Bauwerk

Tchoban Foundation
SPEECH, TCHOBAN VOSS - Berlin (D) - 2013
Tchoban Foundation, Foto: Linus Lintner / ARTUR IMAGES
Tchoban Foundation, Foto: Linus Lintner / ARTUR IMAGES
Tchoban Foundation, Foto: Linus Lintner / ARTUR IMAGES
Tchoban Foundation, Foto: Linus Lintner / ARTUR IMAGES

Museum mit Streichelfaktor

Wie zeichnet man ein Haus? Der russische Architekt und Zeichnungssammler Sergei Tchoban machte es vor und baute in Berlin ein kleines, aber feines Museum für Architekturzeichnung. Wojciech Czaja hat hingegriffen.

17. August 2013 - Wojciech Czaja
Da stehen sie wieder, die Macchiato-Mütter und Tonkabohnen-Väter, neben ihnen der Baby-Buggy mit großstadttauglichen Geländereifen, und massieren die Wand. Man kann es ihnen nicht verübeln. Die scheinbar weiche Betonoberfläche sieht aus wie Pannacotta, durch die sich ein paar feine Rillen und Ritzen ziehen. „Ich muss da jetzt endlich einen Zettel an das Haus kleben“, sagt Museumsdirektorin Nadejda Bartels: „Bei Aufkommen von etwaigen Emotionen bitte streicheln!“

Museum? Tatsächlich handelt es sich bei dem ungewöhnlichen Bau, der am Eingang zur ehemaligen Pfefferberg-Brauerei im hippen Berliner Stadtviertel Prenzlauer Berg steht und diesen Sommer eröffnet wurde, um das von der Tchoban Foundation errichtete Museum für Architekturzeichnung. Es ist das erste seiner Art in Deutschland, und auch weltweit wird man wohl lange nach einer Institution suchen, die sich einzig und allein dem fast vergessenen Genre der Architekturskizze widmet.

„Wenn man die Handzeichnungen von Palladio, Piranesi, Schinkel und Le Corbusier anschaut, dann sieht man, wie viel Kraft in diesen Werken steckt“, sagt Bartels. „Da ist einerseits dieser harte, klare Strich, andererseits haben die Zeichnungen zum Teil dramatische Perspektiven und Licht- und Schattenspiele.“ Und, fügt sie schnell noch hinzu: „Architekturzeichnungen sind nicht nur Historie! Auch zeitgenössische Architekten wie etwa Daniel Libeskind, Peter Eisenman, Frank Gehry und Zaha Hadid sind dem Bleistift nicht abgeneigt.“

Konsequent und leidenschaftlich, wie das Museum vom ersten Anblick an erscheint, wurde die Thematik Architekturzeichnung weithin sichtbar in den Bau integriert. Als hätte jemand etwas in den Beton geritzt, sind an der Fassade Säulen, Bögen, Kapitelle und Kassettendecken zu erkennen. Es sind stark vergrößerte Ausschnitte aus einer Zeichnung des italienischen Bühnenbildners Pietro di Gotardo Gonzaga (1751-1831), der erst an der Mailänder Scala und später für den russischen Fürsten Nikolai Jussupow arbeitete. Am Prenzlauer Berg, umgeben von altem Hopfencharme und künstlerischem Flair, kommen Gonzagas Striche zu spätem, unerwartetem Ruhm.

„Das ist die allererste Architekturzeichnung, die ich vor vielen Jahren erworben habe“, sagt Sergei Tchoban. „Mit diesem einen Blatt Papier hat alles angefangen.“ Tchoban, seines Zeichens Architekt mit Büros in Moskau und Berlin, ist selbst „ein recht guter Zeichner“, wie er meint, vor allem aber passionierter Sammler. Er ist besessen von Bleistift, Tusche, Aquarell. Rund 400 Zeichnungen, alte wie neue, liegen bei ihm im Archiv. Außerdem hat er Kooperationen mit dem Sir John Soane's Museum in London, der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Paris und der Eremitage in St. Petersburg.

„Warum ich das mache?“, fragt Tchoban. „Viele Privatsammler haben das Bedürfnis, ihre Schätze eines Tages der Öffentlichkeit zu präsentieren. Aus diesem Grund habe ich dieses Museum geplant und gebaut. Doch nicht nur das.“ Kunstpause. „Die meisten Architekten können heute kaum noch zeichnen. Sie entwerfen Häuser, bauen Städte und gestalten unsere Umwelt, ohne je auch nur einen Strich mit der Hand gemacht zu haben. Ich finde das traurig. Daher will ich meine Liebe zur Handzeichnung weitergeben.“

Frau Macchiato und Herr Tonkabohne stehen immer noch da, werfen fragwürdige Blicke Richtung Haus. Sie geben das perfekte Bobo-Publikum für Sergei Tchobans Mission ab. Und sie sind bei weitem nicht die Einzigen an diesem Nachmittag. „Was ist das? Wie ist das gebaut? Und guck doch mal da!“ Immer häufiger kommen Gäste in die 1841 gegründete Pfefferberg-Brauerei, die im 20. Jahrhundert als Schokoladenfabrik und Bäckerei genutzt wurde, ehe sie 1991, nach dem Fall der Mauer, in ein Kunst- und Kulturzentrum umgebaut wurde.

Heute umfasst sie die Architekturgalerie Aedes, eine Kunstgalerie, Olafur Eliassons Atelier, ein paar Restaurants und Bars sowie eine Herberge. Sogar Ai Weiwei soll bereits Interesse an diesem Ort bekundet haben. Das Museum für Architekturzeichnung (Baukosten rund vier Millionen Euro) rundet das Repertoire perfekt ab. Und das trotz geringer Fläche von nicht einmal 100 Quadratmetern pro Stock.

Nicht nur die Tatsache, dass mit 2-D-Zeichnungen ein 3-D-Gebilde geschaffen wurde, auch die Bautechnik ist spannend. Vor dem Bau wurde die als Vorlage dienende Gonzaga-Zeichnung eingescannt, grafisch bearbeitet, mittels CNC-Fräse digital in MDF-Platten gefräst und anschließend mit Flüssigkunststoff ausgegossen. Am Ende wurden die gummiweichen Matrizen in die Betonschalung eingearbeitet. Das auf diese Weise entstandene Relief ist eine schöne Ergänzung zu den Altbauten der Brauerei. Da wie dort sind es die Fugen im Material, die das Haus haptisch angenehm erscheinen lassen: hier die jahrhundertealten Bleistiftstriche, dort die Mörtelfugen im gelb und rot gefärbten Backstein. Es ist der vielbeschworene Dialog zwischen Alt und Neu.

Schmerzhafter Museumsbesuch

Auch hier ist der Beton eingefärbt. Die Kolorierung ist der Versuch, dem Haus einen Hauch von altem Papier, von brüchigem, vergilbtem Pergament zu verleihen. „Wir haben viele Farbproben gemacht, bis wir den richtigen Ton gefunden haben“, erklärt Projektleiter Philipp Bauer von nps tchoban voss. Während das Moskauer Büro Speech Tchoban & Kuznetsov nämlich für den Entwurf verantwortlich zeichnet, hat sich die Berliner Dependance nps um die Detailplanung gekümmert. „Für den perfekten Vintage-Touch sorgen natürliche Farbpigmente und gemahlener Stein.“

Ähnlich wie in eine Architekturzeichnung, wie in ihre vielen Konturen und Flächen, kann man sich auch ins Museum hineinvertiefen. Und es wird nie langweilig. Im Foyer findet sich eine Variation der Relieffassade, diesmal in Form von händisch geschnitztem Nussfurnier. Mehrere Wochen dauerte die peinigende Millimeterarbeit, für die ein spanischer Künstler gewonnen werden konnte.

Immer wieder tauchen im kleinen Museumsturm Fragmente von Architekturzeichnungen auf, immer wieder freut sich das Auge über patiniertes Messing und dunkle, geräucherte Nuss, und immer wieder muss man sich durch eine der vielen kiloschweren, luftdichten Türen quälen, denn in die klimatisierten Ausstellungsräume darf weder Tageslicht gelangen noch allzu feuchte Luft. Der eigens von Tchoban entworfene Türgriff, ein riesiges, kantiges Etwas mit vertikalen Rillen wie in einem gebundenen Album dicker, historischer Architekturgrafiken, schneidet ordentlich in die Hand ein. Es tut fast weh. Tchoban, lapidar: „Gute Architektur sollte bei der Annäherung immer noch neue Facetten eröffnen. Da hat die Moderne einiges verlernt. Wir holen das nach.“

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