Bauwerk

Gasometer Simmering - Neubau und Revitalisierung
Coop Himmelb(l)au, Manfred Wehdorn, Wilhelm Holzbauer, Jean Nouvel - Wien (A) - 2001

Genau das nennt man Kitsch

Miserable Wohnungen. Büros, die sich durch nichts auszeichnen, was gerade diesen Standort empfehlen würde. Eine Geschäftszone, die jeder Beschreibung spottet. Aber riesiger Aufwand rundherum. Wiens Gasometer-Projekt oder: Wie man um viel Geld ein Denkmal ruiniert.

30. Juni 2001 - Liesbeth Waechter-Böhm
Es heißt, sie seien Wiens Top-Adresse des Jahres 2001. Und wer „top“ wohnen möchte, ziehe dort ein. In die Wohnungen im Gasometer. Tatsächlich wird den künftigen Bewohnern einiges geboten: Von der U-Bahn-Station, die selbst noch vom entferntesten der vier ehemaligen Gasbehälter trockenen Fußes erreichbar ist, bis zum riesigen Entertainment-Center (Architekt: Rüdiger Lainer) gleich nebenan, vom vielbeschworenen urbanen Nutzungsmix aus Arbeiten, Wohnen und Freizeit - Büros, Geschäfte, Studentenheim, begrünte Freiflächen, reichlich Garagenplätze - bis zur großen Veranstaltungshalle in den Tiefen von Gasometer B (Architekten: Coop Himmelb(l)au), dies alles vereint unter den - nicht mehr vorhandenen - Kuppeln der vier denkmalgeschützten Zylinder. Und dies alles zu Wohnungspreisen, die schon mehr als attraktiv sind. Laut den Verkaufsunterlagen für Gasometer A (Architekt: Jean Nouvel) zum Beispiel kostet die teuerste Wohnung frei finanziert nicht einmal zwei Millionen Schilling (keine 150.000 Euro), wobei dieser Kaufpreis durch einen nicht rückzuzahlenden Zuschuß von knapp 400.000 Schilling (rund 30.000 Euro) gestützt wird und bei einer Monatsrate von rund 4000 Schilling (290 Euro) eine Barleistung von 660.000 Schilling (knapp 48.000 Euro) erforderlich ist. Dieser Wohnungstyp - wie auch eine ganze Reihe anderer Typen im Gasometer A - ist übrigens längst ausverkauft. Ebenso ausverkauft sind alle Wohnungen im Gasometer C (Architekt: Manfred Wehdorn). Die drei Bauträger, die sich das Unternehmen teilen, pochen nicht zu Unrecht auf ein Erfolgsergebnis: Fast 85 Prozent der Wohnungen sind vergeben.

Im Werbematerial für die vier Sichtziegel-Solitäre heißt es auch, sie seien ein europaweit einzigartiges Gesamtkunstwerk. Anders formuliert könnte man sagen, es geht um eine Stadtentwicklungsspritze in den Simmeringer „Outskirts of Vienna“. Allerdings muß man hinzufügen: Der finanzielle Einsatz, den diese Entwicklungsspritze zur Voraussetzung hatte, der kann nur jenseits des Üblichen angesiedelt sein, weit jenseits. Und die Bemerkung, die anläßlich einer Führung für die Österreichische Gesellschaft für Architektur (ÖGFA) gefallen ist, daß sich die günstigen Wohnungspreise durch entsprechend hohe Geschäfts- und Büromieten in bezug auf die Gesamtkosten letztlich doch rechnen, die kommt selbst dem ganz Unbedarften wie eine seltsame Art von Arithmetik vor: undurchschaubar, verwirrend, nicht glaubwürdig.

Aber der Architekturkritiker schert sich um solche Fakten - mehr oder weniger legitim - in der Regel ohnehin nicht. Dem geht es um architektonische Konzepte und ihre Umsetzung, dem geht es in einem solchen Fall um den Umgang mit der historischen Substanz und auch um die formale Lösung. Der Architekturkritiker betrachtet die gebauten Tatbestände insofern aus einer verengten Optik.

Nun habe ich mich schon im Vorfeld des Projekts sehr weit und sehr kritisch „aus dem Fenster gelehnt“. Ich war immer - und meiner Ansicht nach mit guten Gründen - dagegen. Massiv dagegen. Denn von den Gasometern, von der räumlichen Qualität der Gasometer, konnte einfach nichts übrigbleiben, wenn man sie vollbaut. Substantiell besteht diese Qualität in gigantischem leerem Raum. Man hätte eine Rollerskate-Bahn hineinbauen können - es wäre die attraktivste der Welt gewesen. Aber man kann sicher nicht nach dem Haus-im-Haus-Prinzip verfahren. Das bringt sowieso selten etwas. Beispiel: das Architekturmuseum in Frankfurt von Ungers - ein architektonisches Debakel. Weil das Haus im Haus steht, laufen die Treppen außen, also dort, wo das Tageslicht ist - und das übrigens in einer Ausführung, die man im Wiener Gemeindebau nicht akzeptieren würde. Haus im Haus ist immer problematisch. Und die Gasometer in ihrer historischen Substanz, in ihrer historischen Integrität und Einzigartigkeit, die gibt es jetzt einfach nicht mehr.

Das Denkmalamt ist in einer äußerst prekären Situation. Es hat einen riesigen historischen Fundus zu betreuen und keine auch nur annähernd entsprechenden finanziellen Mittel. Daher ist es auf Kompromisse angewiesen. Nur: In diesem Fall hat der Kompromiß zur Zerstörung der Denkmäler geführt. Alles, was es an historischer Substanz gibt und was irgendwann irgendeinen Sinn hatte, das hat jetzt keinen mehr. Es ist pervertiert. Es ist Staffage, Kulisse. Und genau so etwas nennt man üblicherweise Kitsch. Wenn ich auf einer Rodel ein Blumenarrangement präsentiere, dann ist das Kitsch, weil der Sinn des einen durch den Sinn des anderen ad absurdum geführt wird. Bei den Gasometern ist es genauso. Das mag einem Jean Nouvel, einer Coop Himmelb(l)au, einem Holzbauer wehtun (die Rolle von Manfred Wehdorn, von Amts wegen Denkmalschützer der Nation und zugleich beteiligter Architekt, kommt mir so suspekt vor, daß man sich besser jedes Wort dazu spart): Insgesamt ist jedenfalls kaum daran zu rütteln, daß sich alle Beteiligten mit den Gasometer-Bauten auf das Niveau der sogenannten „Künstler-Häuser“ à la Zilk begeben haben. Nur die formale Sprache unterscheidet sich teilweise - Wehdorns, Holzbauers Architektur ist in Wahrheit von unübertrefflicher Banalität -, alles andere deckt sich vollständig.

Es sind reine Alibi-Gesten, wenn mehrstöckige, verglaste Malls den Grund der Gasometer füllen, aber noch irgend etwas von dem gewaltigen Raum freilassen, der die Substanz dieser Ziegelhüllen ausmacht. Wobei ein Holzbauer selbst auf diese Geste verzichtet hat: Bei ihm ist die Haupterschließung in der Mitte und die Bebauung als eine Art überdimensionaler Mercedes-Stern angelegt. Vom inneren Raumvolumen der historischen Hülle bleibt so wirklich gar nichts mehr, dafür sind außen Höfe eingeschnitten, die allerdings für die Wohnungen zumindest an Belichtung etwas bringen dürften. Am photogensten von innen ist Jean Nouvel: Durch seine spiegelglatten Metallfassaden hat er zumindest erreicht, daß das einfallende Licht vielfach gebrochen den ganzen Innenraum, selbst die engen Einschnitte zwischen den Wohntürmen erhellt. Am photogensten von außen ist das Projekt von Coop Himmelb(l)au. Der ganz, ganz eng außen angestellte Baukörper mit Wohnungen - sinnigerweise „Schild“ genannt -, der ist nach formalen Kriterien sicher attraktiv. Wenn man drinnen ist, speziell im Teil des Studentenheims, und den Schild vor sich hat, dann erlebt man allerdings die Katastrophe: Er verstellt nicht nur die Aussicht, er verstellt auch das Tageslicht. Überhaupt muß man sagen: Die miesesten Wohnungen sind im Coop-Himmelb(l)au-Teil. Und das Studentenheim? Jedem Studenten ein unbewohnbarer, schmaler Schlauch, und in der Mitte ein finsterer, unangenehmer Gemeinschaftsbereich. Ja, ja, unsere himmelblauen Pseudorevoluzzer haben sich ihren sonnigen Platz im Establishment erkämpft, den verteidigt man nachhaltig, da bleibt für inhaltliche Reminiszenzen anscheinend kein Platz.

Wenn man nicht blindwütig losschlagen möchte, dann muß man sich mit solchen Anmerkungen bescheiden. Miserable Wohnungen. Büros, die sich durch nichts auszeichnen, was gerade diesen Standort nahelegen würde. Eine Geschäftszone, die jeder Beschreibung spottet. Aber viel, viel Aufwand drumherum, der doch nicht ausreicht, die Nachteile der Haus-im-Haus-Konzeption wettzumachen. Und das alles um sehr viel Geld. Viel mehr Geld, als für jeden konventionellen Wohn- oder Bürobau zur Verfügung steht. Und was das wirklich Ausschlaggebende ist: All das um den Preis der endgültigen Zerstörung der Gasometer.

Die Probleme des Denkmalamts in allen Ehren: Aber man muß doch wissen, wie weit man gehen darf. Natürlich gibt es gesetzliche Regelungen, aber die bedürfen ja immer der Interpretation, sie sind Auslegungsfrage. Im Fall der Gasometer hat das Denkmalamt versagt. Gröblichst versagt. Sie zeigen, wie bedenkenlos sich herumfuhrwerken läßt, wenn nur alle Beteiligten - allen voran die Politiker - mitspielen.

Reden wir gar nicht vom Geld. Reden wir nicht davon, was es gekostet hat, dieses „europaweit einzigartige Gesamtkunstwerk“ zu realisieren. Obwohl: Welches Gesamtkunstwerk wäre um denselben Betrag wohl auf der grünen Wiese möglich gewesen? Das ist ja immer die Frage: Was wäre gewesen, wenn . . . Nur tritt dieser „Wenn“-Fall komischerweise nie ein. Man braucht den Vorwand, die Gasometer zu ruinieren, um sich zu einem Bauvorhaben aufzuraffen, das nur jenseits herkömmlicher Normen durchzuführen ist. Wie man ja auch die Namen zweifelhafter Künstler braucht, um Wohnbauten umzusetzen, die der Wiener kommunalen Praxis zuwiderlaufen. Das ist ziemlich ärgerlich. Und wir dürfen uns nicht damit abfinden.

Wir müssen dagegen die Stimme erheben. Je lauter, je deutlicher, umso besser. Es werden nicht die Architekten sein, die diese Diskussion führen. Die wollen bauen, und je mehr Freiraum sie haben, desto lieber ist es ihnen. Sie sind sich selbst die nächsten. Es müssen die anderen sein, diejenigen, die das örtliche Baugeschehen reflektierend begleiten, die sich Gehör verschaffen. Nur so lassen sich Stilblüten wie die Gasometer verhindern. Und nur so läßt sich eine absolut gekonnte Marketing-Strategie knacken, die künftigen Bewohnern eine Top-Adresse verheißt, wo man in Wahrheit in einer Art charakterlosem Neubausumpf versackt.

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