Bauwerk

Erweiterung Historisches Museum
:mlzd Architekten - Bern (CH) - 2009

Turm und Tableau, Platz und Panorama

Eine unterirdisch eingegrabene Blackbox und ein «Monolith»: Die Erweiterung des Historischen Museums in Bern, «Kubus Titan», der Bieler Architekten :mlzd spannt sich auf zwischen dem Verborgenen und dem spektakulär in Erscheinung Tretenden, zwischen Sockel und Turm. Das Historische Museum Bern (BHM) markiert den Auftakt des Museumsquartiers im Berner Kirchenfeld. Die Museumsmeile umfasst neben dem BHM die Kunsthalle, gleich neben dem Brückenkopf der Kirchenfeldbrücke, gegenüber das Schweizerische Alpine Museum, das Schützenmuseum, das Naturhistorische Museum der Burgergemeinde Bern, die Albert Heim Stiftung und das Museum für Kommunikation (1990 –1997 als PTT-Museum). Abgeschlossen wird die Meile durch den «Rücken» der Schweizerischen Nationalbibliothek. Die städtebauliche Entwicklung des Quartiers nahm mit dem Bau der gleichnamigen Brücke 1883 ihren Anfang. Der Einfluss der barocken Stadtbaukunst lässt sich noch heute ablesen, obwohl vom 1881 verabschiedeten Idealplan abgewichen wurde (vgl. Kasten «Museums schloss» S. 20). Nicht zuletzt der Bau des Historischen Museums – ursprünglich als Landesmuseum geplant – verursachte das teilweise Abrücken von der Planung, weil es das Orthogonal muster von Bernastrasse, Helvetiastrasse, Museumsstrasse und Hallwylstrasse erzwang.

2. Oktober 2009 - Rahel Hartmann Schweizer
Das Historische Museum Bern ist nicht nur das Einfallstor ins Kirchenfeldquartier, sondern gewissermassen auch der Brückenkopf der Kirchenfeldbrücke, liegt es doch nicht nur exakt auf deren Achse, sondern auch durch eine künstliche Aufschüttung um 4.5 m gegenüber dem Terrain erhöht. (Trotzdem verstellt das 1992 aufgestellte Welttelegraphendenkmal den Blick auf den schlossartigen Gebäudekomplex.)

Obwohl von André Lambert asymmetrisch projektiert, wirkt die Anlage ausbalanciert: Die Betonung der Mittelpartie des Hauptbaus und die gegengleich abgewinkelten Flügelbauten – der westliche verläuft Richtung Süden, der östliche stösst nach Norden vor – erzeugen diesen Eindruck eines Gleichgewichts, akzentuiert noch durch einander jeweils als Pendant entsprechende Turm- und Erkerbauten. Diese beleben den Bau, lassen ihn allerdings auch etwas zerklüftet wirken.

Abgesehen vom Platzmangel, an dem das Museum schon seit der Entstehungszeit litt, gab es ein weiteres Manko, das über die Jahrzehnte nie behoben wurde: das Brachliegen der Rückseite der Anlage. Diese hätte aus einem «Städtchen» mit einem Dutzend verschiedener schweizerischer Haustypen bestanden – einem kleinen «Ballenberg avant la lettre».[1] Da Lambert eine gegenüber der ursprünglichen Planung abgespeckte Variante realisieren musste – im Juni 1890 hatte das Bundesparlament entschieden, das Landesmuseum in Zürich statt in Bern zu domizilieren –, fiel die rückwärtige Bebauung dahin.

Mit dem sogenannten Moser-Anbau für die Sammlung von Henri Moser-Charlottenfels, den René von Wurstemberger 1918–1922 errichtete, bekam die Anlage nun nach Süden hin zwar ein Gegengewicht. Die spärliche Befensterung verschloss ihn aber fast hermetisch nach aussen.

Blackbox und Landmark

Die Architekten der jetzigen Erweiterung sollten daher nicht nur die Platznöte beheben, sondern auch eine städtebauliche Lösung bringen, die der Marginalisierung des rückwärtigen Parks entgegenwirkt. Das Raumprogramm umfasste einen Saal für Wechselausstellungen, ausgedehnte Depoträumlichkeiten, Arbeits- und Archivräume sowie Platz für das Stadtarchiv, das am Standort im Erlacherhof seinerseits an Kapazitätsgrenzen stiess. Inhaltlich lauteten die Vorgaben: Der neue Wechselausstellungsaal sollte als Blackbox ausgebildet sein; natürliche Belichtung war ebenso unerwünscht wie eine Architektur, die das Ausstellungsgut hätte konkurrieren können. Das Gebäude aber, das dereinst das Stadtarchiv, das vom Erlacherhof hierher disloziert würde, und die Büros der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beherbergen sollte, durfte eine Landmark sein. Der Haken dabei: Die geforderten Büroflächen und die Dimensionen des Wechselausstellungssaals (1200 m²) und der Depots (3200 m²) hätten den Massstab des «Museumsquartiers» gesprengt.

Neuinterpretation alter Typologien

Das Bieler Architekturbüro :mlzd fand die Lösung, indem es den Wechselausstellungssaal und die Depots in den Untergrund «verbannte» und das Bürogebäude als Turm ans Ende des Grundstücks setzte. Indem die Architekten den Wechselausstellungssaal unterirdisch anlegten, waren sie das Problem mit dem Tageslicht los und spielten sich ausserdem den rückwärtigen bzw. ostseitigen Raum frei. So gewannen sie ein Plateau, das den Raum zwischen dem Alt- und dem Neubau aufspannt. Und dieser Neubau fungiert als ein weiteres burgartiges Volumen, das sie dem aus Flügeln und Türmen komponierten Ensemble beigesellen. Sie bauen in gewisser Weise weiter mit Sockel und Turm. Nur interpretieren sie die Typologien neu, indem sie sie voneinander trennen – und aus ihnen je eine neue Qualität gewinnen.

Vielschichtiger Dialog

Der Turm, der die Südostecke der Anlage definiert, beherbergt Büroräume für das Museum sowie Büros und eine Bibliothek mit Lesesaal für das Stadtarchiv. Von Süden her wirkt der auf drei Seiten geschlossene Bau monolithisch, wie ein Fels – zumal das Dach nicht nur dieselbe Materialisierung wie die Fassaden aufweist, sondern auch als Volumen in Erscheinung tritt.

Der Bau tritt auf mehreren Ebenen in Dialog mit dem Bestehenden. Das beginnt bei der Farbe. Die Architekten haben die Farbigkeit der Fassade mit einem dem Beton beigemischten gelbgrünen Farbzusatz optisch aufgeweicht und auf die Sandsteinfassaden des Altbaus abgestimmt. Dass die drei Seiten nicht nur in sechs Fassadenflächen aufgelöst sind, sondern deren drei um jeweils einige Grad geneigt sind – 96.66°, 82.69° und 80.11° –, verhindert, dass der Bau als Klotz wirkt. Die Architekten anverwandeln ihm damit auch das Vor- und Zurückspringen der Fassadenabwicklung des Altbaus mit seinen Flügeln, Türmen und Erkern (Abb. 6).

Sportlicher ausgedrückt, erinnern die Fassaden an eine Assemblage von Kletterwänden. Dazu trägt durchaus auch bei, dass sie mit Prägungen in der Form überdimensionierter Pixel übersät sind – nur, dass diese eben nicht erhaben, sondern eingetieft sind. Auch sie stehen im Dienst der optischen «Aufweichung» der Fassade. Adaptiert haben die Architekten die Pixel vom teilweise bossierten Mauerwerk des Altbaus – in einer Art Transformationsprozess. Sie haben die Steine fotografiert und die Aufnahmen bis zur Pixelauflösung vergrössert. Das gab ihnen die Matrize, aus der sie dann die zu 14 verschiedenen Formen gruppierten Pixel extrahiert haben. Nun wirken sie mit Eintiefungen von zwischen 4 und 12 cm wie ein eingemeisseltes Basrelief. Tatsächlich aber wurden sie beim Betonieren durch auf die Schalung genagelte Kunststoffformen ausgespart – ebenso wie die weiteren sechs Formen für die auf der Rückseite zur Belichtung des Treppenaufgangs eingeschnittenen Fenster.

Bühne und Balkon - Plateau und Tableau

Das Bürogebäude ist auf drei Seiten geschlossen. Der separate Zugang zum Stadtarchiv auf der Südseite tritt nur als Schlund in Erscheinung. Die vierte aber, die Nordseite, ist vollflächig verglast, sodass der Bau wirkt, wie wenn man durch ein edelsteinhaltiges Gestein gefrässt hätte (Abb. 5). Auf den ursprünglich geplanten Siebdruck mit einer Art Strichcode-Muster mussten die Architekten verzichten, weil der Betreiber befürchtete, dass es bei der Arbeit irritieren könnte. Der Strichcode hätte den Eindruck einer aufgeschnittenen Fassade stärken und wie ein zarter Vorhang das Glas ebenfalls optisch etwas weicher machen sollen. Um dies doch zu erreichen, wählten die Architekten stärker verspiegelte Gläser. Diese reflektieren den Altbau – eine weitere Variation des Dialogs mit diesem.

Ausserdem fungiert die Fassade so als attraktive Kulisse, als Tableau für die Stadtbühne, die sich vor ihr ausbreitet. Diese Bühne ist das Dach des mit 21 × 43 × 6 m als Sockel figurierenden Wechselausstellungssaals. Es ist mit demselben eingefärben Beton bedeckt, aus dem die Fassaden des Turms bestehen. Mithin ist dieses Dach also sowohl funktional als auch formal eine fünfte Fassade. Von hier aus schweift der Blick hinüber zur Altstadt. Das Kirchenfeld wird optisch mit dem Münster verbunden. Und das Plateau wird als Balkon des Kirchenfelds gleichsam zum Pendant en miniatur zur Münsterplattform.

Zur Strasse hin tritt der Sockel als Mauer in Erscheinung, welche die bestehende Einfriedung des Museumskomplexes weiterführt. Um den Übergang nicht abrupt zu gestalten, haben :mlzd das Plateau «abgeklappt». Innerhalb des Komplexes bildet das Plateau ein Scharnier sowohl zwischen Alt- und Neubau als auch zwischen dem Museumspark und dem rückwärtigen Grünraum. Die grandiose «Tempeltreppe» führt nämlich von der Rückseite auf den Platz. Die eingelassene Pferdetreppe verweist schon heute auf weitere Mittelalter- Spektakel wie das von 2008.

Da der Platz im Norden direkt an die Altbauten andockt, verdeckt er deren Sockelzone. Die Bauten verlieren ihre trutzige Distanziertheit. Man kommt den Baukörpern näher, wird ihrer Stofflichkeit, welche die Architekten ja auch im Neubau heraufbeschwören wollten, stärker gewahr. Nicht «angedockt» haben sie hingegen am Moser-Anbau. Hier haben sie eine Schneise gelassen und den Einschnitt für die Fluchtwege genutzt. Und sie haben ein zusätzliches dialogisches Element eingefügt: Eine Stelenfassade aus vertikalen Rundstäben aus Stahl, die gleichzeitig das Geländer der Tempeltreppe bildet, reagiert auf die Schmiedeisenarbeiten am Altbau (äusseres Titelbild).

Das Innere ist sowohl im Turm als auch im Sockel zurückhaltend materialisiert: Die Wände sind sandfarben verputzt, um sie der Materialisierung der Aussenwände anzunähern. Der Kern, der Lift und Steigzone sowie Nebenräume birgt, ist mit einer Vliestapete bedeckt, der mit einem Glanzanstrich eine «ölige» Anmutung verliehen wurde. Sie ersetzt das ursprünglich vorgesehene Kunst-am-Bau-Projekt – eine den Kern fassende Tapetenwand –, von der die Architekten bei der Ausführung absahen, um den Bau nicht mit «Schmuckmotiven zu überfrachten». Während der Hartbetonüberzug der Böden im Turm lediglich imprägniert wurde, wird er im Wechselausstellungssaal, der ansonsten dunkelgrau gestrichen ist, je nach Ausstellung mit einem Farbauftrag versehen.

Neben Sockel und Turm haben die Architekten auch das Thema der Treppe akzentuiert. Die Stufen in den Wechselausstellungssaal erscheinen als Pendant zur Tempeltreppe – hier statt diagonal von den Stiegen der Pferdetreppe durch ein Zwischenpodest unterbrochen. Die Erschliessung des Turms erfolgt über eine Kaskadentreppe, deren Stufen dramatisch in die Tiefe stürzen und nach oben optisch einen Sog erzeugen. Das Licht, das durch die Pixelfenster fällt, «zerfliesst» an der Innenwand, es aquarelliert die scharf ausgestanzte Kontur des digitalen Motivs.


Anmerkungen:
[01] Anne-Marie Biland: Bernisches Historisches Museum. Architekturführer, Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte Bern, 1994, S. 10

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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