Bauwerk

Zu- und Umbau Wohn- und Geschäftshaus
RLP Rüdiger Lainer + Partner - Wien (A) - 2005

Das Haus hockt auf dem Haus

Rüdiger Lainer reanimierte ein abgewohntes Stadthaus aus dem Biedermeier in der Favoritenstraße mit klar abgesetzter, dreistöckiger aluminiumschillernder Dachzone, offenen Wohnungen am grün umrankten Laubengang und einer großzügigen Halle für Einkaufe und Fitness im Innenhof. Mit Tageslicht und Musikbeschallung steigert die Tiefgarage die Besucherfrequenz.

15. April 2006 - Isabella Marboe
Schleichendes Geschäftssterben, flaue Publikumsfrequenz und Autoabgase tauchen die Favoritenstraße in graugetönte Lethargie, im Sog des Südbahnhofs droht das feine Botschaftsviertelflair um Belvedere und diplomatische Akademie zu ersticken. Zeitversunkene Stille bieten Café Goldeck und Elisabethkirche am lauschigen Platz, beste Verkehrsanbindung U1, Bus und Bim.

Das städtische Zinshaus am Eck zur Karolinengasse mit Läden im Sockel und drei Wohngeschoßen wurde 1844 erbaut. Zwei zwölf Meter tiefe Trakte säumen die Straßen und fassen mit der sechs Meter schmalen Südflanke einen großen Hof ein, der im Osten ins grüne Hinterland des Nachbarn übergeht. Beides gehört der Sigma Pro-Projektentwicklungs GmbH., die mit Sanierung und Ausbau der abgewohnten Substanz durch Architekt Rüdiger Lainer exemplarisch Haus und Hof aufwerten und mit neuer Betriebsstruktur, Wohnungen und Garage frequenzsteigernd beleben wollte.

1944 hatte eine Granate ein Loch ins Dach gerissen, die provisorische Nachkriegsdeckung war morsch, die Mauern durchnässt. Im Südtrakt mussten alle Geschoßdecken erneuert werden, das Dach kam weg und wurde mit 22 Wohnungen aufgestockt. Die Tragstruktur des Bestands bilden straßen- und hofseitig regelmäßig von Fensterachsen durchbrochene 90 cm dicke Außenmauern, die sich oben bis 45 cm verjüngen.

Westlich der mittigen Kaminwand liegen große Wohn-, im Osten die Nebenräume und eine gewendelte Stiege am hofseitigen Erschließungsflur, der in die Seitenflügel mündet. Ein gelber Lift, orange Wände und die weiße, abgehängte Decke mit allen Leitungen zur Aufrüstung bringen Infrastruktur und Frische in den Bestand, sanierte Einheiten haben orange Türboxen.

Als „Haus am Haus“ folgt die Aufstockung mit gewichtsreduzierend fensterdurchbrochenen, 20-cm-Stahlbetonmauern und mittiger Installationswand der Logik des Altbaus. Seine Nebenstiege im Süden führt eine leichte Wendeltreppe fort, die den neuen Laubengang im Hof erschließt. Er wird zum grünumrankten Freiraumgerüst vor ost-westbelichteten, neuen Wohnungen. 2,5 Meter lange, leicht ansteigende Stege bilden terrassenartige, private Eingangsvorbereiche und lassen viel Licht herein.

Die Fenster zum Hof haben eine schützende Brüstung, zur Straße sind sie raumhoch, Wohn- und Schlafbereiche an den Sanitärkernen teils ost-und westseitig orientiert. Parkettfurnier, vertikale und horizontale Mattglasbänder zu den Bädern und 2,68 m Höhe lassen sie groß wirken.

Feinabgestufte, auskragende Gesimskanten markieren den Beginn des Dachaufbaus und bilden einen akzentuiert leichten Eckaufsatz aus. Perspektivisch und lastverteilend lösen sie seine Masse auf.

Raumhohe Fenster und je eine Rundsäule vor terrakottafarbigen Wandscheiben, die von einer aluminiumgegossenen Girlandenstruktur überzogen sind und als feinschillernde Stadthauskrone wirken: Sie nehmen den Rhythmus der Biedermeierfassade auf und bilden einen plastischen Kontrast zu deren flächiger Putzstruktur.

Blick zum Blasenbaum

Ganz oben nähert sich der Zubau hinter Rasenband und Schrägverglasung mit einer Terrasse dem niederen Ostnachbarn. Im verglasten Entree stellt sich zeitübergreifender Stadtbezug ein: Den hellen Gang zur orangen Stiege mit alter Madonna ziert ein reproduziertes historisches Foto mit Menschenschlangen vor Damenschneider und Fischhändler. Klassische Musik tönt hier und in der Garage, wo unterm freigelegten Kellergewölbe mit Sicht ins Freie geparkt wird. Fisch lockt heute keine Massen mehr an, ins Erdgeschoß der neuen Halle im Hof zog eine Hofer-Filiale. Im Großraum darüber trainiert man die Rückenmuskeln im Kieser-Studio mit Blick zum Blasenbaum.

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