Bauwerk

Haus Amalienstrasse
Jürgen Radatz - Wien (A) - 2006

Ein Haus für alle Lebenslagen

Ein solides Hietzinger Vorstadthaus wurde umgebaut und aufgestockt. Architekt Jürgen Radatz ordnete im thermisch sanierten Bestand Praxis und private Schlafebene an, unauffällig fügen sich die zwei neuen Wohngeschoße ins ruhige Straßenbild.

27. Januar 2007 - Isabella Marboe
„Als ich das erste Mal hier war, sah ich erstmals im Leben eine Sternschnuppe“, erinnert sich heute die Baufrau zurück. „Da spürte ich bereits, das ist mein Haus.“ Die Sternschnuppe ist fast zwanzig Jahre her. Das Haus war damals noch in Besitz der alten Generation, erst später gelangte es über eine Erbschaft in die jungen Hände der beiden Bauherren. Lang zögerte man mit dem Ausbau. „Vierzig Jahre wurde nichts investiert, es wirkte wie ein Abbruchhaus.“ Doch die Alternativen waren teuer und von der Lage nicht vergleichbar, das dritte Kind war zudem schon unterwegs. Die Familie brauchte dringend Platz, also ließ man den Bestand von einem Statiker prüfen.

Das 1892 erbaute Hietzinger Vorstadthaus mit Keller, Erdgeschoß, erstem Stock und Satteldach war problemlos ausbaubar. Knapp über zehn Meter Traufhöhe erlaubte die Bauordnung. Architekt Jürgen Radatz konnte das alte Dach durch zwei neue Geschoße ersetzen. Man wollte für die Zukunft bauen und gerüstet sein: Das inkludierte eine ebenerdige Arztpraxis, eine spätere Teilbarkeit der Wohnebenen in zwei separate Einheiten sowie einen Lastenaufzug. „Ich habe drei Kinder, das Meiste muss ich schleppen“, sagt sie. „Im Alter wollen wir dann nicht auch noch schwer tragen“, entgegnet er.

Behutsam umgebaut

Was intakt war, blieb erhalten. Neues wurde klar ablesbar in zeitlos moderner Architektursprache hinzugefügt. Die schlichten Isolierglasfenster geben gar nicht erst vor, alt zu sein. Ruhig hebt der Aufbau mit einem transparenten Fensterband an. Sein leichtes, verblechtes Vordach reagiert auf die Gesimse nebenan und bildet eine optische Zäsur, hinter der das Dach unmerklich ansteigt. Auf der Hofseite im Süden holen die zwei Leichtbaugeschoße mit Terrassen und einem Pflanzentrog Luft, Sonne und großzügiges Gartengefühl aufs Dach.

Rigoros umgewidmet

Im hellen Eingangsfoyer führen Stufen mit Kinderwagenrampe zur Arztpraxis. An den Straßenfenstern liegt der Warteraum, die zwei Behandlungsräume haben Gartenblick. Durchs Fenster fallen die zersägten Träme des alten Dachstuhls auf - sie wurden sorgfältig aufgeschlichtet und säumen nun als efeuumrankte Mauer die Westgrenze.

Der Weg zur Wohnung indes führt geradeaus am Lastenaufzug vorbei über die alte Treppe. In die hohen Räume unter der Dippelbaumdecke des ersten Stocks nisteten sich Kinder- und Schlafzimmer ein. Eltern und Tochter profitieren von der Umwidmung des Kabinetts in zwei Schrank-räume. Im edlen Bad mit Schieferboden und verspiegelter Stauraumwand lachen Sonne und abermals Gartenblick durchs Fenster.

Darüber beginnt das eigentliche, luftige Wohnen im Holzleichtbau. Durch die Glasbrüstung am Ende der alten Dachbodentreppe taucht der Blick gleich in die offene Ebene mit Lesegalerie. Der Quasi-Einraum bleibt möbelfrei und lässt das Licht vom Luftraum im Norden bis zum Esstisch im Süden ungehindert fluten. In der Küche fällt das letzte warme Abendlicht durch die Sonnenschutzlamellen. „Das ist der schönste Platz im Haus, da braucht man keinen Urlaub mehr“, sagen die Bauherren. Als weißes, abstraktes Mauerband wickelt sich die Treppenbrüstung weiter um die Galerie. Von dort kann man ins Wohnen oder von der Südterrasse bis zum Lainzer Tiergarten blicken.

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