Bauwerk
Anna-Amalia-Bibliothek - Sanierung
Grunwald + Burmeister - Weimar (D) - 2007
Trost durch Schönheit
Die Weimarer Anna-Amalia-Bibliothek erstrahlt in neuer Pracht
Mit einem Festakt feiert heute die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar ihre Wiedergeburt aus dem Geist des Denkmalschutzes. Einiges hat der Brand auf immer zerstört, doch der Rokokosaal, das Herz der historischen Bibliothek, ist prächtiger denn je.
24. Oktober 2007 - Joachim Güntner
Hoch loderten die Flammen am Abend des 2. Septembers 2004 aus dem Dachstuhl von Weimars schönstem Bücherhort, und bald stand eine mächtige Rauchsäule über der Stadt. Das Schicksal der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek (HAAB) schien besiegelt zu sein, ihr historisches Gebäude zu Asche zu werden. Allenfalls dem steinernen Erdgeschoss, das noch aus der Renaissance stammt, räumten die Helfer im ersten Schrecken eine Chance ein – der herrliche Rokokosaal jedoch, der sich darüber auf drei Ebenen erhob, drohte niederzubrennen. Bange Momente gab es, in denen die Feuerwehr erwog, sich geschlagen zu geben und die Stellung zu räumen. Hätte die das Dachgeschoss tragende, komplex gearbeitete Holzdecke nicht wider Erwarten gehalten, die «Zentralbibliothek der deutschen Klassik», wie die HAAB zu DDR-Zeiten hiess, könnte heuer nur als Replik Auferstehung feiern.
Der Schaden war auch so schlimm genug. Das Mansardengeschoss und die darin enthaltenen Bücher frassen die Flammen vollständig, die Stockwerke darunter tränkte das Löschwasser bis zur Sättigung. 50 000 Bände und 37 Gemälde verbrannten, weitere 62 000 waren entweder verkohlt oder trugen Wasserschäden davon. Die Fussböden wölbten sich, Russ und Nässe hatten die Wandverkleidungen ruiniert. Hohl klang das Versprechen der Stiftung Weimarer Klassik, es werde gelingen, die Bibliothek wiederherzustellen. Nun dürfen wir staunen: Gerade einmal drei Jahre sind vergangen, und auf Weimars Platz der Demokratie erhebt sich die «Anna Amalia» so proper, dass Unwissende glauben könnten, ihr sei nie Übles widerfahren.
Beeindruckende Restaurierung
Wenn der deutsche Bundespräsident, in dessen Beisein die Bibliothek heute feierlich wiedereröffnet wird, seine «Ehrenführung» durch das Gebäude erhält, dann begegnet ihm keine auf alt getrimmte Pseudohistorie. Weit über neunzig Prozent der Baumaterialien sind wirklich alt. Es sind die originalen Bücherregale, Verkleidungen und Dielen. Man hat sie zum grossen Teil ausbauen müssen und andernorts aufgearbeitet; Handwerker und Restauratoren unterschiedlicher Provenienz teilten sich die Arbeit – wo etwa die Thüringer, als Spezialisten für Farbe, sich beim Werkstoff Holz nicht hinreichend souverän fühlten, kamen die Sachsen zum Zuge. Es riecht im Haus nach Lösungsmittel und frischem Anstrich, doch nirgendwo stellt sich der Eindruck ein, man werde mit einem Remake konfrontiert. Unsere Sorge, die wiederhergestellte «Anna Amalia» könne zwangsläufig nur ein Abklatsch der früheren sein, womöglich eine Art historisierende Puppenstube, war überflüssig. Die Bibliothek wurde restauriert, nicht rekonstruiert. Das ist ein gewaltiger Unterschied.
Weil alles, was üppig geschminkt ist, einen Stich ins Vulgäre bekommt, haben es auch die Restauratoren der HAAB sorgsam vermieden, ihrem Objekt ein allzu glattes Gesicht zu verpassen. Dellen und Unebenheiten, sogar offene Fugen in den Regalen blieben erhalten. Dasselbe gilt für Gefälle im Fussboden. Ohne ästhetische Folgen blieb, dass der Boden im Rokokosaal, um ihm Stahlträger anstelle der von Schwamm befallenen Balken einzuziehen, vorübergehend um einige Zentimeter «hochgeschraubt» werden musste. Von den verbrannten Gemälden wurde nur ein einziges reproduziert: Johann Heinrich Meyers Allegorie «Genius des Ruhms». Wie früher begegnet es dem Blick zur Decke, wenn man durch den Okulus im Fussboden der zweiten Galerie hinaufblickt. Und wie Meyers Arbeit entzückt auch diese Kopie durch die Illusion grosser perspektivischer Tiefe.
Beträchtliche Lücken
Lücken in den mit Büchern wieder gefüllten Regalen deuten auf die grossen Verluste hin. Bis jene vielen tausend «Schwerverletzten», denen noch geholfen werden kann, ihren Platz im Regal eingenommen haben, wird noch viel Zeit vergehen und viel Geld benötigt werden. 20 000 Brandopfer gelten nach dem derzeitigen Stand der Technik als unrettbar und bleiben bis auf weiteres tiefgefroren. 3300 Mal war die Bibliothek bisher so glücklich, verlorene Titel durch Anschaffungen auszugleichen, die aus derselben Auflage stammten. Doch legt die HAAB es nicht nur auf Ersatzbeschaffungen an, sondern sammelt auch Bücher aus verwandten Gebieten. Überhaupt – was heisst «Ersatzbeschaffung»? Hatte nicht jedes verbrannte Werk seine eigene Historie, trug es nicht seine eigenen Lesespuren und Marginalien, war also nicht nur jede Handschrift, sondern auch jeder Druck auf seine Art ein Unikat, so dass vollgültiger Ersatz gar nicht möglich ist?
Um das Konzept für die Wiederherstellung der Bibliothek ist hart gerungen worden. Der Rokokosaal erstrahlt nun in einem blaustichigen statt crèmefarbenen Weiss, und die Vergoldungen mit Schlagmetall glänzen stärker als die grobe Bronzierung, die auf die letzte Renovierung im Jahre 1940 zurückging. Man habe sich das Aussehen der Bibliothek um das Jahr 1850 zum Vorbild genommen, heisst es. Damals hatte der Architekt Clemens Wenzeslaus Coudray das Gebäude saniert und um einen zweiten Anbau erweitert. Das helle Blau allerdings geht auf das Gründungsjahr 1766 zurück, als der Rokokosaal noch keine Anbauten hatte und von allen vier Seiten Licht bekam. So einfach, wie es die offizielle Linie will, steht es also nicht mit der denkmalschützerischen Konsequenz. Die Berufung auf Coudray hat überdies dazu geführt, dass zwei Stichbogenfenster im Erdgeschoss durch ovale Fenster ersetzt wurden. Auch ist die Fassade nun nicht mehr weiss mit orangefarbenem Schmuck, sondern kommt in Ocker und Neapelgelb daher. Damit fügt sich die Bibliothek in das übrige Ensemble am Platz ein, sieht jedoch um einiges langweiliger aus.
Neuer Lesesaal im Dachgeschoss
Das abgebrannte Mansardengeschoss, die zweite Galerie des Rokokosaals, wurde zwar wie zuvor mit Schiefer gedeckt, das Innere aber nicht rekonstruiert. Wo früher zahlreiche Stützen kleine Kabinette gebildet hatten, entstand nach den Plänen des mit der Sanierung beauftragten Architekten Walther Grunwald und seines 2005 verstorbenen Partners Olaf Burmeister ein von Pfeilern befreiter grosser Raum. Er soll künftig als Lesesaal dienen. Das Zentrum bildet der Okulus. Partien seiner rückwärtigen Balustrade und einige Dielen beliess man im verkohlten Zustand, als Memento des Brandes.
Ein Glaskasten, der als Klimaschranke fungiert, umgibt den ovalen Durchbruch im Fussboden, denn anders als der Lesesaal ist der darunterliegende Rokokosaal nicht klimatisiert. In strengen Wintern wird es dort arg kalt, im Sommer bis zu dreissig Grad warm. Angeblich soll das dem Holz und den Büchern gut bekommen. Zu den Lehren, die aus dem Brand gezogen worden, gehört der Einbau einer Hochdruck-Sprühnebel-Anlage. In der Brandnacht vor drei Jahren verfügte die Bibliothek nur über Rauchmelder. Eine Löschanlage besass sie nicht.
Der Schaden war auch so schlimm genug. Das Mansardengeschoss und die darin enthaltenen Bücher frassen die Flammen vollständig, die Stockwerke darunter tränkte das Löschwasser bis zur Sättigung. 50 000 Bände und 37 Gemälde verbrannten, weitere 62 000 waren entweder verkohlt oder trugen Wasserschäden davon. Die Fussböden wölbten sich, Russ und Nässe hatten die Wandverkleidungen ruiniert. Hohl klang das Versprechen der Stiftung Weimarer Klassik, es werde gelingen, die Bibliothek wiederherzustellen. Nun dürfen wir staunen: Gerade einmal drei Jahre sind vergangen, und auf Weimars Platz der Demokratie erhebt sich die «Anna Amalia» so proper, dass Unwissende glauben könnten, ihr sei nie Übles widerfahren.
Beeindruckende Restaurierung
Wenn der deutsche Bundespräsident, in dessen Beisein die Bibliothek heute feierlich wiedereröffnet wird, seine «Ehrenführung» durch das Gebäude erhält, dann begegnet ihm keine auf alt getrimmte Pseudohistorie. Weit über neunzig Prozent der Baumaterialien sind wirklich alt. Es sind die originalen Bücherregale, Verkleidungen und Dielen. Man hat sie zum grossen Teil ausbauen müssen und andernorts aufgearbeitet; Handwerker und Restauratoren unterschiedlicher Provenienz teilten sich die Arbeit – wo etwa die Thüringer, als Spezialisten für Farbe, sich beim Werkstoff Holz nicht hinreichend souverän fühlten, kamen die Sachsen zum Zuge. Es riecht im Haus nach Lösungsmittel und frischem Anstrich, doch nirgendwo stellt sich der Eindruck ein, man werde mit einem Remake konfrontiert. Unsere Sorge, die wiederhergestellte «Anna Amalia» könne zwangsläufig nur ein Abklatsch der früheren sein, womöglich eine Art historisierende Puppenstube, war überflüssig. Die Bibliothek wurde restauriert, nicht rekonstruiert. Das ist ein gewaltiger Unterschied.
Weil alles, was üppig geschminkt ist, einen Stich ins Vulgäre bekommt, haben es auch die Restauratoren der HAAB sorgsam vermieden, ihrem Objekt ein allzu glattes Gesicht zu verpassen. Dellen und Unebenheiten, sogar offene Fugen in den Regalen blieben erhalten. Dasselbe gilt für Gefälle im Fussboden. Ohne ästhetische Folgen blieb, dass der Boden im Rokokosaal, um ihm Stahlträger anstelle der von Schwamm befallenen Balken einzuziehen, vorübergehend um einige Zentimeter «hochgeschraubt» werden musste. Von den verbrannten Gemälden wurde nur ein einziges reproduziert: Johann Heinrich Meyers Allegorie «Genius des Ruhms». Wie früher begegnet es dem Blick zur Decke, wenn man durch den Okulus im Fussboden der zweiten Galerie hinaufblickt. Und wie Meyers Arbeit entzückt auch diese Kopie durch die Illusion grosser perspektivischer Tiefe.
Beträchtliche Lücken
Lücken in den mit Büchern wieder gefüllten Regalen deuten auf die grossen Verluste hin. Bis jene vielen tausend «Schwerverletzten», denen noch geholfen werden kann, ihren Platz im Regal eingenommen haben, wird noch viel Zeit vergehen und viel Geld benötigt werden. 20 000 Brandopfer gelten nach dem derzeitigen Stand der Technik als unrettbar und bleiben bis auf weiteres tiefgefroren. 3300 Mal war die Bibliothek bisher so glücklich, verlorene Titel durch Anschaffungen auszugleichen, die aus derselben Auflage stammten. Doch legt die HAAB es nicht nur auf Ersatzbeschaffungen an, sondern sammelt auch Bücher aus verwandten Gebieten. Überhaupt – was heisst «Ersatzbeschaffung»? Hatte nicht jedes verbrannte Werk seine eigene Historie, trug es nicht seine eigenen Lesespuren und Marginalien, war also nicht nur jede Handschrift, sondern auch jeder Druck auf seine Art ein Unikat, so dass vollgültiger Ersatz gar nicht möglich ist?
Um das Konzept für die Wiederherstellung der Bibliothek ist hart gerungen worden. Der Rokokosaal erstrahlt nun in einem blaustichigen statt crèmefarbenen Weiss, und die Vergoldungen mit Schlagmetall glänzen stärker als die grobe Bronzierung, die auf die letzte Renovierung im Jahre 1940 zurückging. Man habe sich das Aussehen der Bibliothek um das Jahr 1850 zum Vorbild genommen, heisst es. Damals hatte der Architekt Clemens Wenzeslaus Coudray das Gebäude saniert und um einen zweiten Anbau erweitert. Das helle Blau allerdings geht auf das Gründungsjahr 1766 zurück, als der Rokokosaal noch keine Anbauten hatte und von allen vier Seiten Licht bekam. So einfach, wie es die offizielle Linie will, steht es also nicht mit der denkmalschützerischen Konsequenz. Die Berufung auf Coudray hat überdies dazu geführt, dass zwei Stichbogenfenster im Erdgeschoss durch ovale Fenster ersetzt wurden. Auch ist die Fassade nun nicht mehr weiss mit orangefarbenem Schmuck, sondern kommt in Ocker und Neapelgelb daher. Damit fügt sich die Bibliothek in das übrige Ensemble am Platz ein, sieht jedoch um einiges langweiliger aus.
Neuer Lesesaal im Dachgeschoss
Das abgebrannte Mansardengeschoss, die zweite Galerie des Rokokosaals, wurde zwar wie zuvor mit Schiefer gedeckt, das Innere aber nicht rekonstruiert. Wo früher zahlreiche Stützen kleine Kabinette gebildet hatten, entstand nach den Plänen des mit der Sanierung beauftragten Architekten Walther Grunwald und seines 2005 verstorbenen Partners Olaf Burmeister ein von Pfeilern befreiter grosser Raum. Er soll künftig als Lesesaal dienen. Das Zentrum bildet der Okulus. Partien seiner rückwärtigen Balustrade und einige Dielen beliess man im verkohlten Zustand, als Memento des Brandes.
Ein Glaskasten, der als Klimaschranke fungiert, umgibt den ovalen Durchbruch im Fussboden, denn anders als der Lesesaal ist der darunterliegende Rokokosaal nicht klimatisiert. In strengen Wintern wird es dort arg kalt, im Sommer bis zu dreissig Grad warm. Angeblich soll das dem Holz und den Büchern gut bekommen. Zu den Lehren, die aus dem Brand gezogen worden, gehört der Einbau einer Hochdruck-Sprühnebel-Anlage. In der Brandnacht vor drei Jahren verfügte die Bibliothek nur über Rauchmelder. Eine Löschanlage besass sie nicht.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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