Bauwerk

Mahnmal am Judenplatz
Rachel Whiteread - Wien (A) - 2000

In Beton gegossene Mahnung

Nach fast sechsjähriger Vorbereitungs-, Diskussions- und Bauphase ist es soweit: Wien hat eine Gedenkstätte für die von den Nazis ermordeten österreichischen Juden.

25. Oktober 2000
Eine von mahnenden Worten gekennzeichnete Eröffnungsfeier fand heute Mittag am Wiener Judenplatz statt. Spitzen der Politik und der religiösen Gemeinschaften, angeführt von Bundespräsident Klestil, verwiesen auf die Verbrechen der Vergangenheit und die Hoffnung auf eine Zukunft ohne Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus.

Für Wiens Bürgermeister Häupl sind: „700 Jahre Antisemitismus in dieser Stadt genug“ und Kulturstadtrat Marboe forderte dazu auf, in dieser Feierstunde auf Applaus zu verzichten und stattdessen ein beredtes Zeichen des Gedenkens zu setzen für eine Zukunft ohne Vorurteile und Diskriminierung. Für Simon Wiesenthal, den Initiator des von der britischen Künstlerin Rachel Whiteread ausgeführten Mahnmals, ist dieser Tag einer der wichtigsten in seinem jahrzehntelangen Kampf gegen das Vergessen.


Entstehung

Als Simon Wiesenthal 1994 in einem Brief an den Wiener Bürgermeister Michael Häupl die Errichtung eines Mahnmals zum Gedenken an 65.000 von den Nazis ermordeten österreichischen Juden anregte, schaltete die Kulturpolitik schnell: der Judenplatz wurde als Standort fixiert, die Britin Rachel Whiteread ging mit ihrem Projekt einstimmig als Siegerin eines Wettbewerbs hervor. Sechs Jahre, eine Anrainer-Protestbewegung und aufreibende Standortdiskussionen innerhalb der jüdischen Gemeinde später, ist es nun so weit: Am Tag vor dem Nationalfeiertag wird jetzt Whitereads Betonkubus - er stellt eine nach außen gekehrte Bibliothek dar - feierlich enthüllt.

Das Mahnmal ist absoluter Blickfang auf dem Platz in der Innenstadt. Die Stahlbetonkonstruktion - mit einer Grundfläche von zehn mal sieben Metern und eine Höhe von 3,8 Metern - ist von Bodenfriesen umgeben, auf denen die Namen jener Orte fest gehalten sind, an denen österreichische Juden während der NS-Zeit zu Tode kamen.


Misrachi-Haus

An das Mahnmal angegliedert ist ein multimediales Museum im benachbarten Misrachi-Haus, das äußerst baufällig war und von Grund auf restauriert werden musste. In einem EDV-gestützten Holocaust-Archiv lassen sich Namen und Daten von 65.000 österreichischen Juden, die Opfer des Holocausts wurden, mit multimedialen Mitteln recherchieren. Gestaltet wurde das Archiv vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands. Dokumentiert werden auch die Umstände, die zu ihrer Verfolgung und Ermordung geführt haben.

Weiter führt eine digitale Schau ins alte jüdische Wien. Über einen unterirdischen Gang gelangt man dann zu den Ausgrabungen unter dem Judenplatz, wo die Reste der ältesten Wiener Synagoge aus dem Mittelalter freigelegt wurden - auch dies hatte zur Verzögerung des Projekts geführt, nachdem man die Synagoge erst im Laufe der Mahnmal-Arbeiten entdeckt hatte.


Kosten

Von der Stadt Wien wurde für das Projekt ein Gesamtbudget von 160 Millionen Schilling (11,63 Mill. Euro) zur Verfügung gestellt. Rund 15 Millionen Schilling kostete die Platzgestaltung, 8 Millionen die Errichtung des Mahnmals durch Rachel Whiteread, etwa 40 Millionen Schilling die baulichen Maßnahmen am Misrachi-Haus. Der archäologische Schauraum und der museale Bereich kamen auf knapp 74 Millionen Schilling Die restlichen Geldmittel (23 Millionen Schilling) sind zur Abdeckung der bis zum Baubeginn angefallenen Kosten erforderlich gewesen.


[Projekt Judenplatz Wien von Simon Wiesenthal (Hg.):
„Projekt Judenplatz Wien“, Zsolnay Verlag, ISBN 3-552-04982-7.
]

[Das jüdische Wien von János Kalmár und Alfred Stalzer
Gebundene Ausgabe (2000), Verlag Pichler; ISBN 3-850-58182-9.]

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