Bauwerk

Haus in Penzing
Hubmann & Vass - Wien (A) - 2008

Wo ist hier das Haus?

Sechs Freibereiche, jeder mit eigenem Charakter – und das auf 600 Quadratmetern. Der Beweis, dass ein Haus mehr sein kann als eine geschlossene Box: erbracht in Wien-Penzing, von Erich Hubmann und Andreas Vass.

19. Juli 2008 - Christian Kühn
Der Wolfersberg in Wien Penzing ist ein kleiner Hügel im Westen von Wien, der in den 1920er-Jahren zur Bebauung mit Einfamilienhäusern freigegeben wurde. Die Parzellen sind den wirtschaftlichen Umständen der Zeit entsprechend klein, die Straßen schmal und gewunden wie kaum sonst wo in Wien, ein Labyrinth, das mit seinen nach Planeten benannten Straßennamen selbst erfahrene Taxifahrer zur Verzweiflung bringt.

Trotzdem befindet sich hier einer der begehrtesten Wohnorte der Stadt mit Blick auf den Wienerwald. Das Haus, das die Architekten Erich Hubmann und Andreas Vass hier errichtet haben, liegt auf einer nur 600 Quadratmeter großen Parzelle eines nach Westen geneigten Hangs. Parzellen dieser Größe sind heute nichts Ungewöhnliches. Mit einem konventionellen Haus bebaut, bleibt auf einem solchen Grundstück an Freiflächen nur ein umlaufender Grünstreifen übrig. Geschützte und gut nutzbare Außenräume wird man so aber nur schwer erzielen.

Von seinen beiden Nachbarn – durchaus repräsentativen Exemplaren des heutigen Standards im Wohnhausbau – hebt sich der Entwurf von Hubmann und Vass in dieser Hinsicht deutlich ab. Das Haus lebt von gut gegliederten Freiräumen, die über großflächige Verglasungen mit seinem Innenleben in Verbindung stehen. Am besten wird das Konzept im Grundriss erkennbar. Im Zentrum befindet sich ein kleiner, geschützter Hof, der an drei Seiten von Wohnräumen umschlossen ist: Zur Straße im Osten hin liegt das Wohnzimmer, nach Norden die von oben belichtete Küche und nach Westen ein Spielflur, mit dem die beiden Kinderzimmer über Schiebetüren verbunden sind. Der Hof ist nach Süden zum Nachbargrundstück hin offen, eine Bepflanzung verhindert unerwünschte Einblicke. Vor dem Wohnraum liegt nach Osten eine weitere annähernd quadratische Hoffläche, die durch einen Holzzaun von der Straße abgeschirmt wird. Auch hier gibt es große, bis zum Boden reichende Fenster, und wenn die Schiebetüren der Kinderzimmer geöffnet sind, bietet sich ein Blick quer durchs ganze Haus.

Weder Traufe noch Giebel

Die Garage ist direkt ans Nachbargrundstück angebaut. Dass auch sie mit einer großen Glasscheibe nach Westen abgeschlossen wird, die bei der Einfahrt den Blick auf den Wienerwald freigibt, ist in diesem Haus nicht weiter verwunderlich.

Im Untergeschoß liegen Wohn- und Schlafräume der Eltern sowie Nebenräume, die in den Hang eingegraben sind. Vom Schlafraum der Eltern aus geht es direkt auf die mittlere der drei Terrassen, in die die Architekten die Neigung des Grundstücks aufgelöst haben. Auf der untersten Terrasse liegen ein Schwimmbecken und eine kleine Holzhütte, die zum Bestand gehört. Zählt man die Terrasse mit dem Schwimmbecken als eigenen Bereich, bietet das Haus sechs Freibereiche mit jeweils eigenem Charakter, vom Innenhof über die Gartenterrasse bis zum schmalen und kühlen Hof an der Nordseite und dem Vorgarten an der Straße.

Passanten stellt sich dort möglicherweise die Frage, wo denn auf diesem Grundstück überhaupt das Haus ist. Die beiden Nachbarn lassen sich begrifflich gut einordnen: ein giebelständiges Blockhaus zur Linken, ein traufständiger Vollwärmeschutzbau zur Rechten. In der Mitte gibt es aber weder Traufe noch Giebel, nur einen Rauchfang, der zumindest häusliche Wärme markiert, und ein Spiel horizontaler und vertikaler Flächen, die in unterschiedlichen Materialien ausgeführt sind: Sichtbeton, Glas, unverputztes Mauerwerk und eine Holzverschalung, die im Lauf der Zeit einen grauen Farbton annehmen wird. Ganz bewusst zur Straßenansicht des Hauses gehören auch die Hügel des Wienerwalds, die durch das Flachdach für die Passanten sichtbar bleiben. Bauen mit der Landschaft hat die Architekten schon bei ihrem ersten Projekt, dem neuen Eingang für die Alhambra in Spanien, fasziniert. Bei einem aktuellen Projekt, das nächstes Jahr in Turin eröffnet wird, dürfen sie überhaupt den ganzen Berg unter dem Castello di Rivoli umbauen und mit neuen Zugangswegen versehen.

Ihre Formensprache, die auch beim Haus am Wolfersberg zum Einsatz kommt, steht in einer Tradition, die sich in den letzten hundert Jahren entwickelt hat, und die Architekten scheuen sich nicht, ihre Referenzen anzugeben. Da ist einerseits Roland Rainer, von dem sie die Schlichtheit des Baukörpers und die Nutzung von Abbruchziegeln übernommen haben. Bei Rudolph M. Schindler finden sich ähnlich komplexe und ein wenig verspielte Übergänge und Durchblicke. Und ob es nun Mies van der Rohe oder Frank Lloyd Wright war, der als Erster mit dem Aufbrechen der Ecke eine Revolution in der Grundrisstypologie ausgelöst hat, ist nur für Historiker interessant: Das Repertoire ist vorhanden, und es ermöglicht fast unendlich vielfältige Varianten jenseits des Schachtelraums.

Es geht hier nicht nur um eine Geschmacksfrage, sondern auch um das Potenzial, das eine Formensprache für eine bestimmte Aufgabe bietet. Für die in Österreich tausendfach vorkommende Situation der knappen Parzelle ist das Hofhaus mit gut geschnittenen Freiräumen eindeutig die überlegene Lösung. Dass sie nicht öfter gewählt wird, ist unverständlich. Vielleicht liegt das auch am trägen System der Bauindustrie, das die nötigen Systemkomponenten für eine massenweise Verbreitung des Typs nicht zur Verfügung stellt. Denn obwohl das Haus am Wolfersberg wie ein Industrieprodukt aussieht, ist hier vieles handwerkliche Einzelanfertigung, bis hin zu den Fenstertüren und ihren Beschlägen.

Wohnen im offenen Haus

Das Gebäude ist überdies konstruktiv eine Mischung aus Stahlbetonteilen, Decken aus Massivholzplatten und Stahlkonstruktionen für Sonderpunkte, die anders nicht zu lösen gewesen wären. Höhere Baukosten muss das nicht unbedingt bedeuten, der Planungsaufwand ist aber beträchtlich.

In einem Punkt schert das Haus aus einem aktuellen Trend aus: Es besitzt weder Sonnen- noch Erdwärmekollektor. Den Ehrgeiz, ein Passivhaus zu entwerfen, hatten die Architekten nicht. Sie leisten sich sogar eine große Verglasung an der ansonsten völlig geschlossenen Nordseite, die als Atelierfenster für die Bauherrin fungiert. Technisch sind große Fenster und komplexe Geometrien heute zwar kein Hindernis mehr, Passivhausstandard zu erreichen, die Kosten dafür sind jedoch beachtlich. Insofern ist das Haus auch eine Aufforderung an die Industrie, Elemente für energetisch verträgliche Lösungen jenseits der geschlossenen Box zu entwickeln. Dass es sich in einem offenen Haus schöner wohnt, haben Hubmann und Vass mit ihrem Projekt jedenfalls einmal mehr bewiesen.

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