Bauwerk

Kunsthaus Zürich - Erweiterungsbau
David Chipperfield - Zürich (CH) - 2020
Kunsthaus Zürich - Erweiterungsbau, Schaubild: David Chipperfield

Zürichs Kunstpalazzo

Das Resultat vieler Vorgaben und Bedingungen: Stein setzt sich durch gegen Glas. Und das alte Kunsthaus muss kuschen.

16. Januar 2009 - Ivo Bösch
Viel Spielraum blieb den Architekten nicht. Die Planungsämter hatten zur Vorbereitung des Wettbewerbs ganze Arbeit geleistet. Als Bauplatz hatten sie ein Quadrat gegenüber dem Kunsthaus, auf der andern Seite des Heimplatzes, auserkoren. Für die Turnhallen, die abgerissen werden sollen, setzt sich nur noch der Heimatschutz ein. Die interessante Aufgabe aber, am Konglomerat des Kunsthauses weiterzubauen, war im Wettbewerb von vornherein ausgeschlossen.
Von Karl Moser 1910 erbaut und 1925 erweitert, von den Gebrüdern Pfister 1958 und von Müller & Blumer 1976 erweitert, beschäftigte das Kunsthaus von 1997 bis 2005 auch noch Sam Architekten (Schnebli Manz) mit der Gesamtsanierung. Der Jurybericht fasst diesen Sachzwang positiv zusammen: «Damit wurde die Basis geschaffen für die nun zu planende Erweiterung.»

Mehr als einen Anbau wünscht sich Kunsthausdirektor Christoph Becker. Der Neubau soll zusammen mit dem sanierten Kunsthaus das Neue Kunsthaus formen, so die Worte Beckers. Den Widerspruch, aus zwei getrennten Gebäuden eins zu machen, hatten die Architekten aufzulösen.

Heimplatz muß warten

Einzig ein unterirdischer Gang wird den 150 Millionen Franken teuren Neubau mit dem Mutterhaus verbinden, auch das war eine Vorgabe des Wettbewerbs. Doch der Heimplatz selbst war nicht Gegenstand des Wettbewerbs. Seine Neugestaltung schreibt die Stadt — wenn überhaupt — später aus.
Sonst aber arbeiteten die städtischen Ämter emsig. Sie organisierten 2006 einen Workshop, an dem drei Architektenteams teilnehmen durften. Aus dem Bericht «Vorabklärungen zum Projektwettbewerb» flossen weitere Bedingungen ins Wettbewerbsprogramm ein. Selbst ein Energiekonzept stand den Architekten während des Wettbewerbs zur Verfügung. Es kam zum Schluss, dass der Bedarf nach Kälte dreimal höher sein wird als nach Wärme und dass eine grosse thermische Trägheit notwendig wird, um im Winter nicht tags kühlen und nachts heizen zu müssen. Und es prophezeite, dass ein Drittel des Stroms für Beleuchtung gebraucht werde. Deshalb hatten die Architekten für viel Tageslicht zu sorgen.

Auch der Kanton Zürich redet mit und hat einen Masterplan für das Hochschulgebiet ausarbeiten lassen. Vom Heimplatz bis zur Haldenbachstrasse sieht dieser Entwicklungsplan die Rämistrasse als eine Bildungs- und Kulturmeile. Er legt fest, dass der Kunsthausneubau den Heimplatz räumlich fasst und dass der Freiraum zwischen Erweiterung und alter Kantonsschule als öffentlicher Garten der Kunst genutzt werden soll.

Die meisten der zwanzig Wettbewerbs-Architekten hielten sich brav an die Vorgaben. Denn sie hatten schon die Präqualifikation mit 214 Büros überstanden und deshalb einen Auftrag zu verlieren und nicht einen Wettbewerb zu gewinnen.

Im Gegensatz zu einem selektiven Verfahren riskiert der Architekt in einem offenen Projektwettbewerb mehr. Der Bund Schweizer Architekten (BSA) kritisierte übrigens im Vorfeld das Verfahren ungewöhnlich scharf. Er erinnerte an die goldene Regel: Je öffentlicher die Aufgabe, desto offener das Verfahren. Gefruchtet hat der Appell des Vorstands der BSA-Ortsgruppe Zürich allerdings wenig, trotz der vielen BSA-Mitglieder in der Jury und im Teilnehmerfeld.

Klötze, Klötze, Klötze

Als einziger Preisträger verletzte Roger Diener den Perimeter mit einem länglichen, quer zum Heimplatz gestellten Bau. Damit schuf er eine grosse Terrasse mit Freitreppe entlang der Rämistrasse. Sie sieht im Modell grosszügiger aus als in den Plänen. Guter Städtebau mit zu wenig architektonischem Fleisch am Knochen, urteilte die Jury und belohnte den verhalten Mutigen mit einem Ankauf, aber nicht mit einem Rang.

12 500 Quadratmeter für die Kunst auf 5500 Quadratmetern unterzubringen, führt zu ähnlichen Lösungen: zu Klötzen. Alle Projekte im von der Zürcher Kunstgesellschaft, der Stiftung Kunsthaus und der Stadt Zürich veranstalteten Wettbewerb sind etwas zu gross geraten — die Vorprojekte gingen von mehr Räumen in den Untergeschossen aus. Die 19-köpfige Jury (11 davon Fachpreisrichter) entschied sich knapp für den Bau von David Chipperfield und gegen den von Gigon / Guyer.

Der Graben in der Jury verlief nicht zwischen Architekten und Sachpreisrichtern. Es ging um verschiedene Auffassungen von Architektur. Das Steinerne von Chipperfield setzte sich gegen das Gläserne von Gigon / Guyer durch. Das zweitrangierte Projekt versuchte, sich ganz schweizerisch mit Ausschnitten am Volumen an die Situation anzupassen. Anders der Brite: Er stellt ein schnörkelloses Volumen hin, einen Palazzo. Stünde er in Florenz, dann wärs eher der Palazzo Strozzi als der Palazzo Pitti, also ein grosser Bau mit vielleicht absichtlich zu wenig Umgebung. Die Jury meint, der Bau sprenge mit seinen Dimensionen die im Quartier üblichen Massstäbe, und empfiehlt das oberirdische Volumen zu verkleinern. Im Wettbewerb sprach man noch vom Museum des 21. Jahrhunderts, das entstehen sollte. Doch der grosse Wurf fehlt unter den 20 Projekten. Dafür gabs zu viele Bedingungen.

Kommentar profaner Tempel versus sakrales Warenhaus

Wie sieht ein Kunsthaus aus? Jetzt wissen wirs: Ein mächtiger Kubus mit Steinfassade, die Fenster mit senkrechten Lamellen verschleiert, innen eine durch alle Geschosse gehende Halle, oben Oberlichtlichtsäle, unten Seitenlicht, eine brauchbare innere Organisation, das alles hatten wir schon. Das «Museum des 21. Jahrhunderts» gleicht dem des 19. David Chipperfields neues Kunsthaus ist brav und konventionell. Keine Experimente beim Projekt, das Umfeld ist schon schwierig genug.

Haben alle gemerkt, wie dominant und monumental dieser Quader ist? Nach aussen geschlossen sendet er die Botschaft aus: Ich bin eine Majestät. Er ist der Eckstein der geplanten Bildungs- und Kulturmeile, ein städtebauliches Schwergewicht, dem sich das bestehende Kunsthaus unterordnen muss. Die stumme Masse erzeugt durch ihr Gewicht eine stille Würde. So sieht die Monumentalität heute aus. Chipperfield behauptet den Vorrang des Museums als öffentlicher, genauer als wertvoller, weil wertvermittelnder Bau. Die Kunst ist das andere, sie braucht ein Weihegefäss. Das Museum ist ein profaner Tempel.
Der zweite Preis von Gigon / Guyer sagt: Ich bin ein Republikaner. Das grosse Volumen wird aus einzelnen Baukörpern zusammengesetzt, vielgliedrig versucht der Riesenbau kleiner zu wirken als er ist. Seine Haut leuchtet. Der zweite Preis will nicht Würde, sondern Interesse wecken, will einladen, offen sein. So sieht die prä-tentiöse Bescheidenheit heute aus. Sie behauptet die besondere Selbstverständlichkeit des Museums. Die Kunst ist Wahrnehmung, sie braucht ein Schauhaus. Das Museum ist ein sakrales Warenhaus.

Der erste Preis ist ein später, heimlicher Verwandter des Kunstmuseums Basel. Eine Querelle des Anciens et des Modernes liegt in der Luft wie damals, als Christ und Bonatz sich 1932 gegen Hans Schmidt durchsetzten. Das löste eine Monumen-talitätsdebatte aus, jetzt ist in Zürich eine fällig. Wie sieht ein öffentlicher Bau mit «gehobener Bestimmung» aus, braucht ein Kunsthaus Würde? Wenn ja, was verleiht sie? Der Stein oder das Glas? Ob David Chipperfield das «Museum des 21. Jahrhunderts» gefunden hat, ist fraglich, ein funktionierndes, Würde aus-strahlendes hingegen fand er sicher. Trotzdem, zwischen Schwellenangst und Würde ist ein ziemlicher Spalt. Der will erst gefüllt sein.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

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