Bauwerk

Jardí Botànic
Carlos Ferrater - Barcelona (E) - 1999
Jardí Botànic, Foto: Rita Weilacher
Jardí Botànic, Foto: Rita Weilacher
Jardí Botànic, Foto: Rita Weilacher

Dattelpalmen im Dreiecksnetz

In der Anlage der ersten botanischen Gärten, lange bevor sich die Botanik im 18. und 19. Jahrhundert zu einer eigenständigen Disziplin entwickelte, manifestierte sich einerseits das wissenschaftliche Interesse universitärer Forscher an Arzneipflanzen und ihrer Heilwirkung. Die Grundrisse der «Horti medici» aus dem 16. Jahrhundert erinnerten andererseits in ihrer formalen Ästhetik aber auch an klösterliche Kräuter- und Heilpflanzengärten und folgten in ihrer Aufteilung nicht nur funktionalen Kriterien. In ihrer klaren geometrischen Gliederung spiegelten sie ideale, meist aus der klassischen Antike hergeleitete Weltbilder wider.

1. Januar 2003 - Udo Weilacher
Der Botanische Garten von Padua, entstanden 1545, zählt zu den frühesten Anlagen seiner Art und gilt als Vorbild für viele andere in Europa. Sein kreisrunder, hierarchisch gestufter Grundriss, dem ein viergeteiltes, exakt quadratisches Beet eingeschrieben ist, stand sinnbildlich für die mikrokosmische Versammlung der ganzen Natur unter der ordnenden Herrschaft des Menschen im Zeitalter der Renaissance.

Das Verhältnis der Gesellschaft zur Natur hat sich genau wie das ehemals geschlossene Weltbild in den vergangenen Jahrhunderten grundlegend verändert. Das schlägt sich auch im Erscheinungsbild der wenigen botanischen Gärten nieder, die heute noch entstehen.


Ein engmaschiges Wegnetz erschliesst den mediterranen Hanggarten.

Der neue, fünfzehn Hektaren grosse Jardí Botànic de Barcelona, 1999 am Südwesthang des Montjuïc mit herrlichem Blick auf die katalanische Metropole realisiert, ist zwar genau wie seine Vorgänger in erster Linie ein Ort der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Wesen der ­ in diesem Fall mediterranen ­ Pflanzenwelt. Doch seine Gestaltung, entwickelt von der Landschaftsarchitektin Bet Figueras in Zusammenarbeit mit dem Architekten Carlos Ferrater, spricht unverkennbar die Sprache des beginnenden 21. Jahrhunderts, geprägt von komplexen, unregelmässigen Geometrien in der Flächenaufteilung und einer vorbehaltlosen Verwendung grosser Sichtbeton- und Rohstahlelemente als Weg- und Mauerflächen in der Landschaft.

Bereits auf dem breiten, durch ein komplexes Fugenbild gegliederten Betonweg zum Eingang des Botanischen Gartens durchschreitet man im Schatten von Schirmpinien zum ersten Mal im übertragenen Sinne die acht Landschaftszonen, in denen rund um den Globus ähnliche mediterran geprägte Klimaverhältnisse mit langen, trockenen Sommermonaten und milden, regnerischen Wintermonaten herrschen: Die katalanischen Bezeichnungen für Australien, Kalifornien, Chile, Südafrika sowie für die Mittelmeerregionen Kanarische Inseln, östliches Mittelmeer, Nordafrika und Iberische Halbinsel sind in grossen stählernen Lettern in den Boden eingelassen. Der Erforschung, dem Schutz und der Präsentation der typischen Pflanzengemeinschaften aus diesen Zonen ist der Botanische Garten gewidmet.

Ist man durch das grosse stählerne Eingangstor mit der Beschriftung JBB eingetreten und hat das flache, in die Topographie eingefügte Eingangsgebäude hinter sich gelassen, eröffnet sich ein beeindruckender Blick über den geometrisch geformten See hinweg in die frisch bepflanzte Hanglage. Diese baut sich mit vielen Wegen, dreieckigen, zackigen Stützmauern aus rostrotem Cortenstahl und hellgrauem Sichtbeton wie eine Terrassenlandschaft vor dem Betrachter auf, ähnlich einem Amphitheater. Es ging den Gestaltern tatsächlich darum, mit den Mauern die Hanglage zu sichern und auf abstrahierte Weise an die kunstvoll terrassierten, heute gefährdeten Kulturlandschaften des Mittelmeerraumes zu erinnern.

Die ungewöhnliche Aufteilung des gesamten Areals in unterschiedlich bepflanzte Dreiecksflächen resultiert aus dem Grundkonzept, über die Topographie ein Netz aus Dreiecken zu spannen. Dieses passt sich ­ analog zu trigonometrischen


Ein langer Steg über das zentrale, expressiv geformte Wasserbecken bildet den stimmungsvollen Auftakt zum Rundgang.

Vermessungsnetzen ­ flexibel der Geländesituation an. So entstand ein neuartiges, hybride wirkendes Landschaftsbild aus künstlicher, computergenerierter Gitterstruktur und darin verwobenen Naturfragmenten. Das ausgedehnte Netz aus breiten Betonwegen bildet im Wesentlichen das Dreiecksnetz im Gelände ab und gewährleistet eine bequeme Erschliessung, ergänzt durch kurze, steile Treppen.

Ein langer Holzsteg über das grosse, expressiv geformte Wasserbecken bildet den stimmungsvollen Auftakt zum Rundgang durch die verschiedenen Vegetationszonen. Hangseitig ragen spitzwinklige Stahlwände in die Wasserfläche, die wie ein Spiegel das angrenzende Landschaftsbild mit den markanten nordafrikanischen Dattelpalmen optisch verdoppelt. Vor den rostroten Flächen des Cortenstahls kommen zudem die frischgrünen Teichbinsen- und Rohrkolbengewächse besonders zur Geltung.

Der Weg führt aus der Geländemulde den Hang hinauf, von wo aus sich der Blick in die umgebende Landschaft, auf das Meer, das Mündungsgebiet des Llobregat und die Bergketten am Horizont immer mehr öffnet. Noch sind die Stauden und Sträucher auf vielen Flächen erst spärlich entwickelt, und die Wege wirken noch etwas überdimensioniert. Doch das wird sich in den kommenden Jahren mit dem Wuchs der Vegetation ändern. Die Besucher sollen erleben, wie sich die Pflanzengemeinschaften mit der Zeit verändern.

Schon jetzt ist es ein besonderes Erlebnis, die verschiedenen Vegetationsbilder zu durchwandeln, begleitet von aromatischen Düften und dem Geschrei grüner Papageien, die sich in Schwärmen über die ersten Früchte des Gartens hermachen.

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