache Parabel, deren Kante mit einer Zierleiste ausgestattet ist, die wie ein Seil aussieht. Wer nicht genau schaut, spürt den Schwung zumindest. Auch das Spiel der Spiegel darunter wird erst verständlich, wenn man schließlich Platz nimmt: Die Pfeiler erscheinen nun dreifach, denn Czech setzte jeweils einen quadratischen vor, einen halben direkt an die Spiegel. Auch die beiden Glühbirnen jeweils unter der Leibung erscheinen auf diese Weise vervierfacht.

Scheinbare Kleinigkeiten wie die alten Bodenkacheln, teils Bestand, teils ergänzt, Farben, die einander ideal aufwerten und in der gesamten Komposition gar nicht mehr bewusst im Einzelnen wahrgenommen werden, und dazwischen alles, was ein Kaffeehausbetrieb erfordert, auf kleinstem Raum untergebracht: „Hermann Czech ist einer dieser wunderbaren Architekten, die auch die Größe und die Gabe haben, auf die Funktionalität und auf die Bedürfnisse des Betreibers einzugehen. Man bespricht mit ihm, wie viele Gläser verstaut werden müssen und wie viele Flaschen, oder wo die Kaffeemaschine stehen soll – da lässt er sich dreinreden“, sagt Hanno Pöschl. „Und das Optische macht dann er.“

Pöschl und Czech verbindet eine lange Zusammenarbeit, aus der mehrere legendäre Wiener Lokale hervorgingen, etwa auch das Salzamt und die Wunderbar. Im Falle des Kleinen Cafés, sagt Pöschl, empfinde er sich mittlerweile weniger als Besitzer denn als „Museumsverwalter“: „Ich bringe keinen Pinselstrich an, den der Hermann nicht abgesegnet hat.“ Hermann Czech, einer der wohl intellektuellsten und gebildetsten Architekten nicht nur seiner Generation, formulierte bereits 1970 in seiner Filmdokumentation über Adolf Loos sein Credo: „Eine Architektur, die nicht auf Verzierungen, sondern auf Raumwirkungen beruht, veraltet nicht. Sie bleibt Ausdruck und Hintergrund für die widersprechenden Neigungen des modernen Menschen: Bequemlichkeit, Repräsentation, Ironie.“

Das Zitat ist in der erst unlängst publizierten, bewundernswert genauen Werkbiografie von Eva Kuß nachzulesen: „Hermann Czech, Architekt in Wien“ (Park Books) analysiert das raumgreifende Universum seiner Architekturen in ausgewählten Projekten. Die heutige Situation schätzt der 1936 in Wien geborene Architekt ähnlich, doch der Zeit gemäß ein: „Eine informelle, heterogene und undoktrinäre Architektur ist nicht mehr die Ausnahme. Es ist ein intellektueller Fortschritt, dass ein neues Weltbild nicht mehr durch formale Trends, neue ,Stile‘ und dergleichen simuliert werden kann, sondern dass Änderungen sich durch neue Bedingungen wie Digitalisierung und Klimawandel begründen oder erzwingen. Viele wollen das noch immer nicht wahrhaben, schaffen aber Rülpser und triviale Ornamentik statt Sprache.“

Apropos Änderungen: Die ewigen Gerüchte, das Kleine Café werde verkauft oder zugesperrt, versetzt Stammgäste regelmäßig in Unruhe, ja fast in Panik. Nichts da, sagt Pöschl, er höre das seit 49 Jahren, und auch diesmal sei nichts dran an dem Gerede.

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