Bauwerk

Ars Electronica Center
TREUSCH architecture - Linz (A) - 2008
Ars Electronica Center, Foto: Rupert Steiner
Ars Electronica Center, Foto: Rupert Steiner

Leuchtendes Schiff

2009 teilt sich Linz mit der litauischen Hauptstadt Vilnius den Titel «Kulturhauptstadt Europas». Schon länger will die Kommune an der Donau ihr Image als Schwerindustrie-Standort loswerden und sich als eine technologie- und wissensbasierte Industriestadt positionieren. Da kommt die Aufwertung des Ars Electronica Center mit einer grosszügigen Erweiterung gelegen. Die Medienfassade am Neubau wurde mit LED-Leuchten erstellt und gilt mit ihren 5000 m² als die derzeit grösste in Europa.

20. März 2009 - Norbert Mayr
Anfang Januar 2009 wurde die Erweiterung des Ars Electronica Center (AEC) eröffnet. Das AEC beschäftigt sich seit 30 Jahren mit den Veränderungen, Wechsel- und Folgewirkungen zwischen Kunst, Technologie und Gesellschaft. So thematisieren Künstlerinnen und Künstler die fortschreitende Technologisierung unseres gesellschaftlichen Alltags. Die Plattform für digitale Kunst und Medienkultur veranstaltet jeden Spätsommer ein avantgardistisches Festival und einen Wettbewerb. Ein Medienkunst-Labor soll künstlerische Kompetenzen für Forschung und Industrie zugänglich machen, das «Museum der Zukunft» besitzt nun 3000 m² Ausstellungsfläche.

2006 fand der zeitlich knapp organisierte Wettbewerb statt. So reichten von den 150 interessierten, teilweise internationalen Büros nur 38 einen Beitrag ein. Zwei getrennte, unterschiedlich grosse bebaubare Bereiche für das beachtliche Raumprogramm waren festgelegt, um dazwischen den Blick auf die Häuserzeile an der Kirchengasse zu sichern (Abb. 04). Der Wiener Architekt Andreas Treusch verstand es in seinem Siegerprojekt, innerhalb dieses engen Korsetts eine skulpturale, schiffartige Lösung mit einem in die Topografie eingegrabenen Verbindungselement anzubieten. Mit der Vergrösserung des AEC von 2500 auf rund 6500 m² erhielt der dem mächtigen Rathauskomplex gegenüberliegende Brückenkopf einen städtebaulich angemessenen Akzent. Zum Kunstmuseum Lentos auf der anderen Donauseite tritt der Neubau mit seiner verwandten kristallinen und beleuchteten Glasfassade in Dialog (Abb. 10).

Treusch ergänzte den Bestand von 1996 über eine gebäudehohe Halle mit einem neuen Trakt. Eine doppelschalige Fassade mit hinterleuchteter, teils transparenter, teils matter Glashülle umschliesst die Volumina zu einer neuen Einheit. Über ein grosszügiges Foyer betritt man das Gebäude (Abb. 12), das ein über die Öffnungszeiten des Museums hinaus zugängliches Café-Restaurant und einen Dachgarten beherbergt.

Unterirdisch dockt die Ausstellungshalle «Main Gallery» an, die vom AEC selbst gestalteten vier Laboratorien BrainLab, BioLab, RoboLab und FabLab laden die Besucherinnen und Besucher zur aktiven und kreativen Auseinandersetzung ein. Über dem neuen «Museum der Zukunft» befindet sich das «Main Deck», und die Kirchengasse wurde zum attraktiv bespielbaren, öffentlich zugänglichen Platz erweitert. Dieser geht in die Sitzarena des «Upper Deck» am Ende des Gebäudeensembles über. Unterhalb des begehbaren Daches des zweiten Baukörpers – er schiebt sich etwas ignorant vor die barocke Stadtpfarrkirche Urfahr – befinden sich Labors und Werkstätten.

RGB-W-Grosspixel lassen Gussglas strahlen

Der Zeitplan zur Realisierung der Erweiterung war sehr knapp bemessen, die Anfang 2006 veranschlagten Kosten von 16 Millionen Euro wuchsen auf knapp 30 Millionen. Ein besonderes Merkmal des Baus, die im Wettbewerb vorgeschlagene Leuchtdiodenfassade, sollte konventionellen, weissen Leuchtstoffröhren weichen. In letzter Minute ermöglichte der Innovationsschub bei den LED eine Medienfassade mit roten, grünen, blauen und weissen (RGB-W) Highpower-LED für rund 820 000 Euro. Weisse Leuchtstoffröhren hätten die Hälfte gekostet, weisse LED knapp 500 000 Euro.

Die Farbenpracht der Musterbeleuchtung überzeugte die Stadt. Hinzu kommt die Energieeffizienz. Die Planer sprechen von einer jährlichen Ersparnis von rund 38 000 Euro durch niedrigere Energiekosten und geringeren Wartungsaufwand. In der Dämmerung werden die LED auf 100 Prozent geregelt, im nächtlichen Normalbetrieb hingegen reichen rund 20 bis 30 Prozent der Energie oder durchschnittlich drei bis fünf Kilowatt, um für Betrachter den gleichen Effekt zu erzeugen.Die Medienfassade mit 40 000 LED und 5000 m² gilt als die grösste Europas. Gussglas wurde ausgewählt, da sich darin im Gegensatz zum herkömmlichen Industrieglas das Licht gleichförmiger ausbreitet (Abb. 11). Die Lichtplaner entwickelten spezielle LED-Lichtleisten für die 1100 Glasscheiben. Sie wurden hinter jede Glasscheibe vertikal – vor dem Betrachter versteckt – montiert und projizieren seitlich das Licht in die Glasplatte. Jede einzelne bildet mit 3 m Breite und 1.20 m Höhe ein Pixel. Die gegenüber Leuchtstoffbalken unvergleichbar kompakteren Leisten sind je nach dem zu beleuchtenden Glas mit bis zu 48 Highpower-LED bestückt, die aufgesetzten Spezialoptiken verteilen das Licht auf der Glasscheibe möglichst homogen. Jeweils 10 000 LED strahlen in den Farben Rot, Grün, Blau und Weiss. Vier Kanäle pro Lichtleiste bedeuten 4400 Kanäle, die ein Bussystem (Artnet, DMX) – regelbar zwischen 0 und 100 Prozent – ansteuert. Helligkeit und Farbmischung jeder Scheibe sind einzeln steuerbar und ermöglichen Muster oder homogene Farbverläufe.

Wechselnde Lichtkunstwerke an der Fassade

Bei der Eröffnung am 2. Januar 2009 spielte der vom AEC beauftragte New Yorker Künstler Zachary Lieberman in die Schnittstelle der Fassadensteuerung eine besondere Produktion ein. Auch das seither gezeigte Lichtkunstwerk stammt von ihm. Trotz Ähnlichkeiten bei der Wiederholung des Programms handelt es sich um keine (Endlos-)Schleife, weil Lieberman in Reverenz an Johannes Kepler – der Astronom und «Mathematicus» lehrte bis zur Protestanten vertreibung 1626 in Linz – in das Lichtkunstwerk aktuelle Planetenbahnen und Sonnenaktivitäten integrierte.1 Letztere huschen immer wieder über das Gebäude, das täglich von der Dämmerung bis über Mitternacht bespielt wird. Nach Liebermans reaktiver Konzeption will Gerfried Stocker, der künstlerische Leiter des AEC, künftig Künstler zu interaktiven Bespielungen einladen.[2] Die Möglichkeiten sind vielfältig, wie der Vergleich mit dem 2003 eröffneten Kunstmuseum Lentos zeigt. Die Zürcher Architekten Weber & Hofer haben ihm eine Hülle aus Glas gegeben. Die in der Unterkonstruktion integrierten, dimmbaren Leuchtstoffröhren können unterschiedlich hell von Blau bis Rot mit Magenta in der Mitte leuchten. Gelb, Grün oder Weiss können nicht generiert werden, da dafür zusätzlich grüne Leuchtstoffröhren notwendig wären. Nichtsdestotrotz war 2003 das spannende «Spiel mit Farbe und Kubatur des Leuchtkörpers und Chamäleons» der Anspruch.

AEC und Linz präsentieren sich selbstbewusst

Zwischen der mit Leuchtstoffröhren beleuchteten Fassade des Kunstmuseums und der LED-Fassade des AEC ist die Entwicklung im Bereich der Leuchtmittel deutlich zu erkennen. Jede einzelne Leuchtdiode im AEC reagiert millisekundenschnell, sodass selbst fliessende Bewegungen und Farbverläufe optimal umgesetzt werden können. Mit der Errichtung des Leuchtkörpers, der sich in der Donau spiegelt und sich in der Nachtsilhouette von Linz selbstbewusst präsentiert, sieht Stocker auch die Chance für das AEC, «sich neu zu erfinden». Wesentlich ist für Stocker das «Weitergehen» über den Bereich der Informationsund Kommunikationstechnologie hinaus, in Bereiche wie Neurosciences und Molekularbiologie. Das seien die Themen im Bereich Wissenschaft und Technologie, bei denen die stärksten gesellschaftlichen und kulturellen Auswirkungen zu erwarten sind. Heutzutage sei es möglich, den menschlichen Körper, das Gehirn, das Innere von der DNA bis zum Gedanken sichtbar zu machen. Die aktuelle Ausstellung «Neue Bilder vom Menschen» zeigt auf 4000 m² die Wissenschaften vom Leben. Die Zukunft wird neue Facetten bringen, die das gläserne Leuchtschiff beherbergen kann.


Anmerkungen:
[1] Dazu wurden Daten des NASA/ESA-Solar und des heliosphärischen Observatoriums verarbeitet
[2] Der deutsche Mediengestalter Joachim Sauter unterscheidet autoaktiv, reaktiv, interaktiv und partizipativ gestaltete Medienfassaden

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch