Bauwerk

Gasometer Simmering - Neubau und Revitalisierung
Coop Himmelb(l)au, Manfred Wehdorn, Wilhelm Holzbauer, Jean Nouvel - Wien (A) - 2001

Zerstörtes Architektur-Denkmal?

Vom Ausland wird es gelobt, von der heimischen Architektur-Kritik getadelt: das neue Zentrum in den Gasometern.

27. August 2001 - Ines Mitterer
Mit einem spektakulären Volksfest eröffnet Freitag dieser Woche die G-Town - das neue Stadtviertel, das in Wiens historischen Gasometern entstanden ist. Vier angesehene Architekturbüros, Jean Nouvel, Coop Himmelblau, Manfred Wehdorn und Wilhelm Holzbauer haben in die historische Hülle der vier Gasometer Wohnungen, Büros und Geschäftsräume eingebaut.

Obwohl Architekten, Bauträger, neue Mieter und sogar der Denkmalschutz mit dem Resultat hoch zufrieden sind, gibt es lautstarken Protest von Seiten der Architekturkritiker. Sie sehen ein großzügiges Denkmal der Industriearchitektur für immer zerstört.


Internationale Architekten

Die Gasometer - das sind vier beeindruckende Giganten der Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts, die jahrzehntelang funktionslos die Skyline des 11. Wiener Gemeindebezirkes verschönerten. Als der historische Ziegelbau zu zerfallen drohte, suchte man nach einer Lösung. Denn die vier ehemaligen Gasbehälter bloß als solche zu erhalten, war aus finanziellen Gründen nicht möglich. Bekannte Architekten aus dem In- und Ausland wurden eingeladen, die Gasometer mit Einbauten zu versorgen.


600 Wohnungen, Büros, ein Einkaufszentrum sowie eine Veranstaltungshalle machen schon jetzt aus dem teuren
Prestigeprojekt ein lebendiges neues Stadtzentrum, wie es sich auch Wolf Prix vom Architekturbüro Coop Himmelblau gewünscht hat: „Ich finde dieses Projekt aus drei Gründen ein wichtiges Projekt: Erstens, weil es sich mit Wohnbau auseinandersetzt, zweitens, weil es sich mit Denkmälern auseinandersetzt und der dritte Grund ist ein städtebaulicher Grund. Ich denke, dass Wien unbedingt neue Zentren braucht.“


Kritik an der Architektur

Die ersten Mieter sind schon eingezogen, die Wohnungen waren schnell vergeben: attraktive Preise, ein schräges Projekt und die U-Bahnstation vor der Haustüre haben viele junge Leute, Singles oder Paare nach Simmering gelockt. Die Bauträger sind zufrieden, die Mieter auch. Aber - wie immer bei Bauprojekten dieser Größenordnung - regte sich auch in diesem Fall schnell der Protest. Diesmal kommt er von Seiten der Architekturliebhaber und der Architekturkritiker.

Zu dicht, zu banal, zu wenig visionär und zu wenig großzügig: so lautete das überwiegende Urteil in der österreichischen Presse. Zu lesen war von „Möchtegern-City“, von unübertrefflicher Banalität und von pervertiertem Kitsch. Ein Eindruck, den Architektur-Journalistin Ute Woltron von der Tageszeitung „Der Standard“ teilt: „So, wie sie jetzt dastehen, sind sie, wie ein Kritiker gemeint hat, Hühner, in die man einen Pferdedarm hinein gestopft hat. Sie sind teilweise so atemberaubend dicht, dass mir das Grauen kommt. Die weniger dichten, wie der Turm den Jean Nouvel, sind deshalb weniger dicht, weil man das Herausgenommene anderswo, also zum Beispiel im Himmelblau-Turm hineingestopft hat.“


Kühner Himmelblau-Bau

Jean Nouvell, Coop Himmelblau und Manfred Wehdorn haben in ihren Gasometern einen runden Innenhof unverbaut gelassen, Wilhelm Holzbauer stellt sein Gebäude in Form eines Mercedes-Sterns in die Mitte und erreicht daher kleine Höfe am Rand. Dem Coop-Himmelblau-Gasometer ist ein kühnes Schild angelehnt. Es ist der einzige neue Baukörper, den man von außen sehen kann und der die Vorbeifahrenden auf der Flughafenautobahn in Staunen versetzt. Und das alles im Dienste der Dichte: „Ich sehe, wenn es Kritik am Gasometer-Projekt gibt, nicht die Kritik an der Behandlung eines Denkmals, sondern als Kritik an der Dichte. Aber gerade Dichte ist, was das Projekt urban macht. Ohne Dichte gibt es keine Stadt. Es wäre undenkbar für Europäer, Los Angeles zu reproduzieren“, stellt Prix fest.


Lob aus dem Ausland

Ausländische Architektur-Kritiker teilen die Meinung von Wolf Prix und feiern das erstaunliche Architekturprojekt hymnisch - so etwa in der renommierten New York Times.


Geschichte der Gasometer

Die Gemeinde Wien schrieb 1892 einen Wettbewerb zum Bau eigener Gaswerke aus, weil die bis dahin in Wien vorherrschende englische Gasgesellschaft „Imperial Continental Gas Association“ mit ihr zerstritten war. Die Genehmigung zum Bau des Gaswerks in Simmering erfolgte am 27. Oktober 1896. Das Gaswerk war auf eine tägliche Gaserzeugung von 432.000 Kubikmeter ausgerichtet und erforderte die Herstellung eines über 700 Kilometer langen Straßenrohrnetzes. Das Werk musste in 3 Jahren betriebsfertig sein. Man war also unter großem Zeitdruck.


Fertigstellung 1898

Die erste Gruppe der Behälter war am 10. Mai 1898, die zweite Gruppe am 1. Juli 1898 fertiggestellt. Der Bau der Gasometer erforderte folgende, auszugsweise wiedergegebene Arbeiten und Materialausmaße: 75.000 Kubikmeter Erdaushub, 17.500 Kubikmeter Beton sowie 13 Millionen Stück Ziegel. Die Kosten für alle vier Gasbehälter wurden mit 4.400.000 Gulden - nach heutigem Wert wären das etwa 600 Millionen Schilling - veranschlagt. Durchgeführt wurden die Arbeiten von der Union-Baugesellschaft Wien. Sie weigerte sich bei diesem Auftrag allerdings, jegliche Haftung für die Dichtheit der Bassins zu übernehmen.

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