Bauwerk

Nordkettenbahn - Stationsbauten
Franz Baumann - Innsbruck (A) - 1928
Nordkettenbahn - Stationsbauten, Foto: Hubertus Adam
Nordkettenbahn - Stationsbauten, Foto: Hubertus Adam
Nordkettenbahn - Stationsbauten, Foto: Hubertus Adam
Nordkettenbahn - Stationsbauten, Foto: historische Aufnahme

Bauen im Hochgebirge

1. September 1997 - Hubertus Adam
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts verloren die Alpen ihren bedrohlichen Charakter. Berge waren nicht mehr jene Orte der Existenzgefährdung, wie sie Lord Byron seinen Helden Manfred erleben liess; und Nietzsches Übermensch, der das Leben in Eis und Schnee den Annehmlichkeiten der Zivilisation vorzog, blieb kulturkritisches Konstrukt in einer Krisenphase der Individualität. Charakteristischerweise schickte Bruno Taut in seinem 1919 erschienenen romantisch-utopischen Mappenwerk «Alpine Architektur» auch
nicht mehr den heroischen Einzelnen, sondern Arbeitsarmeen ins Hochgebirge, um die Berggipfel mit Hammer und Meissel, Beton und Glas zu Kunstwerken zu transformieren.

Prosaischer indes war die Realität: Einstmals abgelegene Regionen wurden nach und nach für jedermann erreichbar; der touristischen Eroberung ging die infrastrukturelle Erschliessung voraus. Mit Strassen, Tunnels und Schienen wurden die bisherigen Grenzen von Raum und Zeit ausser Kraft gesetzt - auf die seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert üblichen Standseil-und Zahnradbahnen folgte 1908 die erste Personen-Seilschwebebahn (zwischen Bozen und Kohlern), durch die man von aufwendigen Trassierungen unabhängig wurde und stärkere Steigungen überwinden konnte. Die Regionen oberhalb der Baumgrenze liessen sich fortan bequem als Ziel eines Halbtagsausflugs erleben.

Man gelange in 40 Minuten vom Stadtzentrum aus auf das 2330 Meter hohe Hafelekar, heisst es dementsprechend in einer 1929 auf der vierten Umschlagseite des offiziellen Innsbrucker Stadtführers publizierten Anzeige der Nordkettenbahn. Die Titelgraphik der Broschüre veranschaulicht die unmittelbare Beziehung zwischen Natur- und Kulturlandschaft: als schwarze Silhouette steht die Stadtkulisse mit ihren historischen Türmen vor dem violett schimmernden, als Hintergrundfolie dienenden Massiv der Nordkette.

Zwar musste die unmittelbare Nähe des stadtbeherrschenden Bergzugs die touristische Erschliessung begünstigen, doch entschloss sich Innsbruck erst 1927, eine Seilschwebebahn auf das Hafelekar zu bauen.

Seit 1906 durch eine Standseilbahn erschlossen, bot sich die 300 Meter über der Stadt gelegene Höhensiedlung Hungerburg für die Errichtung der Talstation an. Obwohl es möglich gewesen wäre, Hungerburg (Seehöhe 863 Meter) und Hafelekar (2256 Meter) direkt miteinander zu verbinden, errichtete man auf der Seegrube (1905 Meter) eine Zwischen- und Umsteigestation. Die Teilung der Gesamtstrecke in zwei Sektionen hatte zweierlei Vorteile: einerseits liess sich die Beförderungskapazität steigern, andererseits wies die geschätzte Hanglage der Seegrube klimatische Bedingungen auf, die denen auf dem windumtosten und rauhen Hafelekar deutlich überlegen waren und den Bau eines Berghotels und -restaurants ermöglichten.

Sobald die Ingenieure der auf Seilbahnen spezialisierten Leipziger Firma Adolf Bleichert Streckenführung und technisches Konzept festgelegt hatten, schrieb die Stadt Innsbruck als Bauherrin einen Architekturwettbewerb für die drei Stationsgebäude aus.

Sieger in der Konkurrenz wurde der ortsansässige Franz Baumann (1892-1974), eher ein architektonischer Aussenseiter, der an der Innsbrucker Staatsgewerbeschule eine Ausbildung zum Bauleiter absolviert hatte und in der Öffentlichkeit lediglich durch einen Entwurf für ein Kriegerdenkmal in Kufstein bekannt geworden war. Mit den 1927/28 ausgeführten Gebäuden der Nordkettenbahn avancierte Baumann zum vielbeachteten Vertreter eines regional gebundenen Neuen Bauens und - neben Lois Welzenbacher – zum österreichischen Erneuerer der alpinen Architektur.

Primär durch ihre Funktion als Verkehrsbauwerke bestimmt, zeigen sich die Seilbahnstationen der Nordkettenbahn frei von heimattümelnden Tendenzen. Zugleich aber vermied Baumann einen vordergründigen architektonischen Formalismus.

Flachdach und Glas - gemeinhin als Insignien des Modernen Bauens verstanden - waren unter den extremen klimatischen Bedingungen der Gebirgsregion kaum zu verwenden; Baumann benutzte weiss verputztes Mauerwerk und partielle Holzverschalungen. Die Baukörper selbst sind klar gegliedert und einfach in der Form; auf ornamentale Details wurde verzichtet. Pultdächer überdecken die Wagenhallen der Stationen und folgen mit ihrer Neigung dem Verlauf der Seile und des Geländes.

Mit der Kombination von Pultdach (über Wagenhalle, Maschinenraum und Spanngewichtsschacht) und Satteldach (über Wartesaal und Verwaltung) erinnert die Talstation am ehesten an das regionale alpine Bauen – nicht zuletzt auf Grund des hohen Holzanteils der Fassaden.

Die vom Volumen her differenzierte Mittelstation Seegrube ist eine geschickte Kombination von einem Verkehrs- mit einem Gastronomiegebäude. Den beiden im 122°-Winkel zueinander stehenden Wagenhallen mit angegliederten Betriebsräumen ist im Westen ein Hotelbau angeschlossen, der in den unteren beiden Geschossen Restauranträume enthält. Während ein tief herabgezogenes Schleppdach auf der Nordseite dem Wetter trotzt, öffnet sich auf der Südseite die weithin sichtbare viergeschossige Fassade, vor der sich eine Terrasse befindet, zur Sonne und zum besiedelten Tal hin.

Das beeindruckendste Gebäude ist ohne Zweifel die Bergstation Hafelekar. Auf steilem, abschüssigem Terrain etwa 80 Meter unterhalb des Gipfels errichtet, scheint der gedrungene Bau nachgerade mit dem Fels verzahnt: ein festungsähnlicher Brückenkopf der Zivilisation mitten in einer grosse Teile des Jahres von Eis und Schnee bedeckten, unwirtlichen Landschaft. Nur an diesem Gebäude verwandte Baumann gerundete Bauformen, übertrug somit den eleganten Schwung der modernen Formensprache in die Hochalpen.

Über viertelkreisförmigem Grundriss erhebt sich seitlich der Achse aus Wagenhalle, Spannraum und Gewichtschacht ein zum Hang hin orientierter Restaurantbereich, der in einem kleinen halbrunden Vestibül auf der Bergseite elegant ausschwingt. «So spricht der Berg, die Höhe, so die neue Zeit», heisst es euphorisch in einer zeitgenössischen Rezension.

Nur wenige Tische und Stühle finden in der Gaststube Platz; wie auch in den beiden Stationen sind sie grob aus Holz gehauen, unverwüstlich, bewusst primitiv, urtümlich oder archaisch, gleichsam vorkulturell; trotz ihrer Expressivität empfand Baumanns Architektenkollege Clemens Holzmeister die Gebilde als zu kraftmeierisch. Aus Holzscheiben und -kugeln sind die Schirme der Deckenleuchten gefertigt. Art-déco-Einschlag zeigen demgegenüber die von vielfach geknickten Eisenstäben gehaltenen Wandbeleuchtungskörper aus runden Milchglasscheiben in der Seegrube.

Durch unterschiedliche Gestaltung seiner drei Zweckbauten gelang es Franz Baumann, die sich je nach der Entfernung von der Stadt verändernde Gewichtung von Kultur und Natur zu veranschaulichen. Als architektonisches Artefakt verhält sich die Station Hafelekar in ihrer rauhen Umgebung defensiv, bietet wenig Angriffsflächen; sie wird - tendenziell – zur zweiten Natur.

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