Bauwerk

Naturnaher Erlebnisspielplatz
- Wien (A) - 2003

Mit a bissl Gstätten

Er ist wahrlich ein Unikum, der erste naturnahe Erlebnisspielplatz Wiens: Das Stadtgartenamt überließ die Planung Privaten - und die bezogen gar die Kinder in den Entscheidungsprozess ein.

9. Mai 2003 - Wojciech Czaja
Alles kann man nicht wissen. Auch nicht als Architekt. Wenn es die Bauaufgabe also erfordert und einem der Stoff ausgegangen ist, wendet man sich an Chefköche, Schwimmbadexperten, Krankenschwestern oder Bestattungsunternehmer. Sie alle wissen es in ihrem Metier jeweils besser und stehen dem Architekten mit Rat und Tat zur Seite. Einzig den Jüngsten unserer Gesellschaft schenkt man wenig Vertrauen - das Allround-Argument: „Wir waren sowieso alle einmal Kinder.“ Dieses „sowieso“ wird zu einem sehr relativen Begriff, wenn der besagte Zustand einmal mehr als ein viertel oder halbes Jahrhundert zurückliegt.

Kinder besitzen Kompetenzen und Fähigkeiten, die ihnen Erwachsene nicht zutrauen. „Schon mit zwei bis drei Jahren können Kinder über sich selbst reflektieren und Entscheidungen treffen“, bemerkt Richard Schröder in seinem Buch „Freiräume für Kinder(t)räume“. Die Siebziger- und Achtzigerjahre waren rege Zeugen von Projekten, in die Kinder einbezogen wurden. Doch die Schul- und Wohnbauten aus dieser Zeit blieben allein, der Aspekt der Wirtschaftlichkeit hat dem idealistischen Bestreben dieser wenigen Architekten ein rasches Ende bereitet.

Umso erfreulicher ist nun ein Comeback in Wien-Hietzing: der erste naturnahe Erlebnisspielplatz. Ein Partizipationsprojekt, in das Erwachsene und Kinder gleichermaßen einbezogen wurden. Der Prozess reicht bis ins Jahr 1998 zurück, als der damalige Landtagsklub des Liberalen Forums eine Untersuchung zu Spielplätzen in Wien durchgeführt hat. Gibt es in Wien einen naturnahen Erlebnisspielplatz? Das Resultat war verheerend, weit hinter den Vorreitern Bayern und Zürich dümpelte irgendwo Wien.

Naturnähe bedeutet hierzulande Rindenmulch auf dem Boden und Sandkisten aus Vollholz, die Erlebniskomponente beschränkt sich auf die Schaukelei. „Naturnah bedeutet: nichts einzuzäunen, nichts zu versiegeln, sondern mit natürlichen Mitteln eine Landschaft zu bauen“, erklärt Volker Dienst von „in progress consulting“, zuständiger Koordinator des Projekts, „naturnah bedeutet aber auch, eine gewisse Gstätten zu akzeptieren.“ Ex-Stadträtin und Vizebürgermeisterin Grete Laska ließ das damals aber kalt, sie machte sich um die ohnehin guten Spielmöglichkeiten in Wien keine Sorgen. Und so sah sich die damalige Landtagsabgeordnete Michaela Hack-Sauer dazu veranlasst, im Wiener Gemeinderat ein Pilotprojekt zum Thema „Naturnaher Erlebnisspielplatz“ zu beantragen: keine Thujen, kein Gummibelag, keine Hundewiese unter blühenden Holunderbüschen. Stattdessen eine kleine Stadt-Oase, in der ausnahmsweise einmal nicht die Architekten und Magistrate das alleinige Sagen haben. Damit wird das Projekt dem neuen deutschen Kinder- und Jugendhilfegesetz gerecht, das Städte und Gemeinden auffordert, Kinder und Jugendliche zu beteiligen, und in dem es in ¶ 8, Abs. 1 heißt: „Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen.“ In Österreich ist ein entsprechender Passus auf Bundesebene nicht zu finden.

Wien ist - damit rühmt man sich heute immer noch - anders, aus der zuständigen Magistratsabteilung 42 (Stadtgartenamt) hörte man stolz: „Wir haben noch nie eine Projektplanung aus der Hand gegeben!“ Zum Glück haben sie es dann aber doch noch getan. Im Hietzinger Stadtteil Speising ist am Furtwänglerplatz letzte Woche der erste Spielplatz dieser Art fertig gestellt worden, für die Landschaftsarchitektur zeichnet das Büro „PlanSinn“ verantwortlich. Auf 5000 Quadratmetern gibt es einen Rodelhügel, verschlungene Wege und Wiesen, die je nach Topografie für Ballspiele zum Teil gemäht, zum Teil aber auch dem natürlichen Wachstum überlassen werden.

Doch dann fängt erst die Kür an: eine Schaukel für mehrere Kinder, eine Sandfläche, die über den Kistenstatus hinausgeht und in die man auf einem flachen Steg mit dem Rollstuhl hineinfahren kann, eine in der Sandfläche stehende mechanische Wasserpumpe und damit auch die daraus resultierende Konsistenz Matsch. Klettergestelle in den verschiedensten Formationen und Weideskulpturen, die gemeinsam mit den Kindern gebaut wurden und in die man hineinkriechen kann. Zu guter Letzt ein „Baumhaus ohne Baum“, aus einem Wettbewerb an der TU Wien hervorgegangen, an dem 600 Studenten teilnahmen und den Belinda Kainrath für sich entscheiden konnte.

Ein Juwel in Hietzing? „Die MA 42 wollte ständig alles einzäunen“, erklärt Michael Mellauner von „PlanSinn“, doch man müsse sich einmal vor Augen halten: „Die Einzäunung richtet sich nie an die Kinder, sondern immer gegen die Hunde.“ Statt eines Zauns ist die gesamte Spielfläche nun von einem leichten Niveausprung gesäumt. An der Geländekante sind sogenannte Gabionen zum Einsatz gekommen, „ein archaisches Element, das zwischen Künstlichem und Natürlichem steht“, so Mellauner. Man kennt die mit Steinen gefüllten Stahlgitterkäfige unter anderem von Herzog & de Meuron, die im Dominus-Weingut in Nappa Valley diese Gabionen erstmals zu einem architektonischen Gestaltungselement erklärt haben. Praktisches Detail am Rande: Die Gitter sind genau so grob, dass man in Kinderpatschen bequem drüberstapfen kann, für die Hundepfote wird's aber schon schmerzhaft.

„Freude am Abenteuer und Bestehen eines Risikos als Bestandteil des Spielwertes sind im Rahmen kalkulierter spielerisch-sportlicher Betätigung erwünscht“, schreibt die Deutsche Internationale Norm DIN 18034 über Spielplätze und Freiflächen zum Spielen vor. Wird das auch praktiziert? „Leider überhaupt nicht“, so Michael Mellauner, „wir haben nun für einen Park gekämpft, in dem man zumindest auch Essbares finden kann. Der erste in Wien!“ Im Klartext: Die Kinder können selbst entscheiden, ob sie von Kriecherln, Preiselbeeren oder von zwar essbaren, aber nicht eben wohlschmeckenden Beeren naschen möchten. Am Ende bleibt die Erfahrung am eigenen Leibe.

Und wo liegt nun die Partizipation an diesem Projekt? Sie liegt im relativ geringen Mehraufwand, nicht im Alleingang drauflos zu planen, sondern sich in jeder Planungsetappe mit Anrainern und Kindern zusammenzusetzen. Volker Dienst: „Insgesamt vier Informationsabende mit den Anrainern, an denen sie mit abstimmen und mitentscheiden können, und ein dreitägiger Workshop mit Kindern, deren Resultate dann in die Planung von ,PlanSinn' eingeflossen sind.“ Keine Hexerei also. Den planenden und ausführenden Instanzen wird zwar keine Arbeit abgenommen, doch sie können sich von konkreten Wünschen inspirieren lassen. Im Gegensatz zur allseits prakti-zierten „Wir-waren-sowieso-alle-einmal-Kin- der“-Attitüde ist diese Lösung eine Auseinandersetzung mit fundierten Tatsachen. Hoffentlich müssen nicht wieder zwanzig Jahre vergehen, bis jemand die Größe beweist, Verantwortung zu delegieren und sich über die bereichernde Komponente der Mitbestimmung drüberzutrauen.

Mittwoch, den 14. Mai, wird der erste naturnahe Wiener Erlebnisspielplatz um 15 Uhr eröffnet (Wien XIII, Furtwänglerplatz).

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