Bauwerk

Kern Bauernhaus
HERTL.ARCHITEKTEN - Garsten (A) - 2011
Kern Bauernhaus, Foto: Walter Ebenhofer
Kern Bauernhaus, Foto: Walter Ebenhofer

Von der Sünde auf dem Land

Vergangenheit und Gegenwart treffen in einem alten Bauernhof im Traunviertel aufeinander. Und was bringt die Bauzukunft für den Traum vom Leben in der Natur?

13. Oktober 2012 - Romana Ring
Nähert man sich der Ortschaft Saaß von Garsten kommend, wird der Weg zu einer Reise in vergangene Zeiten: in ein Land der Äcker, deren Eigentümer ihren Stolz in einer der suggestivsten Bauformen landwirtschaftlichen Bauens, dem Vierkanthof, zum Ausdruck brachten. Das Traunviertel gehört zu den fruchtbarsten Gegenden, und die Bauern zählen zu den wohlhabendsten Oberösterreichs. Doch auch an begünstigten Landstrichen ist der jüngste Strukturwandel der Landwirtschaft nicht spurlos vorübergegangen. Viele der stattlichen Höfe stehen leer; die Familien sind kleiner geworden, die Maschinen umso größer: Sie passen nicht mehr durch die alten Durchfahrten. In den Ställen ist kein Vieh, in den Speichern kein Getreide mehr, und die imposanten Dächer, unter denen einst so vieles seinen Platz gefunden hat, sind zu einem drückenden Kostenfaktor geworden.

Der im ländlichen Idyll von Saaß gelegene Hof der Familie K. wurde bereits in den 1940er-Jahren durch einen Brand auf zwei im rechten Winkel zueinander stehende Trakte reduziert. Ein gotischer Stadel, der sich etwas abseits vom Hauptgebäude über einem gewölbten Mostkeller erhebt, gibt Aufschluss über die Tiefe der historischen Wurzeln dieses Ortes, der wohl schon einige Male an die Gegebenheiten einer neuen Zeit adaptiert wurde. Seine letzte Überformung hat vor etwa acht Jahren mit der Hofübergabe eingesetzt. Eine der ersten Maßnahmen galt der Modernisierung des Wohngebäudes aus bauphysikalischer Sicht.

Schon damals begleiteten Hertl Architekten aus Steyr diesen Prozess. Anstatt die dem alten Mauerwerk angefügte Hülle aus Wärmedämmung kurzerhand unter einer unverfänglich geputzten Oberfläche verschwinden zu lassen, haben sie ihr eine hinterlüftete Schicht aus Faserzementplatten vorgeblendet. An der Südfassade unterstützen Solarpaneele das Bemühen um die Dämpfung des Energieverbrauchs. Die aus den Formaten der Paneele abgeleitete Plattenteilung findet sich im Bereich der Faserzementfassade wieder, was die Geschlossenheit des Baukörpers bewahrt. Mit der nach wie vor mineralischen Oberfläche und der Betonung der horizontalen Fugen durch schmale Aluminiumbänder wird die Verbindung zu den historischen, oft unverputzten Höfen der Gegend geknüpft, ohne die hinter der Fassade liegende Sanierungsmaßnahme zu verschleiern.

Als der Familienzuwachs die Vergrößerung des Wohnraums wünschenswert machte, setzte die nächste Stufe der Umgestaltung des Hofes ein. Man hatte die Schafhaltung mittlerweile aufgegeben, Stall und Speicher standen leer. Ihr Volumen sollte nun der Erweiterung des Wohnbereichs dienen. Hertl Architekten haben auch hier eine Lösung entwickelt, die sich die Überlieferung des Bestandes zum Anliegen macht und gleichzeitig klar in der Gegenwart verankert ist, ja, als Beispiel in die Zukunft weist. Die Kontur des Stalltraktes ist ebenso wie die alte Durchfahrt erhalten geblieben. Auch in das Dach wurde nur sehr sparsam eingegriffen. Der Misthaufen auf dem schönsten und sonnigsten Platz des Hofes gelegen, musste einer Holzterrasse weichen, in die ein kleines Schwimmbecken eingelassen ist. Hier sitzt man nun geschützt auf einem Podest am Rand der kleinen Mulde, in die der Hof gebettet liegt, und genießt die Sonnenstrahlen. Der neue Wohntrakt nimmt ein wichtiges Motiv bäuerlich geprägten Bauens auf: die Großzügigkeit. Diese geht hier zunächst mit praktischen Aspekten des täglichen Lebens einher. So sind im Erdgeschoß des Neubaus vorwiegend Wirtschaftsräume, eine Werkstätte sowie die dazugehörenden Schmutzschleusen und Sanitärräume untergebracht. Auch eine kleine Praxis hat im Erdgeschoß Platz gefunden. Sie ist dem neuen Eingang an der Ostseite des Hofes unmittelbar nachgeordnet und Klienten somit ohne Störung der Privatsphäre zugänglich. Eine massive, weiß verputzte, mit Trittstufen aus Holz belegte Stiege wendelt sich um eine von oben belichtete Nische in den ersten Stock. Hier wie unten gibt die Mittelgangerschließung im angrenzenden Bestand die Organisation des Grundrisses vor. Neben der Stiege hat ein neues Bad Platz gefunden, das eine robuste Eleganz zeigt. Vis-à-vis von Stiege und Bad erschließt der Gang ein WC und das Schlafzimmer der Eltern, während die Kinderzimmer, die Küche und der Essbereich unverändert im alten Trakt verblieben sind.

Jener Teil des Neubaus aber, in dem die Hertl Architekten den Wunsch ihrer Bauherrschaft nach mehr Platz mit einem deutlichen Mehr an Raum beantwortet haben, öffnet sich über die gesamte Tiefe des Traktes und die volle Höhe seines Dachraums an der nördlichen Stirnseite des Hauses. Wo früher der Heuboden war, befindet sich jetzt ein großes Wohnzimmer. Der mächtige Dachstuhl des Stadels ist erhalten geblieben, und auch die Tannenholzverkleidung dieses Gebäudeteils hält die Erinnerung an seine Vergangenheit lebendig. Entlang der Traufen verwischen gläserne Schiebelemente die Grenze zwischen außen und innen; hier blickt man über das Land, während die zarten Stäbe der äußeren Holzverkleidung das Gefühl der Geborgenheit bewahren. Über einen Glasschlitz im Dach fällt Streiflicht von oben auf die Giebelwand. Die Stimmung des Raums suggeriert Bodenständigkeit, Freiheit und einen weiten Horizont. Sie beschwört den kulturellen Funken, der einst auch die Entwicklung der Vierkanthöfe befeuert haben mag.

So schaut man aus diesem gut gepflegten Erbstück ländlicher Baukultur weit über das hügelige Land und sieht den westlichen Horizont von der weitaus häufigeren Gestalt, die uns das Bauen auf dem Lande heute zeigt, begrenzt: von einem Zersiedlungsgebiet, dessen Existenz sich keiner kulturellen Regung verdankt. Das schnelle Geld, das sich mit Umwidmungen machen lässt, die Sehnsucht der Städter nach Natur und das dichte Netz persönlicher Abhängigkeiten, in dem die Entscheidungsträger sogenannter Raumordnung gefangen sind, bringen, von der öffentlichen Hand kräftig subventioniert, diese traurigen Schlachtfelder fehlgeleiteter Träume auf Österreichs besten Ackerböden hervor. Ein Strukturwandel dieser Art von Land-Wirtschaft ist schon lange überfällig, doch kaum wahrscheinlich.

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Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Brigitte Kern
Thomas Kern

Fotografie