Bauwerk

Haus Dellacher
Raimund Abraham - Oberwart (A) - 1969

Baudenkmal wie aus dem Film: Haus Dellacher in Oberwart

Die Skizzen wurden seinerzeit über den Atlantik geschickt, weil Architekt Raimund Abraham in New York lebte. Nach dem Tod des Eigentümers geriet das Haus Dellacher im burgenländischen Oberwart in Vergessenheit. Nun steht es frisch saniert offen für Besichtigungen – und Übernachtungen.

27. Juli 2023 - Isabella Marboe
Raimund Abraham (1933 bis 2010) war ein Architekt mit Charisma. Er baute wenig, zeichnete, dachte und lehrte viel. Zeitlebens vom Nimbus des Genies umgeben, zählte er zur künstlerischen Avantgarde seiner Zeit. Abraham begriff Architektur als Symbiose aus Ideal und Methode. Seine Architektur sollte die Essenz des Daseins in Raum, Zeit und Landschaft fassen. Diesen Anspruch konnte er im Haus Dellacher quasi prototypisch realisieren, weil er auf einen Bauherrn traf, der „die Sensibilität mit seinem Architekten teilte“.

Der Fotograf Max Dellacher war nicht ganz so charismatisch wie Abraham, aber immerhin in Italiens Hollywood, der Cinecittà, tätig. Das Buch „Le Fontane di Roma“ von Cesare d’Onofrio mit seinen kunstvollen Schwarz-Weiß-Fotos war ein Riesenerfolg und ist heute vergriffen. Abraham und Dellacher verbanden ihr Geburtsort Lienz und eine alte Freundschaft. Dellachers Frau Gisela, geborene Blasy, stammte aus dem Burgenland. So verschlug es den italophilen Fotografen ins beschauliche Oberwart, um das örtliche Fotoatelier zu übernehmen. Um 1963 bat Abraham um eine Skizze für sein Haus.

Drehknöpfe wie in den USA

„Jede architektonische Schöpfung ist ein Zusammenstoß mit dem jeweiligen Ort“, so Abraham. Das Grundstück wurde sehr bewusst gewählt. Keine vier Kilometer westlich von Oberwart steht nun am Rand eines Wäldchens das Haus Dellacher auf einem leichten Hügel zwischen zwei Feldern. Die Nähe der Grazerstraße B50 ist eine Konzession an das Automobil. Das Haus zelebriert den Ort: Man nähert sich ihm von Osten, schreitet einige Stufen auf den Eingang an der rückwärtigen Nordseite zu, hinter dem sich die runde Mauer der Wendeltreppe aus der Wand drückt, ein Flachdach verbindet sie mit der Garage, es bildet sich eine Art Portal. Im Süden führt eine ausladende Freitreppe auf die Terrasse. Abraham plante sie einseitig, Dellacher ordnete auf der Baustelle zwei palladinisch symmetrische Treppenläufe an. Im Osten bindet ein Weg, der von einer nischenbildenden Mauer gefasst wird, Sonnendeck und Pool an, davor stehen Essigbäume.

Der Baukörper ist aus der Grundform des Quaders heraus durch Einkerbungen und Additionen skulptural entwickelt. Eine Oberlichtkuppel erhellt den zentralen Esstisch für zehn Personen zwischen Küche und Wohnzimmer. Ohne Bezug nach außen wird er zu einem introvertierten Ort der Konzentration. Hier wird in der Mitte des Hauses das gemeinsame Essen zur Zeremonie erhoben. Raimund Abraham weigerte sich, Möbel zu entwerfen, was Max Dellacher mit umso mehr Hingabe übernahm. Alle Türen haben Drehknöpfe wie in den USA, türkise Türrahmen frischen die Gangwände aus Eschenholz auf. Einbauschränke, Wandverkleidungen, Lampen wurden von ihm akribisch geplant, teils entworfen und ausgeführt. Küche und Essplatz sind japanisch inspiriert, die Klinker auf dem Boden des Kaminzimmers, wo sich die damalige Kunstszene traf und heute ein Teil von Abrahams New Yorker Bibliothek steht, aus Großbritannien importiert.

Das Haus, das von außen archaisch behäbig wirkt, zeigt sich innen erstaunlich wohnlich. Die von oben erhellte Wendeltreppe mit der Stahlspindel und den Holzstufen ist überraschend leicht, alle Öffnungen in den massiven vor- und rückspringenden Wänden inszenieren den Ausblick, schaffen Verbindungen ins Freie und Bezüge zueinander. Zwischen Wohn- und Schlafzimmer verläuft gartenseitig ein Arkadengang, aus dem sich in der Mitte eine lange, schmale Terrasse entwickelt. Beidseitig führt symmetrisch rechts und links eine Freitreppe auf die Wiese. Die Anlage wirkt fast imperial, unter die Terrasse ist zwischen zwei mächtigen, weißen Pfeilern das verglaste Atelier von Max Dellacher eingeschoben. Das scheint ein Widerspruch, gerade dadurch aber ist das Atelier nicht exponiert, sondern beschattet und atmosphärisch angenehm.

Seit 2007 unter Denkmalschutz

1964 zog Abraham nach New York, ab dann erfolgte die Planung über exorbitant teure Ferngespräche; Skizzen wurden über den Atlantik geschickt. Architekt Rudolf Schober, ein guter Freund von Gisela Dellacher, übernahm die Baustelle. Die 43 Zentimeter dicken Außenwände wurden aus Voll- und Hochlochziegeln von der nahen Ziegelei Rotenturm gebaut. 1969 zogen Max und Gisela Dellacher mit ihren zwei Töchtern in das teure Haus, Giselas Sohn aus erster Ehe und dessen Familie wohnten da, Künstlerfreunde kamen, hier herrschte viel Leben. Dellacher starb 1984, hinterließ Schulden; eine Bank kaufte das Haus, passende Mieter fanden sich schwer.

2015 erwarb Johannes Handler das Haus, „eine reine Bauchentscheidung“. Das Burgenland erlebte unter Landeshauptmann Theodor Kery gerade einen einzigartigen Modernisierungsschub und wurde zum Inkubator aktueller Tendenzen. Fast in jedem Ort entstanden Kulturzentren, Schulen, Krankenhäuser, viele davon Betonbrutalismus in Reinkultur; die Osterkirche von Günther Domenig und Eilfried Huth in Oberwart entstand zeitgleich mit dem Haus Dellacher. „Es hat damals noch eine Zukunft gegeben“, sagt Handler, der dieses Haus, „das völlig aus der Zeit gefallen war“, der Öffentlichkeit zugänglich machen wollte.

Seit 2007 steht das Haus unter Denkmalschutz. Es sah mit seinem vermoosten Putz katastrophal aus, seine Substanz aber war „so gut wie die von Gründerzeitbauten“, so Handler. „De facto musste man vor allem den nachträglich aufgebrachten Vollwärmeschutz abtragen.“ 2017 wurde das Haus in Absprache mit dem Bundesdenkmalamt sorgfältig saniert. Man erneuerte die Blecheindeckung, dämmte den Dachstuhl mit Zellulose, reparierte Fenster und Putz. Innen war noch fast alles original erhalten. Seit 2017 bietet der gleichnamige Verein unter der Obmannschaft von Johannes Handler Führungen an, außerdem Workshops für Kinder. Als Ferienhaus, Film- und Event-Location ist das ikonische Haus mit Pool zu mieten.

Vor dem Eingang steht eine schlanke, hohe Skulptur des Bildhauers Rudolf Kedl. Sie begrüßt und verabschiedet alle Besucher und Besucherinnen. Es ist Max Dellachers Grabstein, der hier zum Wächter seines Hauses wird.

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