Bauwerk

Baldachin Bahnhofplatz Bern
marchwell, Wellmann Architekten AG, BSR Bürgi Schärer Raaflaub, Atelier 5 - Bern (CH) - 2008

Gläserne Welle

Baldachin Bahnhofplatz Bern

Eine gläserne Welle überdacht den neuen Bahnhofplatz von Bern. Der Baldachin überspannt die Haltestellen von Tram und Bus sowie einen grossen Teil des öffentlichen Platzes, der als neues Tor zur Altstadt an städtischer Prägnanz gewonnen hat. Unter der eleganten, leichten und transparenten Grossform, bleibt der Blick auf die historischen Fassaden der Stadt erhalten.

11. Januar 2010 - Evelyn C. Frisch
Nach jahrelangem Ringen hat die Bundeshauptstadt einen neuen überdachten Bahnhofplatz. Aus dem chaotischen Verkehrsknotenpunkt im Herzen von Bern ist eine weiträumige und lichte Flaniermeile geworden. Das Dach gliedert die Fläche, die nun hauptsächlich Platz ist und den Verkehr aus ihrem Mittelpunkt an den Rand gedrängt hat. Die Heiliggeistkirche – das vertikale Prunkstück am Bahnhofplatz – wird durch die Weichheit und Transparenz des Daches nicht bedrängt, sondern umschmeichelt. Von jedem Punkt des Platzes aus, ist ihr hoher Glockenturm zu erkennen. Aus der Distanz betrachtet bietet der Baldachin vier unterschiedliche Ansichten: von der Spitalgasse aus nimmt man nur eine fein geschwungene Linie wahr. Zurückhaltend wirkt er aus der Richtung des Bahnhofs. Überraschend ist die Perspektive aus der Christoffelgasse, da hier die Stahlkonstruktion mit den am tiefsten Punkt zusammenlaufenden und frei über den Platz hängenden Trägern dominiert. Einer Metapher gleich schwingt sich der Baldachin vom Bubenbergplatz aus gesehen an der Stelle, an welcher das historische Tor gestanden hatte, von drei Metern auf seine maximale Höhe von zehn Metern empor.

Geschichtete Tragstruktur

Der Baldachin ruht auf einer Tragstruktur aus sechs Kastenträgern auf insgesamt zwölf eingespannten Stahlstützen. In Längsrichtung verlaufen die zweifach gekrümmten Sekundärträger, welche die Dachform alsWelle definieren. Zwischen diesen Sekundärträgern liegen Tertiärträger, an welchen die Punkthalterungen für insgesamt 528 Glasplatten, alle mit unterschiedlicher Geometrie, angebracht sind. Die Gläser werden von oben gehalten und verbinden sich zu einer hauchdünnen, geschlossenen Membran. Die mehrfache Krümmung der Dachfläche stellte hohe Anforderungen an die Präzision der Ausführung während Produktion, Transport und Montage.

Haut aus Glas

Die gläserne Haut prägt in ihrer Homogenität den überspannten städtischen Raum. Da die Tragstruktur des Baldachins komplett über der Glasfläche liegt, verbinden sich die Glasscheiben zu einer Membran von beachtlicher Transparenz. Für die Glasaufhängung wurden Bügel an die vorgebohrten Tertiärträger geschraubt. Um die ideale Anpassung an die verschiedenen Winkel der Dachneigungen aufzunehmen wurde eine Konsole mit Gelenk gefertigt. Ein feiner Siebdruck auf der Glasunterseite mit 25 Prozent Punktanteil dient der Entspiegelung der Glasunterseite sowie dem sommerlichen Wärmeschutz. Gleichzeitig wird damit die gewünschteTransparenz erhalten.

Präzision in der Ausführung

Mit der Montage der Stahlkonstruktion wurde von der Mitte aus begonnen, zuerst Richtung Süden und dann Richtung Bahnhof. Um den täglichen Trambetrieb uneingeschränkt aufrecht zu erhalten sowie für die allgemeine Sicherheit wurde eine fixe Arbeitsbühne gebaut, welche in Stufen dem Verlauf des Baldachins folgte. Die ersten drei Primärträger wurden von der Bühne aus auf die Stützen gehoben. Die Sekundär- und Tertiärträger wurden danach mit Baukranen sukzessive eingebaut und mit Montagelaschen fixiert. Nach dem Ausrichten wurden die Sekundärträger biegesteif an die Primärträger verschweisst. Die Montage der bis zu 400 Kilogramm schweren Gläser erfolgte mit einem Rollwagen mit Hydraulikzylinder. Dadurch konnten die Scheiben behutsam in die Halterungen eingefahren werden.

Prix Acier 2009

Das Bauwerk überzeugt durch seine zurückhaltend elegante Form und die äusserst filigrane und transparente Konstruktion in einem bedeutenden, historischen Kontext der Bundeshauptstadt. Die präzise und auf das Wesentliche reduzierte Detaillierung des Stahlbaus und seine weiche Gesamtform nehmen Bezug auf die Funktion des Platzes als hochfrequentierter, öffentlicher Ort und als einladende Geste für Ankömmlinge und Stadtbürger. Das Bauwerk wurde deshalb mit dem Schweizer Stahlbaupreis Prix Acier 2009 ausgezeichnet.

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Für den Beitrag verantwortlich: Steeldoc

Ansprechpartner:in für diese Seite: Evelyn C. Frischinfo[at]szs.ch