Bauwerk

Dachterrasse Wien 17
Gisela Podreka - Wien (A) - 1999
Dachterrasse Wien 17, Foto: Walter Zschokke
Dachterrasse Wien 17, Foto: Walter Zschokke

Zwei Treppen über dem Alltag

Ob Loggia, Balkon oder Dachterrasse: eine private Aussenwohnfläche erhöht den Wohnwert beträchtlich. Gisela Podreka hat die Umgestaltung eines Althauskonglomerats in Wien-Hernals mit einem Dachgarten gekrönt, der ohne weiteres ein Wochenendendhaus ersetzt.

6. August 1999 - Walter Zschokke
Die Bretterroste es Bodens erinnern ein wenig an ein Schiffsdeck, anstelle einer Reling ziehen sich jedoch Pflanzentröge um das Bord. Das Häusermeer der Wiener Außenbezirke umbrandet hier eine kleine Insel: den Pezzlpark hinter dem Jörgerbad in Wien-Hernals.

Diesem von Leben erfüllten Grünraum ist er Dachgarten zugewendet. Der Ausblick gleitet über Baumkronen, hakt sich kurz fest an kaminbezahnten Dachfirsten und verliert sich in er wolkigen Weite es Himmels. Sehr viel Himmel, wie wir das sonst in der Stadt kaum gewohnt sind, überspannt das Sonnendeck. Er vermittelt ein Gefühl von Freiheit, von Entrücktheit – dabei liegt der Alltag bloß zwei,drei Treppen tiefer in den Bürogeschoßen.

Doch handelt es sich hier nicht um ein simples flaches Dach. Die Attika ist gesäumt von bepflanzten Trögen, in denen Blauraute, Schafgarbe und Lavendel mit Königskerzen und Karden abwechseln. Zur zarten Metallpergola ranken sich Glizinien hoch; empfindlichere Gewächse wie Feigen und Rosmarin wurzeln in Töpfen und können in der kalten Jahreszeit eingestellt werden.

Der konzeptionelle Entwurf für diese reichhaltige Bepflanzung stammt von der Landschaftsarchitektin Anna Detzlhofer. Sie weist darauf hin, daß die trockenen Stauden auch im Winter, bereift oder beschneit, einen interessanten Anblick bieten, weshalb sie erst im Vorfrühling zu schneiden sind. Jetzt, im Sommer, mag man noch nicht daran denken, sondern freut sich über en privaten Charakter,den die Pflanzen der Terrasse verleihen und sie in einen Dachgarten verwandeln, wo man in angenehmer Entrücktheit von der Adria träumen kann. Ein Zuviel an Sommersonne halten verschiebbare Stoffbahnen ab, die auch gänzlich eingezogen werden können, da man die Altweibersommer- und Frühjahrssonne ja ganz gern direkt genießt.

Eine solche Dachterrasse mit Bepflanzung ersetzt locker das Wochenend haus. Man spart sich Straßenverkehr und Schlepperei. Dabei muß sie gar nicht besonders groß sein. Es reicht, wenn sie von der Lage her und gestalterisch eine Welt für sich schafft, damit das Gefühl, dem Alltag ein wenig entronnen zu sein, zur Gewißheit werden kann. Sowohl in der Gesamtenergiebilanz als auch ökonomisch wirkt sich das positiv aus.

Natürlich gab es schon früher Dachzinnen, Söller, Altane; doch sie waren nicht für einen längeren Aufenthalt gedacht, sondern dienten meist als Ausguck. Und die Dachterrassen, die Le Corbusier 1922 in seinen fünf Punkten forderte, sind für heutige Bedürfnisse zu karg. Es bedurfte einer Kooperation mit Gärtnern und Landschaftsarchitektinnen, um jenes spezifische Zusammenwirken von Natur und Bauwerk zu erzielen, das Zufriedenheit schafft.

Das Wohnen im Dachgarten als zeitgenössisches Phänomen paßt zur Renaissance des Urbanen. Es verweist auf eine Wende in einer Entwicklung, die durch Stadtflucht und desurbanistische Strömungen in Architektur und Städtebau geprägt worden war. Nun wir man nicht jeder Wohnung einen Dachgarten zuteilen können. Dennoch ist im Außen-Wohnbau vermehrt darauf Bedacht zu nehmen, daß jede Wohnung über eine qualifizierte, möglichst ungestörte Außenwohnfläche verfügt. Das kann eine Loggia, ein kleiner Hof, ein vernünftig situierter Balkon oder eben eine Dachterrasse sein. Damit werden Bedürfnisse gestillt, die sich sonst in zusätzlicher Zersiedelung durch Wochenendhäuser äußern.

Schon sind die Mauersegler abgereist. Vor lauter sommerlicher Dachgartenbegeisterung wäre fast verschütt gegangen, daß unter jeder Dachterrasse auch ein Haus steckt. In unserem Fall hat es sogar eine rekonstruierbare Geschichte. Zu Beginn war es ein Hofgebäude und der Bergsteiggasse zugeordnet. Dicke, mehrschalige Wände schützten einen großen Eisraum vor sommerlicher Wärme, darunter befand sich ein Bierlager, das von der Eisluft und dem Tauwasser gekühlt wurde. Daneben schloß ein Pferdestall an.

Das zweigeschoßige Gebäude wurde 1929 von Kurt Gessner mit zwei zusätzlichen Geschoßen versehen, reichlich befenstert und in seiner Orientierung zum mittlerweile Park gewordenen rückwärtigen Raum gewendet. Nun blickt es mit der Hauptfront nach Westen, die sich in einer flachen Pilasterordnung über zwei Geschoße und darüber in zwei Bandfenstern äußert, deren Teilung für die Moderne ungewohnt kleinmaßstäblich ist. Genutzt wurde das viergeschoßige Bauwerk nun als Putzerei und Büglerei.

Auf seinen Stadtwanderungen war es Friedrich Achleitner aufgefallen, der das mittlerweile leerstehende Gebäude in seinen Führer aufnahm. Wäre der Grund nicht so knapp und die Verwertbarkeit nicht fraglich gewesen, stünde heute ein neues Haus an seiner Stelle. Der Möglichkeitssinn der Architekten Gisela und Boris Podrecca bot die Chance einer Sanierung: Büronutzung in den unteren zweieinhalb Geschoßen, darüber Wohnen. Wichtig war deshalb ein zweiter Zugang, der mit dem erneuerten Aufzug die Wohnung erschließt, während die Treppe vor allem dem Büro dient, aber auch bis zur Dachterrasse reicht.

Gisela Podreka, die das Projekt mit ihrem Atelier betreute, vermied modischen Schnickschnack. Schadhafte Stellen und Bauteile wurden erneuert und die Grundfesten trockengelegt. Die teils wild gewachsene Konstruktion ist sichtbar und zeugt von der wechselhaften Baugeschichte. Der relativen architektonischen Qualität wurde mit Selbstverständlichkeit begegnet.

Dies ist auch er Grund, warum das Bauwerk einer Betrachtung wert ist, denn die Mehrzahl der Bauaufgaben wäre von den Entwerfern in dieser Art zu bearbeiten. Denn sie taugen nicht zum Manifest und schon gar nicht zur Manifestkopie, an der vor allem abzulesen ist, wo abgekupfert wurde. Dies würde zu einem Sammelsurium aufgesetzter Secondhand-Gestaltungen führen. Daher mein regelmäßiges Insistieren auf sorgfältig durchgeführten Selbstverständlichkeiten, die des Spektakels nicht bedürfen. Der Dachgarten ist dafür krönender Abschluß.

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