Bauwerk

Passerelle sur le Rhin
Dietmar Feichtinger Architectes - Weil am Rhein (D) - 2007

Großer Wurf für weiten Bogen

Elegant, städtebaulich sensibel, und ein Weltrekord: die 230 Meter weite Rad- und Fußgängerbrücke über den Rhein. Ein Werk der Auslandsösterreicher Dietmar Feichtinger und Wolfgang Strobl.

4. Februar 2007 - Walter Zschokke
Als Erste nahmen die Möwen Besitz vom neuen Bauwerk, das eine Fähre zwischen dem deutschen Weil am Rhein und dem französischen Huningue ersetzt. Während sie den Vögeln als temporärer Aufenthaltsort dient, ist die Brücke für die Menschen in den urbanen Gebieten beidseits des Stromes als verbindendes Element von alltagspraktischer und symbolischer Bedeutung. Sind es doch im Rheinknie, zwischen Groß- und Kleinbasel, wo der Strom, von Osten kommend, sich nach Norden wendet, fünf Brücken, ein Wehrübergang und vier Fähren, die den Austausch sichern, während erst weit unterhalb der „Pont Palmrain“ auch Fußgängern und Radfahrern einen Übergang anbietet.

Die neue Brücke ist trotz der Weite des Stromes von 240 Metern ein urbanes Bauwerk. Sie liegt auf deutscher Seite in der Verlängerung der „Hauptstraße“ von Weil und trifft auf französischer Seite auf die „Rue de France“, die nach 200 Metern in die zentrale „Place Abbatucci“ mündet. Dies legt ihre städtebauliche Bedeutung fest. Und selbst Bewohner von Kleinbasel freuen sich über diesen direkten Radweg ins Elsass. Von der Brücke aus genießt man stromaufwärts beste Sicht auf die manövrierenden Schiffe vor dem Basler Rheinhafen, und im Hintergrund sind die Bauten des in Transformation befindlichen Novartis-Campus zu erkennen.

Die Stadt Weil am Rhein als Vertreterin der Bauherrschaft, der „Communauté des Trois Frontières“, war daher gut beraten, als sie 2001 einen Wettbewerb ausschrieb, den die Arbeitsgemeinschaft Feichtinger Architectes, Paris und Leonhardt, Andrä und Partner, Berlin gewann. Knappe 200 Meter unterhalb des politischen Einflussbereichs der Basler Stararchitekten schlug das Siegerteam eine elegante Stahlbogenbrücke vor, die mit einer einzigen Öffnung von 230 Metern den Rhein überspannt. Die Fahrbahnplatte dient als Zugband, sodass außer den Windlasten nur senkrechte Auflagerkräfte zu bewältigen sind. Um die Sicht auf den historischen Turm am Hauptplatz von Huningue nicht zu verstellen, verläuft die Brücke an der Nordseite der beiden neu verbundenen Straßenräume - eine städtebauliche Sensibilität, die heute nicht selbstverständlich ist. Zudem weist sie ein asymmetrisches Tragwerkskonzept auf: Der nördliche Bogen ist erkennbar kräftiger und besteht aus zwei Sechseckrohren. Der südliche, ein Rundrohr, neigt sich Ersterem zu, sodass die Blickachse zwischen den benachbarten Orten offen bleibt. Die gute Nachbarschaft Frankreichs und Deutschlands sowie die städtebauliche Einbindung bilden den Symbolgehalt des nicht bloß funktionalen, sondern wohlproportionierten und eleganten Bauwerks.

Doch damit sind die gestalterischen Überlegungen, die integral zum Wesen des Tragwerks gehören, nicht abgeschlossen. Die Bogenform, zu Beginn des Entwurfs einer quadratischen Parabel folgend, was einen stärker gekrümmten Scheitel und geradere Schenkel ergeben hätte, wurde in den Viertelpunkten um 40 Zentimeter angehoben. Sie wirkt nun runder, auch weicher, und entspricht einer Polynomfunktion vierten Grades. Besonders in der Schrägsicht bleibt der Kurvenschwung stetiger, und in der Seitenansicht wirkt der Bogen ruhiger und weniger angestrengt.

Um diese Leichtigkeit auch in die Uferbereiche auszudehnen, verzichteten die Planer bewusst auf massive Brückenköpfe und lösten die anfallenden Kräfte in ein räumliches Fachwerk auf. Leichtfüßig setzen die Bogen auf den nahe dem Ufer im Wasser befindlichen Fundamentpfeilern auf. Zwei kräftige Druckstreben leiten den Horizontalschub wieder zum Ende der Fahrbahnplatte hinauf, diese verbindet die Zugkräfte über den Strom hinweg. Die verbleibenden Vertikalkomponenten werden mit zwei Zugstäben im Untergrund verankert. Optisch bilden die Druckstäbe einen Auftakt zum großen Bogen und lassen den Übergang dynamischer wirken. Damit wird die Kontinuität betont. Schwere Brückenköpfe hätten unnötigerweise militärische Erinnerungen geweckt und in die Uferwege Zäsuren gesetzt.

Gewiss ist die Gestaltung eines Fußgänger- und Radfahrerstegs, bei dem die Hauptlasten das Eigengewicht und die Windkräfte sind, einfacher als etwa eine Autobahnbrücke. Aber die 230 Meter Spannweite bedeuten in dieser Kategorie derzeit Weltrekord, und der geringe Bogenstich von 23 Metern war ingenieurtechnisch eine Herausforderung. Bis in die Details reicht die planerische Sorgfalt. So wurden die Durchdringungen der Fahrbahnrandträger mit den Bogen als anspruchsvolle, exakte Stahlgussteile hergestellt, und alle übrigen Gelenke, Stäbe und Kraftanschlüsse sind bewusst, aber nicht verspielt gestaltet.

Das sensationelle, aber eben nicht sensationalistische Bauwerk verdankt seine Qualität zwei österreichischen Fachleuten, die seit Jahren im europäischen Ausland leben und arbeiten. Der Architekt Dietmar Feichtinger hat in Graz an der Technischen Universität studiert, arbeitet seit 1989 in Paris, seit 1994 mit eigenem Büro und ist auch in Österreich aktiv, wie der Campus Krems und das Kunsthaus Weiz sowie Wettbewerbsteilnahmen und -gewinne belegen. In Paris wurde voriges Jahr die Passarelle Simone-de-Beauvoir über die Seine, auch ein Wettbewerbsgewinn, eingeweiht. Seine konstruktive Kompetenz kommt bei den von ihm entworfenen Bauwerken in unaufdringlicher Weise zum Ausdruck.

Der Bauingenieur Wolfgang Strobl stammt aus Weiz, hat ebenfalls an der Technischen Universität Graz studiert und ist seit 1994 im Ingenieurbüro Leonhardt, Andrä und Partner tätig; seit 2000 als Gruppenleiter Hoch- und Ingenieurbau im Zweigbüro Berlin. Der vor wenigen Jahren verstorbene Gründer der Firma, Fritz Leonhardt, war einer der gezählten großen Bauingenieure im 20. Jahrhundert. Wolfgang Strobl konzentrierte sich früh auf die Softwareentwicklung zur statischen und dynamischen Berechnung anspruchsvoller Tragwerke. Als verantwortlicher Bauingenieur für die Brücke über den Rhein übernahm er in der Arbeitsgemeinschaft mit Dietmar Feichtinger, den er seit Studienzeiten kennt, die kaufmännische und technische Federführung.

Neben den beachtlichen gestalterischen und ingenieurtechnischen Qualitäten verweist das Bauwerk überdies auf ein Problem, das vor allem kleinere Staaten betrifft, dessen man sich aber meist kaum bewusst ist: das des Kaderexports. Zahlreiche Fachleute werden an den heimischen Universitäten ausgebildet. Oft sind es die Fähigsten und Kreativsten, denen es im Kleinstaat zu eng wird, sodass sie im nahen oder fernen Ausland nach Entfaltung suchen. Es ist aber die Ausnahme, dass solche kompetente Köpfe samt ihrer gesammelten Erfahrung zurückgeholt werden. Oft genug ist dem das Kartell der Daheimgebliebenen davor.

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