Bauwerk

Wohnanlage ´Mitterweg´
Baumschlager Eberle Architekten - Innsbruck (A) - 1997
Wohnanlage ´Mitterweg´, Foto: Eduard Hueber
Wohnanlage ´Mitterweg´, Foto: Eduard Hueber

Know-how aus dem Ländle

Kostengünstig bauen und dabei sehr hohe Wohn- und gestalterische Qualität erzielen - daß das möglich ist, beweisen Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle: Ihre zwei Baukörper sind zudem robust genug, um sich an der Innsbrucker Peripherie zu behaupten.

25. April 1998 - Liesbeth Waechter-Böhm
Zum Thema Wohnbau kann man den beiden Vorarlberger Architekten Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle nichts erzählen. Dafür beschäftigen sie sich schon zu lange damit: Zuerst waren es noch kleine Siedlungen im verdichteten Flachbau, die teilweise in Eigenleistung der Bauherrn errichtet wurden; dann waren es Geschoßwohnungsbauten und teilweise auch recht große Wohnanlagen, denn im Ländle, wo immer noch jeder vom Einfamilienhaus träumt, wird der Boden knapp. Die beiden Wohnhäuser, um die es hier geht, wurden allerdings nicht in Vorarlberg realisiert. Sie stehen vielmehr in einer nicht sonderlich attraktiven Gegend von Innsbruck, ganz in der Nähe des Flughafens, nicht weit von der Autobahn jenseits des Inns und in einer heterogenen Umgebung, die die typischen Merkmale der Peripherie aufweist.

Baumschlager & Eberle haben Die 60 Wohneinheiten, die sie für einen Tiroler Bauträger geplant haben, auf zwei Baukörper verteilt, wobei es sie heute noch schmerzt, daß das niedrigere Haus nicht ein Geschoß mehr haben durfte. Städtebaulich wäre es besser gewesen, auch die Gegend hätte es vertragen, und die größere Dichte hätte sich auch kostenmäßig –gefordert war übrigens ein mit 12.500 Schilling (893 Euro) sehr niedriger Quadratmeterpreis –positiv ausgewirkt. Die Innsbrucker Stadtplanung war trotzdem dagegen, wiewohl jetzt, im nachhinein, dem Vernehmen nach doch so manchem Beamten ein Licht aufgegangen ist...

Die Häuser können aber ohnehin sehr viel. Sie weisen zum Beispiel ein höchst komplexes Haustechnikkonzept auf. Jede Wohnung verfügt etwa über eine kontrollierte Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung, wobei die Frischluft im Erdkollektor vorgewärmt und über ein dezentrales,individuell steuerbares Lüftungsgerät eingebracht wird; mit einem Nachheizregister und über den Raumthermostat kann die Temperatur dann noch zusätzlich nachgeregelt werden; und die verbrauchte Luft wird abgesaugt, über das Lüftungsgerät geführt und schließlich über Dach ausgeblasen.

Eine Solaranlage, die jeweils auf den (extensiv begrünten) Flachdächern der Häuser installiert und seriengeschaltet (20 Prozent Mehrleistung!) ist, dient zur Warmwasseraufbereitung, gerechnet wird dabei mit einem Deckungsgrad von rund 70 Prozent. Und das Regenwasser wird in einem Betonspeicher gesammelt und für die WC-Spülung genutzt. Auch hier ist der voraussichtliche Deckungsgrad beachtlich: 75 Prozent.

Die Architekten mußten alle diese Einrichtungen in Zusammenarbeit mit Fachplanern exakt vorausberechnen, ehe sich der Bauträger darauf einließ. Und sie mußten nachweisen, welche zusätzlichen, bauseitigen Maßnahmen notwendig sein würden, um einen hohen Wirkungsgrad zu erzielen: Zu diesen Maßnahmen zählt etwa die besonders hohe Wärmedämmung (24 Zentimeter an den Außenwänden, 30 Zentimeter im Bereich des Daches), dazuzählt aber auch der genau festgelegte Anteil der Öffnungen – Fenster, Balkontüren – in der Fassade.

Aber auch wenn man das alles nicht weiß – und man sieht es den Häusern ja nicht an, was sie in Wirklichkeit zu bieten haben –, bleibt auf der architektonischen Ebene immer noch genug, über das sich gerade imTiroler Umfeld diskutieren läßt. Denn in Tirol steht ein Haustyp dieses Zuschnitts gewissermaßen als Unikat da: kubische, äußerst kompakt organisierte Baukörper, die zentral erschlossen und einfach in jeder Hinsicht sehr, sehr ökonomisch sind – also nicht nur was die Baukosten betrifft, sondern vor allem auch im Hinblick auf die Betriebskosten.

Städtebaulich läßt sich mit diesen Bauten zwar nur bedingt auf das konkrete Umfeld reagieren, aber wenn man etwa an Stadtrandgebiete denkt, die sich ja überall mehr oder weniger gleich präsentieren–heterogen, ungeordnet, unmaßstäblich –, dann ist dieser Haustyp robust genug, trotz widriger Umstände eine gewisse Präsenz zubehaupten, und flexibel genug, durch eine jeweils anders gelöste „Karosserie“ auch immer wieder anders auszusehen.

Die Häuser der Wohnanlage Mitterweg zum Beispiel haben Eine Holzfassade. Das stimmt allerdings nicht ganz: Denn die äußerste Gebäudehülle besteht zwar aus einem Rost aus Eichenholz, aber diese semitransparente Schicht schirmt nur eine Art Pufferzone mit den Balkonen ab, die jeder Wohnung zugeordnet sind. Die Hauptfassade, die man von außen mehr spürt, als daß man sie sieht, liegt in einer zweiten Schicht dahinter.

Man könnte einwenden, daß Holz kein sonderlich urbanes Material ist. Aber merkwürdigerweise greift dieser Einwand hier nicht. Die Häuser büßen nichts von ihrer städtischen Gestik ein, dafür nimmt ihnen das Holz mit seinen haptischen Qualitäten etwas von der Härte, die diesen recht beachtlich dimensionierten Baukörpern eben doch auch innewohnt.

Diese zweite, äußere Schicht ist nicht nur aus formalen Gründen da.Sie dient auch als Schutzschild gegenüber den Emissionen der Umgebung, und sie schützt gewissermaßen die Architektur. Und zwar schützt sie diese vor den – nennen wir es: gestalterischen Übergriffen der Bewohner. – Man kennt das von vielen Wohnanlagen. Da plant der Architekt strenge, disziplinierte Häuser, und dann kommen die Mieter und richten sich auf den Balkonen, Loggien, Terrassen ein; und was daraus resultiert, das ist eine Baumarkt-Ästhetik aus Schilfmatten, bunten Sichtschutzplanen, Sonnenschirmen, Plastiksesseln und sonstigen einschlägigen Accessoires der Selbstverwirklichung. In der Regel heißtes: Gute Architektur muß das aushalten. Und es heißt auch: Man kann den Mietern nicht vorschreiben, wie sie wohnen. Beides ist richtig.

Andererseits: Wenn man sich diese beiden sehr stark geometrisierten Baukörper ansieht – und in formaler Hinsicht sind sie ja sehr schlicht, Wirkung entfalten sie vor allem durch ihre Fassadengeometrie –, dann muß man einräumen, daß von der Architektur nicht viel übrigbliebe, wäre sie solcher üblichen Individualisierung ausgesetzt. Die Lösung, durch einen Eichenholzrost die Fassade zu vereinheitlichen, ohne aber die Bewohner daran zu hindern, von ihren Freibereichen beliebigen Gebrauch zumachen, ist insofern berechtigt – und intelligent.

Übrigens ist es verblüffend, daß trotz des niedrigen Quadratmeterpreises und der vielen zusätzlichen Einrichtungen ein so teures Material wie Eiche überhaupt möglich war. Aber die billigere Lärche wäre am Mitterweg ein Risikofaktor gewesen, weil die Häuser keinen Dachvorsprung haben, das Holz der Witterung also besonders ausgesetzt ist. Und da zum umfassenden Konzept dieser Wohnanlage Auch die Frage der Nachhaltigkeit zählte, war die Eiche gegenüber dem Bauträger zu argumentieren.

Überhaupt muß darauf hingewiesen werden, daß die Häuser keineswegs einen billigen Eindruck machen, sie sehen nicht nach einer Sparvariante von Wohnbau aus. Eher schon liefern sie den Beweis, daß man sehr kostengünstig bauen und doch sehr hohe Qualität erzielen kann.

Die verwendeten Materialien, die Oberflächenqualitäten sind nicht schlechter als anderswo – bis hin zu den Parkettböden in den Wohnungen oder akustischen Maßnahmen im Stiegenhaus. Letzteres verdient, eigens erwähnt zu werden: Denn es ist mit seinem elliptischen Zuschnitt wirklich von unvermuteter Großzügigkeit und Eleganz, sodaß es als sehr angenehmer Raum und nicht bloß als Weg, als Erschließung empfunden wird.

Detail am Rande: Die Wohnungseingänge sind paarweise und über Eck organisiert und zwar jeweils in einer Nische, die man als räumliche Schichtung auffassen könnte; das Stiegenhaus selbst–halböffentlich, die Nische vor den Wohnungstüren –halbprivat.

Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle – Dietmar Steiner zufolge die Shooting-Stars der Vorarlberger Szene –haben im Bereich des Wohnbaus ein Niveau erreicht, das wohl nicht so leicht jemand überbietet. Und sie sind längst nicht mehr nur in Vorarlberg tätig: In der niederösterreichischen Landeshauptstadt etwa haben sie eine Wohnanlage gebaut, die so gut angekommen ist, daß es eine Fortsetzung geben wird; in Tirol folgt der Wohnanlage Mitterweg bald eine zweite, viel größere; auch in der Schweiz hat sich das Know-how der Vorarlberger Architekten herumgesprochen.

Man wundert sich, daß gerade in der österreichischen Bundeshauptstadt, wo man auf die Qualität des Wohnbaus doch soviel Wert legt, die Meinung vorzuherrschen scheint, die Vorarlberger Baukunst sei eine vernachlässigbare Größe. Aber Wien hält sich nach wie vor bedeckt.

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