Bauwerk

Einfamilienhaus Appels
Christoph Mayrhofer - Wien (A) - 2007

Wie Stamm und Krone

Auf ein kleines Grundstück in Wien-Donaustadt stellte Architekt Christoph Mayrhofer ein Haus, als sei es ein Baum. Im gläsernen Stamm zu ebener Erd wird gewohnt, in der ausladenden Baumkrone im Geschoß darüber gibt es die Schlafzimmer mitsamt Blick ins Geäst.

9. Februar 2008 - Isabella Marboe
Donaustadt am Rande von Aspern. Die Straße sieht aus, als wäre sie eines schwülen Hundstages einem Film von Ulrich Seidl entstiegen. Wie vom Fließband reihen sich Fertigteilhäuser mit spitzen Giebeln aneinander. Plötzlich zweigt ein Zugang ab. Er führt zu einem schmalen Fahnengrundstück mit prächtigen alten Bäumen. Die Bauherren sind alteingesessene Donaustädter und träumten lange Zeit vom Leben im Grünen: „Wir wollten ein praktisches Niedrigenergiehaus, in dem man gut leben kann.“

Die Bauordnung erlaubte offene oder gekuppelte Bauweise. Den richtigen Platz zu finden war trotzdem schwierig, denn der Grund stand voller Bäume, war kaum 30 Meter lang und von Nachbarn rundum umgeben. „Dieser Garten war wie ein Walddickicht. Ein Haus zu bauen bedeutete in diesem Fall Kahlschlag“, sagt Architekt Christoph Mayrhofer, „doch ich wollte möglichst viele Bäume retten und den Charakter des Ortes auf alle Fälle wahren.“ Das hatte Konsequenzen: Um dem schönen Nussbaum im Eck nicht die Wurzeln abzugraben, verzichtete man auf den Keller.

Keller im Erdgeschoß

Stattdessen säumt ein langer Stauraum aus Sichtbeton die Rückseite des Hauses. „Als typische kellerfixierte Österreicher waren wir anfangs skeptisch“, erinnert sich die Baufrau, „im Nachhinein betrachtet hat es allerdings nur Vorteile, wenn man seinen Keller nebenan und nicht unten hat.“ Praktisch: Man müsse keine Stiegen steigen.

Das massive Betonrückgrat dient dem Haus als Speichermasse. Es nutzt den stabilen Grundwasserspiegel der Donaustadt als Energiequelle, indem es mittels Wasserpumpe, Wärmetauscher und kontrollierter Wohnraumbelüftung beheizt wird.

Wie ein Baum steht das Haus an der nordöstlichen Grundgrenze. Transparent umfließen 3,50 Meter hohe Scheiben den offenen Wohnraum, über dem wie eine laubgelbe Blätterkrone die intime Schlafebene auskragt. Sie besteht aus Stahlträgern, wurde mit gedämmten Holzfertigteilen ausgefacht und mit High-Pressure-Laminat-Platten verkleidet. „Im Herbst haben die Blätter die gleiche Farbe wie unser Haus“, sagt die Baufrau.

„Für die Qualität der Innenräume war eine klare Zonierung von halb öffentlichen und privaten Bereichen ganz maßgeblich. Beim Wohnen und Essen sollte man rundherum den Garten spüren“, so der Architekt.

Drei Marillenbäume, deren Früchte der Hausfarbe entgegenreifen, stehen in der Auslage des Wohnraums. Im Südosten gedeiht der Nussbaum prächtig. „Der Raum ist sehr hoch und so konzipiert, dass er sich optimal an die Sonne und an die Jahreszeit anpasst“, berichtet die Baufrau aus eigener Erfahrung. „Es ist ein echter Familienraum mit viel Licht und Luft. Obwohl die Kinder oft Freunde zu Besuch haben, die nach Lust und Laune herumtoben, wird es niemals eng.“ Über einem umlaufenden Oberlichtband scheint die Decke als Vordach in den Garten zu entschweben.

Vor dem umlaufenden Balkonband, das im Südwesten die Glasfronten der Schlafzimmer und Bäder säumt, falten sich die Fassadenplatten zu zarten, tiefen Lamellenschwertern auf. Sie schützen vor zu viel Sonne, wahren die Privatsphäre und gleiten in eleganten, horizontalen Bahnen ums Eck. Wenn man zwischen ihnen durchblickt, wähnt man sich den Baumkronen ganz nahe.

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