Bauwerk

Konzerthalle «Zénith»
Massimiliano Fuksas - Straßburg (F) - 2008

Phantom der Popkultur

Die Konzerthalle «Zénith» von Massimiliano Fuksas in Strassburg

Unter der Bezeichnung «Zénith» sind seit 1984 in Frankreich vierzehn Konzerthallen entstanden. Der neuste, vom Architekten Massimiliano Fuksas geplante Bau wurde soeben in Strassburg eröffnet.

6. Februar 2008 - Werner Jacob
Von der Antike bis in die jüngere Vergangenheit befanden sich die Vergnügungsstätten mitten in der Stadt. Nun aber logieren wir sie in die Umgebung aus. Ist uns der Sinn fürs genuin Städtische abhandengekommen – oder ist alles nur eine Frage der Infrastruktur? Wie nämlich sollen Tausende von Vergnügungsuchenden in die Stadtzentren hinein- und wieder herausbefördert werden? Dieses Problem stellte sich jüngst auch in Strassburg, als man eine Zénith genannte Konzerthalle für «musique populaire» von Rock und Pop bis hin zum Musical plante. Bereits vierzehn Städte Frankreichs besitzen Zénith-Hallen. Diese müssen über plurifunktionale technische Einrichtungen, eine veränderbare Bühne sowie eine ausgefeilte Akustik verfügen, Platz für mindestens dreitausend Leute bieten und im Notfall schnell geräumt werden können. Nur wenn diese Vorgaben erfüllt sind, dürfen sie den Namen Zénith tragen. Seit Jack Lang 1981 die Idee der Zénith-Hallen lancierte, setzt das Kultusministerium die Rahmenbedingungen, vergibt Subventionen und fordert künstlerische Mindeststandards – auch bezüglich der architektonischen Gestaltung.

Die erste Zénith-Musikhalle entstand 1984 nach Plänen von Philippe Chaix und Jean-Paul Morel im Pariser Parc de la Villette. Obwohl später Hallen meist an wenig attraktiven Orten entstanden, wurden sie – auf Wunsch der städtischen Bauherren – oft von renommierten Architekten wie Norman Foster, Rem Koolhaas oder Bernard Tschumi entworfen. Die Pläne für die beiden jüngsten, formal eng miteinander verwandten Zénith-Bauten, von denen der eine soeben in Strassburg eröffnet wurde, der andere im Sommer in Amiens eingeweiht werden soll, stammen von Massimiliano Fuksas.

Seine Strassburger Schöpfung bezeichnet der 1944 geborene italienische Architekt als «Laterna magica». Wie ein Leuchtturm nämlich steht sie als kultureller Wegweiser an der «Viaropa» genannten Entwicklungsachse, die vom äussersten Südwestrand der Stadt über die Europabrücke bis nach Kehl auf der deutschen Rheinseite weist. Vorerst indes leuchtet Fuksas' «Lampe des Aladin» vornehmlich den Automobilisten auf der nahen Autobahn sowie den Besuchern dieses multimedialen Kulturtempels. Aus welcher Richtung und zu welcher Tageszeit man sich ihm auch nähert, er schleicht sich unweigerlich über die Netzhaut in unser Bewusstsein, zieht uns magisch an. Die Frage kommt auf, was sich wohl hinter dem fremdartig erscheinenden Objekt verbirgt. Knallig orangerot erhebt es sich in wirkungsvollem Komplementärkontrast auf der mattgrünen Wiese. Nachts von innen heraus leuchtend, verleiht es träumerischen Phantasien Flügel. Aufeinandergeschichtete Ellipsoide scheinen bei diesem Phantom der Popkultur aus dem Gleichgewicht geraten zu sein. Oben laden sie weiter aus als unten und verleihen so dem Koloss eine dynamische Ausstrahlung.

Hinter der Hülle verbirgt sich zunächst nichts als Luft: Ein gigantischer Reifrock ist dem eigentlichen Bauwerk übergezogen. Zehntausend Quadratmeter transluzentes, selbstreinigendes Gewebe, die – hinterleuchtet – zugleich Laterne und gewaltige Anzeigentafel sein können, sind mittels eines Stahlgestänges an den eigentlichen Bau montiert. Dieser birgt ein amphitheatralisches Halbrund und eine flexible, bis zu 7000 Quadratmeter grosse Bühne. Dank einer dreissig Zentimeter starken Betonschale dringt selbst bei infernalischem Lärm kaum ein Ton hinaus in die Nachbarschaft. Mit dem Strassburger Bauwerk haben die Zénith-Hallen ihren einstweiligen Höhepunkt erreicht: Dank den zehntausend orangeroten Sitzplätzen, von denen aus das Publikum bald Rockkonzerte, «Holiday on Ice» oder die Oldie-but-Goldie-Show «Age tendre et les têtes de bois» verfolgen kann, ist sie nicht nur die grösste Halle ihrer Art, sondern stellt auch architektonisch etwas Besonderes dar. Denn auf der Suche nach «einer volkstümlichen Architektursprache» bezog Fuksas seine Inspirationen «aus Kunst, Filmen sowie der Landschaft».

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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