Bauwerk

Mahnmal am Judenplatz
Rachel Whiteread - Wien (A) - 2000

Geschichte, Erfahrung und Konserve

Enthüllung des Mahnmals und Eröffnung des Museums am Wiener Judenplatz

Während Rachel Whitereads Schoah-Mahnmal und Jabornegg & Pálffys Architektur im Misrachi-Haus am Judenplatz auf die produktive Kraft der Vorstellung setzen, lässt die Schau im Museum der Imagination keinen Platz.

27. Oktober 2000 - Markus Mittringer
Wien - Rachel Whitereads Mahnmal am Wiener Judenplatz schweigt beredt. Ihre hermetisch verschlossene Bibliothek definiert ein Vakuum, eine ewige Leere inmitten der Stadt, gewaltsam entstanden durch die Vernichtung von mehr als 65.000 österreichischen Juden. Mit der systematischen Ermordung der Menschen wurde versucht, ihre Erinnerungen, ihre Kultur, alle Hinweise auf die Umstände ihres Lebens und religiösen Handelns zu tilgen.

Bücher wurden verbrannt, weil sie das Gedächtnis repräsentieren, weil die Schrift, weil das Wort im jüdischen Leben vor jeder Darstellung Identität stiftet und den Alltag bestimmt. All das vermittelt Whitereads Mahnmal ganz ohne aufdringliche Didaktik.

Die Bibliothek, die nie wieder zu betreten sein wird, die anonymen Bücher, die nie wieder aufzuschlagen sein werden, und die Nennung der Namen jener Orte, an denen die Auslöschung industriell betrieben wurde, genügen ihr. Das Wort „Dachau“ visualisiert sich selbst. Das Material, Beton in RAL-9002-Hellgrau, tut ein Übriges, schmerzlich in das hübsch verputzte Ensemble des Platzes zu schneiden. Hier steht Geschichte ohne Fassade, hier steht kalter Beton, nicht edler Marmor.

Rachel Whiteread hat einen Ort der Erinnerung definiert, weil sie der Erinnerung Platz gegeben hat. Weil sie dem Gedenken Raum gibt, anstatt es bevormundend zu leiten, weil ihr Mahnmal dem individuellen Schicksal genauso entspricht wie dem des ganzen Volkes. Sie ist bei der Herausforderung und Verantwortung, ein Schoah-Mahnmal zu schaffen, im Rahmen ihres individuellen künstlerischen Vokabulars geblieben. Und hat damit ein allgemein gültiges und verständliches Zeichen gesetzt.

Dem entspricht das gestalterische Konzept der Architekten András Pálffy und Christian Jabornegg für das Misrachi-Haus und die Einbindung der archäologischen Grabungsfunde in das Museum. Jabornegg und Pálffy haben das Haus von allen über die Jahrhunderte gewucherten Ein-und Umbauten befreit und klar strukturierte Raumfolgen ohne jeglichen romantisierenden Zierrat angelegt. Und sie haben die freigelegten Reste der 1421 zerstörten Synagoge gemäß ihrer symbolischen Bedeutung in eine mattschwarze Stahlvorsatzschale gehüllt, die einen imaginären Raum schafft, der ermöglicht, das Versammlungshaus gedanklich wieder aufzubauen.

Diese seltene konzeptuelle Übereinstimmung von Künstler und Architekt konterkariert die „Visualisierung der bilderlosen Vergangenheit“ in den Schauräumen krass. Hier wird jeder Ansatz persönlicher Vorstellungskraft digital unterbunden. Bis ins kleinste Detail durfte die Multimedia-Firma Nonfrontiere hier ihr Bild der mittelalterlichen Stadt und des jüdischen Lebens rekonstruieren. Stolz verweist man auf jene Computertechnik, die schon den Spielfilmen Matrix und Lost in Space ihre actionreichen Effekte bescherte.

1050 Oberflächen mit durchschnittlich 50 zu definierenden Parametern werden da als Beleg angeführt, ein authentisches Bild zu liefern. In spätestens zwei Jahren sieht der ganze Zauber vermutlich so alt aus wie heute ein Videogame auf einer C-64-Konsole und muss entsorgt werden. Viel früher schon wird man sich an der Ästhetik satt gesehen haben, die „keinesfalls in die banale Verspieltheit einer Disney-Erlebniswelt abrutschen will“ und es doch tut.

Wenn da ein Sonnenstrahl durch den dramatisch wolkenverhangenen Himmel über Wien bricht und eine dunkle Gasse bühnenreif erhellt, dann sieht man den Rabbi, der dort wohnen soll, zwangsweise singend und tanzend im Licht der Musicalbühne. Ansonsten bleibt kein Raum für selbsttätiges Erfahren. Bevor noch der eigene Imaginationsapparat bedient werden muss, liefert die Simulation Antworten auf nie gestellte Fragen. Interaktion ist reduziert auf eine Handbewegung, eine Kultur des Wortes und Gespräches auf eine digitale Scheinwelt

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