Bauwerk

Aargauer Kunsthaus Aarau - Erweiterung
Herzog & de Meuron - Aarau (CH) - 2003
Aargauer Kunsthaus Aarau - Erweiterung, Foto: Margherita Spiluttini
Aargauer Kunsthaus Aarau - Erweiterung, Foto: Margherita Spiluttini

Glasschrein mit Gründach

Die wunderbare Transformation des Aargauer Kunsthauses durch Herzog & de Meuron

Das Aargauer Kunsthaus besitzt eine hervorragende Sammlung von Schweizer Kunst der letzten 200 Jahre. Dieser verhelfen nun die Basler Architekten Herzog & de Meuron mit ihrem Um- und Erweiterungsbau zu einem stolzen Auftritt, der Aarau in der Museumslandschaft ganz neu positioniert. Am Samstag findet die Eröffnung statt.

15. Oktober 2003 - Roman Hollenstein
Unspektakulär ist das Wort, das einem einfällt, wenn man sich von der Altstadt her dem umgebauten Aargauer Kunsthaus in Aarau nähert. Unspektakulär deswegen, weil man den Eingriff des international gefeierten Architektenteams Herzog & de Meuron zunächst kaum wahrnimmt. Je näher man dann aber dem zurückhaltend transformierten Musentempel kommt, desto selbstbewusster weiss sich dieser im früher doch so desolaten Umfeld des zur lärmigen Verkehrsdrehscheibe verkommenen Aargauer Platzes zu behaupten. Das alte, 1959 vom lokalen Architekturbüro Loepfe, Hänni und Hänggli vollendete Kunsthaus, welches ganz klar vom Zürcher Bührletrakt und vom Kunsthaus Glarus beeinflusst wurde, wirkt unverändert. Nur der einstige Vorplatz, der sich etwas unmotiviert zwischen dem stimmungsvollen klassizistischen Ensemble von Regierungs- und Grossratsgebäude, dem höher gelegenen Rathauspark und dem Kunsthaus weitete, ist einem flachen Anbau gewichen. Dieser besteht aus einer langen, nachts sich in einen Leuchtkörper verwandelnden Fensterfront, gebildet aus dem weiter gezogenen gläsernen Sockel des Altbaus und einem windschiefen Dach, welches in der milden Oktobersonne grasgrün leuchtet - fast wie die nahen Jurahöhen.

Dialog mit Stadt und Altbau

Dieser pavillonartig leichte Glasschrein mit Gründach öffnet sich nun zur Freifläche vor dem Regierungsgebäude mit einer an das Basler Schaulager erinnernden trichterförmigen Fassadeneinkerbung. Hier ist neu der Museumseingang. Doch unmittelbar daneben zieht einen die zur Lobby hin giftgrün verglaste Wendeltreppe sogartig hinauf. Oben angelangt, findet man sich staunend in einer moosbewachsenen Felslandschaft aus Tuffstein wieder. Diese dehnt sich - eingeengt von Grossratsgebäude und Kantonsbibliothek - bis hinauf zum Rathausgarten und bis an die Mauern des alten Kunsthauses, wo man hinunterblicken kann in ein rundum verglastes Atrium, das Licht in die Parterresäle des Museums fliessen lässt.

Was man leichthin als subjektive Spielerei kritisieren könnte, erweist sich als das Resultat einer sorgfältigen Analyse der städtebaulichen Anlage und des architektonischen Kontextes. Im 1996 ausgeschriebenen Wettbewerb wurde ein unterirdischer Erweiterungsbau gewünscht. Doch Herzog & de Meuron wollten die Chance zu einer urbanistischen Lösung, die das Kunsthaus stärker an die Stadt anbindet, nicht ungenutzt lassen. Eine bauliche Verdichtung mittels eines transparenten, auch räumlich durchlässigen Annexes lautete ihr Vorschlag. Dieses eingeschossige Gebäude schoben sie gleichsam unter den ehemaligen Museumsplatz, der so auf die Höhe der Terrasse vor dem Grossratsgebäude angehoben wurde, wobei die Glaswände optisch als «Stützmauern» der erhöhten Platzanlage dienen.

Die doppelte Lesbarkeit der Intervention als gartenarchitektonisches Element und als räumliche Erweiterung des alten Kunsthauses zieht sich im Innern des Gebäudes fort. Das sich hinter der eingekerbten Nordostecke weitende, ganz in weissem Stucco lustro gehaltene Foyer wirkt bald wie die abstrakte, von einer bunt wuchernden Pflanzenphantasie des Künstlerpaares Steiner und Lenzlinger belebte Version einer grottenartigen Sala terrena, wie man sie etwa vom barocken Palazzo Borromeo auf der Isola Bella kennt, bald wie eine begehbare neokubistische Raumskulptur in der Tradition von Oskar Schlemmers Merzbau. Diese Rauminstallation, welche die Wendeltreppe des Altbaus monumental überhöht, wird als elegantes Scharnier zwischen Stadt und Museum zur Bühne des urbanen Lebens und weckt Erinnerungen an Jacques Herzogs frühe künstlerische Tätigkeit. Gleichzeitig dient dieser Kunstraum als Eingang, Bibliothek, vor allem aber als Café, durch dessen Fenster man dem städtischen Treiben zuschauen kann. Hier darf die beschauliche Hauptstadt des Kantons Aargau für einige Momente zur Metropole werden.

Räume für die Kunst

Während die neue Wendeltreppe - nun im Innern des Hauses - vom Eingang hinunter in die von Thomas und Martha Huber gestaltete Bibliothek und zu den Garderoben führt, gelangt man in der Tiefe des Foyers in die eigentlichen Schauräume. Wer befürchtet, dass sich dort das Spiel von Architektur und Kunst zuungunsten der Exponate fortsetzt, wird eines Besseren belehrt: Über die alte Wendeltreppe gelangt man in die sanft renovierten Oberlichtsäle des Altbaus. Der Schneckenbewegung des Aufstiegs antwortet hier ein Steinkreis von Richard Long, um den sich die Hochgebirgsdarstellungen von Caspar Wolf zu einer der suggestivsten Konstellationen der Eröffnungsschau gruppieren. Diese konzentriert sich unter dem Titel «Neue Räume» ganz auf die Sammlungsbestände und will mit rund 500 Meisterwerken von Johann Heinrich Füssli bis Marc- Antoine Fehr den Anspruch des Kunsthauses als heimliche Nationalgalerie für Schweizer Kunst unterstreichen. Noch nie konnten die Aarauer Bestände in dieser Breite präsentiert werden. Vielmehr dämmerten sie im früher vor allem als Kunsthalle bespielten Haus meist in den Depots vor sich hin. Das wird sich nun ändern, bleiben doch die Oberlichtsäle und die Räume im Untergeschoss künftig für die Sammlung reserviert, während das Parterre weiterhin Wechselausstellungen vorbehalten werden soll.

Die gegenwärtige Schau bildet über weite Strecken einen - von Franzosen wie Corot, Courbet oder Gauguin, von deutschen Expressionisten und internationalen Gegenwartskünstlern gefassten - Höhenweg der Schweizer Kunst, auf dem man allerdings einige Meister aus dem Westen und Süden des Landes vermisst. Werke von Anker, Böcklin, Koller und Zünd erzählen von den sammlungspolitischen Anfängen des 1860 gegründeten Aargauer Kunstvereins, während sich Hodler, Giacometti und Amiet zu einem ersten leuchtenden Gipfel vereinigen. Im Untergeschoss, in das neu über die Wendeltreppe Tageslicht vordringt, begegnet man der zwischen Kubismus und Abstraktion oszillierenden Kunst der Zwischenkriegszeit, einer schönen, erst jüngst zusammengekommenen Gruppe der Zürcher Konkreten und der mit gestisch-abstrakten Werken in einen Dialog gebrachten Eisenplastik. Die in den ehemaligen Depots untergebrachten Grafikräume überraschen mit einem noch nie gezeigten Legat von Werken Sophie Taeuber-Arps, während in den neu hinzugekommenen Sälen fotorealistische Malerei, expressive Skulptur und Objektkunst bis hin zu John Armleder zu sehen sind. Die vom Altbau übernommenen Asphaltböden verunklären den Übergang von Alt zu Neu, zumal auf dem unterirdischen Rundgang die Orientierung nicht ganz einfach ist. Da hilft auch die aufdringliche Neonbeleuchtung wenig. Schade, dass es nicht möglich war, durch den Boden des Atriums Tageslicht in diese Tiefen zu führen.

Umso heiterer präsentieren sich dagegen die Säle im Erdgeschoss, in denen das Seitenlicht des ehemaligen grossen Parterresaals dominiert. Dass dieser in transformierter Form weiterlebt, zeigt sich in allen vier um das Atrium angeordneten Räumen, vor allem aber in jenem Saal, der noch immer mit dem alten Terrazzoboden ausgestattet ist. Hier, wo sich die zeitgenössische Kunst ins beste Licht setzen darf, sucht man vergeblich nach neuen Medien und dunklen Videoboxen. Vielmehr triumphiert für einmal die zeitgenössische Malerei - von Helmut Federle über Rudolf de Crignis, Renée Levi und Adrian Schiess bis hin zu Joseph Marioni und Marcia Hafif. Deren Werke finden in den leuchtenden Sälen zu einer Aussagedichte, wie man sie ausserhalb der Ateliers kaum je erleben kann. - Herzog & de Meuron ist in Zusammenarbeit mit Remy Zaugg ein Amalgam aus Bestehendem und Neuem gelungen, das sich gleichermassen selbstbewusst und bescheiden, skulptural und urbanistisch, spektakulär und kunstgerecht gibt. Obwohl die 17 Millionen Franken teure Transformation verglichen etwa mit der Tate Modern in London klein erscheint, hat Aarau einen stolzen Museumsbau erhalten, der beides bietet: einen Ort für stille, quasisakrale Begegnungen mit der Kunst und ein architektonisches Ereignis.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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