Bauwerk

Atriumhaus
Roland Gnaiger, Udo Mössler - Dornbirn (A) - 1999
Atriumhaus, Foto: Eduard Hueber

Der diskret ernüchterte Luxus

Das Einfamilienhaus kann nicht länger als höchste Steigerungsform kultivierten Wohnens mit Grünbezug gelten. Roland Gnaiger und Udo Mössler verbinden bei ihrem Atriumhaus in Dornbirn minimalen Baulandverbrauch mit maximalem Wohnwert.

11. September 1999 - Walter Chramosta
Nachdem ein heiterer, mutiger, zweckmäßiger und gesunder Ort gefunden ist, mache man sich an seine elegante und zweckmäßige Aufteilung. Zwei Arten von Gebäuden sind bei der Villa notwendig: eines zur Wohnung für den Herrn und seine Familie und das andere zur Verwaltung und Bewachung der Eingänge und Tiere der Villa. Deshalb muß man die Anlage so aufteilen, daß beide Funktionen einander nicht im Wege stehen.“ Die planerische Richtschnur für das feudale Landhaus, die der Vicentiner Architekt Andrea Palladio 1570 in seinem folgenreichen Traktat „Die Vier Bücher zur Architektur“nahelegt, reflektiert die seinerzeitige gesellschaftliche Ordnung.

Die Villa ist für Palladio ein funktional weit ausdifferenzierter Komplex auf dem Lande. Die vorindustrielle Wirtschaftsweise verknüpft sich in seinen Landvillen mit feiner Wohnkultur; im Stadtpalast verräumlicht sich dagegen die urbane Lebensart. Mit der Industrialisierung rücken Stadt und Land zusammen, die Werkshallen lösen die Ställe und Felder als Orte der Wertschöpfung ab, aber die noblen Wohnstätten bleiben in deren Nähe. Die Fabrikanten treten als Bauherrn an die Stelle des Adels. Ihre Villen sind fabriks- und stadtnahe situiert, sie umgeben sich nicht mehr mit ausufernden Landwirtschaften, sondern mit Landschaftsgärten.

Im Dornbirner Stadtteil Oberdorf sind einige Musterexemplare dieser Fabrikantenarchitekturen samt zugehörigen Gärten erhalten. Sie sind Beleg der im letzten Viertel des Jahrhunderts beginnenden Industrialisierung einer Dorfgruppe, die Dornbirn letztlich zum Vorarlberger Textilzentrum machte. Die vom verfeinerten Lebensstil und den polyglotten Bezügen der Dornbirner Industriellen in der Gründerzeit zeugenden Villen stehen heute freilich auch nicht mehr für aktuelle Lebensstile.

Von Dienerschaft betreute großbürgerliche Familien sind längst verstreuten Kleinfamilien gewichen. Gegenlaufend zu den Konzentrationsprozessen in der Industrie, wird die soziale Struktur immer feinkörniger. Die sich daher auf hochpreisigem Bauland und in hochattraktiven Grünräumen wie im Dornbirner Cottage stellenden Wohnbauaufgaben führen zwar richtigerweise das städtebauliche Thema der Villa weiter, aber nicht den tradierten Bautyp.

Die innere Logik einer heutigen Stadtvilla ergibt sich aus zu denen der palladianischen Land- oder der gründerzeitlichen Fabrikantenvilla konträren funktionalen Voraussetzungen: Angemessenheit, Praktikabilität und Anonymität gehen vor Einzigartigkeit, Repräsentation und Signifikanz. Selbst für Bauherrn, die sich ein Einfamilienhaus am Stadtrand leisten könnten, ist neu geschaffener Wohnraum dieser Art auch im Geschoß attraktiv. Roland Gnaiger und Udo Mössler verwirklichen mit ihrem Atriumhaus an der Ecke Rosenstraße und Wingatstraße genau solche Ansprüche. Ihr aus einem Wettbewerb siegreich hervorgegangener Entwurf kann als architektonisch innovativer Beitrag zum Thema noblen urbanen Wohnens gelten, weil er einerseits die Idee der Gemeinschaft der Miteigentümer räumlich mit einer dreigeschoßigen Steigerungs-Halle für jede Partei dienstbar darstellt, andererseits in den Wohneinheiten ein Höchstmaß an Individualisierung und Nutzungsoffenheit vorsieht. Die Randbedingungen für die außergewöhnliche Lösung mit maximal 24 um ein überglastes Atrium gruppierten Wohnungen waren ideal und werden sich selten wiederholen.

Ein 3000 Quadratmetergroßes, von der Stadtmitte fünf Gehminuten entferntes und trotzdem ruhiges Grundstück, in Sichtweite einer der typischen Fabrikantenvillen gelegen und an deren ausgereiftem Garten teilhabend, ein architekturfühliger Bauträger, der sich zutraute, ein Objekt um einen Quadratmeterpreis von 50.000 Schilling (3634 Euro) zu vermarkten, und nicht zuletzt ein kunstsinniger Initiator und Grundeigner, der in den Neubau einziehen wollte.

Das Ergebnis ist ein Solitär von kubischer Gestalt, mit markant angesetzten Loggien, betont hochwertiger Materialisierung und inniger Einbettung in das leicht fallende Gelände – spürbar ein Konstrukt, das nicht auftrumpfen will, sondern in der Komplettheit der gediegenen Durcharbeitung diskret ernüchterten Luxus manifestiert. Die Eigner des Baus können sich über diese Architektur zwar nicht persönlich darstellen, aber sie definieren kollektiv einen Höchststandard im Geschoßwohnbau.

Gnaiger/Mössler konzentrierten sich gleichermaßen auf die Bauwerksgestaltung wie auf die Ordnung des Außenraums. Ihre Stadtvilla sitzt daher, die Parklandschaft freihaltend, knapp am Südostrand des Bauplatzes; hier ist durch Abgrabung des Hanges und eine Stützmauer ein Gartenhof entstanden, der erlaubt, daß sich im Erdgeschoß auch bergseitig die Wohnungen großzügig öffnen können. Der Zugang erfolgt daneben, vom höchsten Punkt des Grundstücks leicht abwärts, beschirmt von einer alten Linde. Auch der Rest des Grünraums ist, als gemeinschaftlicher Garten, von Barbara Bacher und Ilse Huber überzeugend vorformuliert. Zur prototypischen Gestaltung des Grundrisses der Wohnungen gesellt sich jene des Gartens. Da sich eine Villa immer über die schönende, oft distanzierende Beherrschung des umgebenden Territoriums definiert hat, liegt in der schmuckverweigernden, raumbejahenden, nutzerorientierten Gartenkonzeption eine neue, über sie hinausweisende programmatische Aussage.

Das architektonische Herz des Hauses, das Atrium, wirkt durch die Ausrüstung in Sichtbeton und Lärchenholz spartanisch-feierlich. Der an drei Seiten umlaufende Kranz von Wohnungen ist durchgängig parallel zu den Fassaden zoniert, sodaß sich die in Modulen entworfenen Wohneinheiten beliebig koppeln lassen.

Gemessen an der weitgehenden Kanonisierung der Bauformen und den weitgreifenden Territorialansprüchen bei den historischen Villen, erreicht der Bau von Gnaiger/Mössler ein Minimum an Zeichenhaftigkeit und Landverbrauch, zugleich aber ein Höchstmaß an stiller, weil gesellschaftlich kompatibler Funktionalität. Ein mit den egalitären Zielen der Moderne eng verknüpfter, nicht abgeschlossener Prozeß der Verinnerlichung des Privaten, der Entzerrung alter Hierarchien von sozial konnotierten Architekturen kommt hier zu einem erfreulichen Zwischenstand.

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