Bauwerk

MPREIS im Kaufhaus TYROL
Rainer Köberl - Innsbruck (A) - 2010
MPREIS im Kaufhaus TYROL, Foto: Lukas Schaller

MPREIS im Kaufhaus Tyrol

Auszeichnung des Landes Tirol für Neues Bauen 2010

12. November 2010 - aut. architektur und tirol
Wie ein verkehrt gepolter Fotoapparat löste der neue MPREIS im Kaufhaus TYROL zwei Erinnerungen in mir aus, eine Erinnerung aus der Vergangenheit und eine Erinnerung möglicherweise aus der Zukunft. Beide liegen exakt an der Grenze zwischen Raum und Bild, nach Belieben lassen sie den Betrachter vom Bild in den Raum, in das Raumbild, in den Bildraum und zurück rutschen.

Das Bild aus der Vergangenheit ist ein Foto, das von einer Bootsreise entlang des „Rio Negro“, einem Seitenfluss des Amazonas blieb. Es ist ein Foto, das am frühen Morgen vom Bug des fahrenden Boots nach vorne, über den „schwarzen Fluss“ aufgenommen wurde, der „schwarze Fluss“ durch keinen Luftzug getrübt, steht noch für einen Sekundenbruchteil unberührt vom fahrenden Boot absolut glatt und bewegungslos im Urwald. Erst im Foto, der Aufnahme oder Beschreibung des Tatsächlichen also, wird die Möglichkeit einer perfekten Illusion sichtbar. Das Bild ist nach Belieben dreh- und wendbar. Im Foto ist das Bild der Spiegelung der Welt nicht mehr vom Bild der Welt zu unterscheiden.

Das Bild aus der Zukunft kommt von unten, aus 2010, der Ebene 4 des MUMOK in Wien. In „Now I See“, wie Brigitte Kowanz 2010 ihre Ausstellung überschreibt, werden vor die 4 Wände des rechteckigen Ausstellungsraums raumhohe Spiegel gesetzt. In den Raum, dem die Grenzen genommen wurden, setzt Kowanz 4 weitere Installationen (verschieden gerichtete, virtuelle Subräume), die jeweils aus Neonzeichen und transparenten oder reflektierenden Flächen bestehen. Im Raum ist die wiederholte Spiegelung des Raumes – das im optischen Flatterecho unendlich reproduzierte und in den Raum gesetzte Bild des Raumes – nicht mehr vom Raum zu trennen.

Von Rainer Köberl initiierte Architekturen können uns manchmal aus der Realität in die Schwebe einer kulturellen Textur tragen, einer nachdenklichen, grüblerischen Schrift, versehen mit unbeschriebenen Fußnoten, frei zur Beschriftung durch den Leser.

Zur Sache: Der MPREIS im Kaufhaus TYROL ist kein MPREIS und kein Supermarkt – oder zumindest nicht nur. Er ist zuerst, und zuallererst, eine „Einrichtung“ oder „Anordnung“, die von 2 horizontalen Ebenen bestimmt ist, deren geometrische Positionierung das eine ist, deren Materialität das Andere. Die obere der beiden Ebenen ist schwarzes Glas, spiegelnd würde man schnell sagen – doch das ist nicht genau genug – genau wäre: man sieht in manchen Augenblicken das, was unter dieser Ebene ist, verkehrt herum abgebildet. Sie spiegelt also nicht, sondern sie „nimmt“ das Darunterliegende „auf“ wie eine Fotoplatte, stellt es auf den Kopf und gibt es auf den Kopf gestellt wieder. Diese horizontale Ebene ist ein riesiges speicherunfähiges – No Memory – Aufnahmegerät und Abspielgerät, das an die Möglichkeit der Abspaltung des Bildes vom Raum vom Raum selbst denken lässt.

Die untere Ebene ist aus langlebigem Holz, ein Fußboden ja, jedoch ebenfalls ein Aufnahmegerät, einfacher wohl als das Glas, doch „nimmt“ diese Holzebene mit ihrer langlebigen zähen Weichheit von zumindest 150 Jahren ebenfalls „auf“: Eindrücke, Ausschüttungen, zertrümmerte Gläser, grobe Schuhe, Schotter, Fette, Wachse, Tränen, Säfte. Hier kann alle Jahrzehnte grob gelöscht, geschliffen werden. Im Gefüge des Materials, im Memory, im Gedächtnis bleiben alle Abdrücke jedoch, zumindest als Rest.

Teile dieser „Anordnung“ kennen wir bereits aus anderen Projekten Köberls, u. a. aus dem MPREIS am Bahnhof. Köberls Praxis ist auch eine der Wiederholung, des Wiederprobierens, des Andersprobierens bis sich das Blatt zu einem anderen Blickpunkt auftut. (Jurytext: Wolfgang Tschapeller, Auszeichnungen des Landes Tirol für Neues Bauen 2010)

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Für den Beitrag verantwortlich: aut. architektur und tirol

Ansprechpartner:in für diese Seite: Claudia Wedekindclaudia.wedekind[at]aut.cc

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