Bauwerk

Universitätscampus Altes AKH - Umbau und Adaptierung
F+P ARCHITEKTEN, Ernst Michael Kopper, Hugo Potyka, Johannes Zeininger, Kurrent & Zeininger, Friedrich Kurrent - Wien (A) - 1998
Universitätscampus Altes AKH - Umbau und Adaptierung, Foto: Margherita Spiluttini

Zehn Hektar um einen Schilling

Es ging um die Öffnung einer „Stadt in der Stadt“, um die Adaptierung historischer Bausubstanz an heutige Nutzungen. Wie ein Architektenteam unter rigorosen Kostenauflagen aus dem Wiener Alten AKH einen Universitätscampus machte. Eine Erfolgsstory.

10. Oktober 1998 - Liesbeth Waechter-Böhm
Nun hat Wien also einen Universitätscampus. Er wurde in jahrelanger und sehr planungsintensiver Arbeit auf dem Gelände des Alten Allgemeinen Krankenhauses errichtet, das ja ursprünglich fast zur Gänze im Besitz der Stadt war, die es allerdings - für den symbolischen Betrag von einem Schilling - 1989 der Universität Wien zum Geschenk gemacht hat. Wenn auch unter einer Auflage: Ein Teil des Areals sollte der Öffentlichkeit, speziell den Anrainern, zugute kommen.

Das Areal mit seinen beeindruckenden zehn Hektar Größe und der differenzierten Hofstruktur, die von den schmalen Krankenhaustrakten gefaßt ist, hat eine dreihundertjährige, höchst wechselhafte Baugeschichte hinter sich. Und wenn die Höfe nicht großteils begrünt und mit verschiedenen „Denkmälern“ durchsetzt wären, man würde noch heute oft nicht so recht sicher sein, ob man sich wirklich auf einem ehemaligen Krankenhausareal oder nicht doch in einer etwas verwinkelten Kasernenanlage befindet.

Tatsache ist, daß sich der ausgedehnte Baubestand vom umliegenden Bezirk immer rigoros abgeschottet hat, daß er sich fast wie eine wehrhaft befestigte „Stadt in der Stadt“ präsentierte. Eine der wichtigsten Maßnahmen im Zuge der Revitalisierung zielte daher auf die Öffnung des Areals, auf seine übersichtliche und sinnvolle Durchwegung ab. Dabei hatte die Arge Altes AKH Architekten - das sind die Büros Hugo Potyka, Friedrich Kurrent (künstlerische Koordination) & Johannes Zeininger, Sepp Frank und Ernst M. Kopper (geschäftliche und technische Koordination) - kein leichtes Spiel: Denn das äußere „Gesicht“ der Bebauung sollte dadurch so wenig wie möglich beeinträchtigt oder verändert werden, ganz abgesehen davon, daß in einem Teilbereich die neue Notenbankdruckerei von Wilhelm Holzbauer mit all ihrer Pracht der bescheidenen - und relativ niedrigen - Bebauung des Alten AKH fast schon obszön naherückt.

Und doch sind das im Verhältnis zur Gesamtleistung des Planungsteams bestenfalls Nebensächlichkeiten. Denn es ging nicht nur um die Öffnung des Areals, um die Wiederherstellung der alten, kammartigen Hofstruktur, um die Eliminierung zahlloser Einbauten, die sich vor allem seit dem 19. Jahrhundert hier angelagert hatten; es ging auch um die sinnvolle Konzentration von öffentlichen Nutzungen - vor allem Supermarkt, Gastronomie, Geschäfte - im (größten) ersten Hof und um vorbereitende Maßnahmen für ein künftiges Zentrum der Geisteswissenschaftlichen Fakultät im zweiten Hof; aber in erster Linie ging es darum, die alten Krankenhaustrakte mit ihrer geringen Tiefe, dafür oft ungewöhnlichen Raumhöhe so zu adaptieren, daß sie langfristig ihrer neuen Nutzung entsprechen.

Und dies alles unter dem Druck eines Kostenlimits, wie es rigoroser nicht hätte sein können. Die Frage war: Was geht trotzdem noch, wenn aus ökonomischen Gründen eigentlich nichts mehr geht?

Anfang der neunziger Jahre, nach dem von Friedrich Kurrent erfolgreich absolvierten Gutachterverfahren, machten ominöse 400 Millionen Schilling (28,8 Millionen Euro) Baubudget für die Realisierung des Gesamtprojekts die Runde. Wer damals etwas vom Bauen verstand und das Areal kannte, der mußte angesichts dieser Vorgabe schlicht den Kopf schütteln. Die tatsächlichen Nettoherstellungskosten der Universität werden denn auch jetzt mit 673 Millionen Schilling (48,4 Millionen Euro) beziffert, jene für die Geschäfte, Büros und andere Nutzungen mit 129 Millionen Schilling (9,3 Millionen Euro).

Aber selbst diese Kosten sind so extrem niedrig, daß man die planenden Architekten ob dieses Auftrages nicht beneiden mag. Es muß in jeder Hinsicht eine Gratwanderung gewesen sein. Gelohnt hat sie sich aber. Das Ergebnis kann sich nicht nur sehen lassen, man muß es gesehen haben. Hier wurde atmosphärisch etwas - nicht bewahrt, sondern nach langer Zeit wieder hergestellt, was man zu AKH-Zeiten schon längst nicht mehr wahrnehmen konnte. Diese sehr schlichten, schmalen, niedrigen Bauten haben ihren ganz eigenen Reiz. In den Höfen herrscht eine Stimmung wie außerhalb der Zeit, ruhig, unprätentiös - einfach gelassen. Und diese Stimmung teilt sich heute, nach der Öffnung des Areals und all den zeitgenössischen Interventionen, stärker mit als je zuvor.

Nichts gegen rahmenlose Punktverglasungen. Nichts gegen diffizile, minimierte Leichtkonstruktionen. Nichts gegen geschliffenen Sichtbeton. Aber es geht auch ohne. Das Resultat mag der trendigen Ästhetik vom Ende der neunziger Jahre nicht entsprechen. Man wird es langfristig dennoch anschauen können. Es ist klar, wie die Architekten in diesem Fall gestalterisch vorgehen mußten: Nachdem das Raum- und Funktionsprogramm festgelegt war, nachdem geklärt war, welche Sanierungsmaßnahmen in den einzelnen Bauten unumgänglich waren, ging es darum, eine definierte Palette an Materialien, Oberflächenqualitäten, Farben, Beleuchtungssystemen et cetera festzulegen, die in die jeweils unterschiedlichen räumlichen Situationen des Bestandes implantiert werden konnten, die aber doch Einheitlichkeit, einen „Raumfluß“ herstellten.

Wie gesagt: Rahmenlose Verglasungen wird man hier nicht finden. Friedrich Kurrent hat zwar ein System verglaster „Pawlatschen“ zur Relativierung der geringen Trakttiefen entwickelt, das in den Höfen zwei, acht und neun auch tatsächlich realisiert wurde, aber es ist sehr viel pragmatischer und ökonomischer, als das irgendein Architekt mit High-Tech-Anspruch heute machen würde. Er nennt diese Zubauten „Vorgelege“, und sie beinhalten eine großzügige Erschließungszone, über die in die angrenzenden Räume immer noch genug Tageslicht fällt.

Ästhetisch reizvoll ist das Fassadenbild dieser gläsernen „Vorgelege“. Durchsichtige Glasflächen wechseln mit grünlich-opaken ab, die zu öffnenden Glasteile stechen rot hervor, textile weiße Jalousien sorgen für einen zusätzlichen Akzent. Auch das Problem des Anschlusses dieser „Vorgelege“ an die angrenzenden Fassaden ist ausgezeichnet gelöst. Sie rücken geringfügig davon ab, wobei das Ende der Glashaut durch ein „Einschubelement“ mit Eternitverkleidung ganz unauffällig formuliert ist.

Sehr reizvoll ist auch, daß die Architekten das Motiv der unterschiedlichen Stiegenlösungen im Bestand aufgegriffen und weitergeführt haben. Der Einbau der vorgeschriebenen Fluchtstiegenhäuser wurde statementhaft und formal differenziert gelöst, wodurch diese in einer zeitgenössischen Interpretation der Besonderheit dieser Substanz umso besser entsprechen.

Alle formalen Maßnahmen im neuen Alten AKH sind sehr einfach, wenngleich keinesfalls ruppig. Die Galerieeinbauten in den hohen Räumen sind zwar letztlich anspruchslos ausgefallen, meist mit simplen Stahlprofil-Konstruktionen, in selteneren Fällen (Brandschutz) mit Stahlbeton. Aber selbst in den WC-Anlagen wurde auf eine Verlegung der Fliesen geachtet, die geeignet ist, das Manko der „unregelmäßigen“ Bausubstanz wieder auszugleichen.

Der inhaltliche Wert dieses Projekts, soviel steht jedenfalls fest, ist nicht nach den gängigen Mustern der heutigen Architekturkritik zu beschreiben. Denn es hat nichts Spektakuläres an sich, kein angestrengtes Suchen nach Innovation in welcher Richtung auch immer.

Hier geht es um die Anstrengung, historischer Bausubstanz mit Respekt und Einfühlung zu begegnen und die heutige Neunutzung mit zeitgemäßen Mitteln auszudrücken, aber auch unter ökonomischen Bedingungen, die so hart waren, daß man sich fragen muß, ob sich die Universität Wien - deren Repräsentanten sich gern als Bannerträger der Kultur sehen - als Bauherr ihrer Rolle als Beförderer der (Bau-)Kultur in diesem Land überhaupt bewußt gewesen ist.

Daß dieses Projekt einfach richtig, stimmig und eben angemessen ist, muß man allein dem Konto der Architekten gutschreiben. Man muß es ihrer Haltung gutschreiben, daß mit fast nichts ein qualitativer Mehrwert hergestellt wurde, dem jede Anerkennung gebührt.

Damit haben sie aber auch uns, den Architektur-Freaks, eine Lektion erteilt. Denn wenn wir nicht nur oberflächlich und unreflektiert von zeitlosen Gestaltungsqualitäten reden wollen, wenn wir solche Qualitäten ernst nehmen und tatsächlich schätzen, dann müssen wir zugeben, daß wir ihnen beim Alten AKH begegnen. Und dann müssen wir eben Farbe bekennen. Reden wir nur so dahin von den nicht trendigen, zeitlosen Qualitäten - oder meinen wir es auch?

Vieles ist übrigens noch ungelöst im Alten AKH. Der Narrenturm steht nach wie vor unrestauriert da, noch ist keine Nutzung dafür festgelegt. Der Kindergarten, der in der Nähe des Narrenturms geplant war, wurde ebenfalls nicht gebaut. Genauso steht der Einbau eines großen Hörsaals im zweiten Hof, der nicht nur für den Universitätsbetrieb, sondern auch im Hinblick auf ein „Zentrum“ des neuen Campus notwendig wäre, noch in den Sternen.

Und Friedrich Kurrents Lieblingsidee, im sechsten Hof einen „Monotheistenplatz“ - mit ehemaliger Spitalskapelle, bestehender (aber noch nicht instand gesetzter) kleiner Synagoge und einer (ebenfalls kleinen) Moschee - zu errichten, ist vorläufig ebenfalls gescheitert.

Sagen wir es so: In der Causa Universitätscampus Altes AKH sind noch einige letzte Worte ausständig. Aber vielleicht sagt sie ja eines schönen Tages noch jemand.

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