Bauwerk

Amtsgebäude - Fassadengestaltung
rainer pirker ARCHItexture - Wien (A)
Amtsgebäude - Fassadengestaltung, Schaubild: rainer pirker ARCHItexture

Und was ist hinterm Glassturz?

Billig und monofunktional statt sparsam und zweckmäßig: Bei vielen Bundesbauten aus den sechziger und siebziger Jahren wurden diese Begriffe verwechselt. Heute sind Sanierungen erforderlich. Darf man sich dabei mit den notdürftigsten Reparaturen zufriedengeben? Ein Beispiel.

8. Februar 2003 - Christian Kühn
Erinnern Sie sich noch an die Zeiten, als es in Österreich ein Bautenministerium gab? Oder später zumindest eine Sektion für diesen Bereich im Wirtschaftsministerium? Alles Vergangenheit: Der öffentliche Hochbau ist längst in private Rechtsformen übergeführt. Das hat keineswegs schlechte Ergebnisse gebracht. Vergleicht man die Ära eines Bautenministers Sekanina mit den zehn Jahren, in denen die ausgegliederte Bundesimmobiliengesellschaft BIG für den Bundeshochbau verantwortlich war, stehen auf der einen Seite höchst bedenkliche Vergabepraktiken und entsprechend miserable Gebäude, auf der anderen Seite mehrere Bauherrenpreise für herausragende Realisierungen. Inzwischen hat die BIG auch den Immobilienbestand des Bundes übernommen und ist für dessen Instandhaltung verantwortlich, eine Aufgabe, die in Zukunft quantitativ den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ausmachen wird.

Instandhaltung bedeutet bei vielen dieser Objekte weit mehr als nur ein neuer Anstrich. Vor allem in den sechziger und siebziger Jahren wurde der gesetzliche Auftrag, zweckmäßig und sparsam zu bauen, mit monofunktional und billig verwechselt. Das Ergebnis sind Bauten, die sich an neue Anforderungen nur mit Mühe anpassen lassen, technische Mängel aufweisen und an heutigen Standards gemessen unmoralisch viel Energie verbrauchen. Die Republik hat mit der Ausgliederung dieser Objekte zwar die direkte Verantwortung abgegeben, sie ist aber nach wie vor Eigentümerin der BIG und als solche indirekt dafür verantwortlich, ob billige Lösungen der Vergangenheit nur auf niedrigem Niveau instand gehalten oder an heutige, technisch und ästhetisch fortgeschrittene Maßstäbe herangeführt werden können.

Ein Beispiel für eine solche Aufgabe ist die Fassadensanierung für das Amtsgebäude in der Wiener Zollamtsstraße. Das Gebäude stammt aus den siebziger Jahren und zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß es sich durch nichts auszeichnet. Wer das nicht als Qualität anerkennen will, braucht nur das direkt anschließende Amtsgebäude von Peter Czernin und dessen abstrusordinäre und im übrigen sündteure Fassade zu studieren. Auch in der inneren Orientierung ist Czernins Amtshaus ein Irrgarten, während Bundesrechenzentrum und Statistik Austria klar angelegt sind: Vom jeweiligen Erschließungskern zwei gen kreuzförmig vier Gänge in die Amtsräume ab, die sowohl als Großraum- wie als Einzelbüros genutzt werden können. Insgesamt keine nennenswerte Architektur, aber zumindest zeitloser Charme der Bürokratie.

Die Fassadensanierung ist notwendig, weil Betonfertigteile, mit denen die Fensterbrüstungen verkleidet sind, herabzustürzen drohen. Zusätzlich sprechen hohe Heiz- und Kühlkosten für eine Sanierung. Im Frühjahr 2002 fand ein geladener Wettbewerb mit zehn Teilnehmern statt, den eine Arbeitsgemeinschaft, bestehend aus Rainer Pirker/ArchiteXture und den Bauingenieuren Oskar Graf und Peter Maydl, unterstützt von Walter Prause als Konsulent für Bauphysik, für sich entscheiden konnte. Der Entwurf sieht die Einkleidung des Bestandes in eine Glashülle vor, die abwechselnd nach innen oder nach außen um wenige Grad gefaltet ist. Auf den ersten Blick sieht diese Faltung zufällig aus, bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber eine präzis durchdachte plastische Komposition. Die Knicklinie umläuft das Gebäude in einer kontinuierlichen Auf- und-Ab-Bewegung, bei der sich geometrische Situationen in einem regelmäßigen Muster wiederholen. Durch diese Faltung wird die neue Fassade zu einer selbständigen Figur, die sich deutlich vom repetitiven, auf einem orthogonalen Raster aufgebauten Bestand abhebt und diesen wirkungsvoll konterkariert.

Das Projekt verzichtet auf die komplette Sanierung der insgesamt 28.000 Quadratmeter Fassade: Die alten Fenster und die Sonnenschutzraster aus Beton bleiben erhalten, einzig die
Parapete werden mit einer neuen Wärmedämmung versehen. Im hinterlüfteten Zwischenraum hinter der neuen Glashaut finden Wartungsstege und ein neuer Sonnenschutz Platz, in jedem dritten Geschoß können die Glaselemente gekippt werden, um eine Überwärmung im Sommer zu vermeiden.

Nach Angabe der Planer kann damit für eine Bürohausnutzung - bei der aufgrund der inneren Wärmequellen weniger die Heizung im Winter als vielmehr die Überwärmung im Sommer ein Problem darstellt - eine optimale Wärmebilanz erreicht werden. Die neue Hülle würde den visuellen Charakter des Gebäudes in einer Art und Weise zum Positiven verändern, wie es keine noch so gut gemeinte totale Aufrüstung der Fassade auf den heutigen Stand der Technik erzielen könnte. Entsprechend klar hat sich auch die Wettbewerbsjury in ihrem Bericht ausgedrückt: „Es wird festgestellt, daß keine
Alternative zu diesem Projekt vorhanden ist und daher keine Empfehlung für einen Nachrücker ausgesprochen werden kann.“

Ob das Projekt zur Ausführung kommt, ist dennoch fraglich. Zum einen muß geklärt werden, ob die Lösung in bauphysikalischer Hinsicht einhält, was die Autoren versprechen.

Berechnungen alleine werden dazu nicht ausreichen, aber die BIG hatte bereits unmittelbar nach dem Wettbewerb ein 1:1-Modell eines Fassadenteils in Aussicht gestellt. Zum anderen stellt sich die - auch von einigen im
Wettbewerb erfolglosen Teilnehmern in einer Kritik an der Juryentscheidung aufgeworfene - Grundsatzfrage, ob es sich überhaupt lohnt, ein derart durchschnittliches Gebäude hinter Glas zu konservieren. Wäre es nicht klüger, mit einer komplett neuen Fassade ohne Risiko die heute üblichen Standards zu erreichen?

Das Urteil der Jury, besser eine innovative Lösung anzugehen, als ein architektonisch schwaches Gebäude mit viel Aufwand in ein normgerechtes, aber architektonisch noch schwächeres Gebäude zu verwandeln, ist jedoch schlüssig. So bleibt am Ende das Kostenargument. Jede Fassadensanierung - ob als Glashaut oder als komplette Erneuerung - würde bis zu 16 Millionen Euro kosten. Da seit der Übernahme des Gebäudes ins Eigentum der BIG jede Sanierung über die Mieteinnahmen zu finanzieren ist, müßte die Republik jenes Geld zuschießen, das sie vor dreißig Jahren zu investieren vergessen hat. Man darf gespannt sein, ob sie dazu bereit ist.

Die Entscheidung hat jedenfalls Vorbildcharakter: In den nächsten Jahren wird bei vielen Bundesbauten aus den sechziger und siebziger Jahren die Frage zu beantworten sein, ob man sich mit einer notdürftigen Reparatur von Schäden zufrieden gibt oder eine funktionell wie ästhetisch seriöse Sanierung durchsetzt.

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