Bauwerk

Tate Modern Switch House
Herzog & de Meuron - London (GB) - 2016
Tate Modern Switch House, Foto: Andy Stagg / ARTUR IMAGES
Tate Modern Switch House, Foto: Andy Stagg / ARTUR IMAGES
Tate Modern Switch House, Foto: Andy Stagg / ARTUR IMAGES

Kunstturbine im Ziegelkleid

New Tate Modern

Am Freitag wird in London die New Tate Modern eröffnet. Das weltweit bestbesuchte Museum für moderne Kunst erweitert sich mit einem zehngeschoßigen Neubau der Schweizer Architekten Herzog und de Meuron zur Kulturmaschine

17. Juni 2016 - Maik Novotny
Es war Lie­be auf den er­sten Blick: Die kat­he­dra­le­nar­ti­ge Tur­bi­nen­hal­le der ehe­ma­li­gen Bank­si­de Po­wer Sta­ti­on wur­de von den Be­su­chern so­fort in Be­sitz ge­nom­men, als die Ta­te Mo­dern im Jahr 2000 im In­dus­trie­denk­mal an der Them­se er­öff­ne­te. Seit­dem hat das Mu­se­um ei­ne un­ge­ahn­te Er­folgs­ge­schich­te hin­ge­legt.

„Wir ha­ben bei der Er­öff­nung zwei Mil­lio­nen Be­su­cher pro Jahr er­war­tet. In­zwi­schen sind es fünf Mil­lio­nen“, be­rich­tet Ta­te-Di­rek­tor Nick Se­ro­ta stolz. So­mit zählt man fast dop­pelt so vie­le Be­su­cher wie das Mu­se­um of Mo­dern Art in New York, nicht zu­letzt auf­grund des frei­en Ein­tritts und des um­fang­rei­chen Schul­pro­gramms.

Schon vier Jah­re nach der Er­öff­nung war klar: Die ur­sprüng­lich erst für 2025 ge­plan­te Er­wei­te­rung muss­te vor­ge­zo­gen wer­den. Die Schwei­zer Ar­chi­tek­ten Her­zog und de Meu­ron, de­nen mit der Ta­te Mo­dern der Durch­bruch in die Pritz­ker­preis-Li­ga ge­lun­gen war, ka­men auch die­ses Mal zum Zu­ge. Der be­reits für die Olym­pi­schen Spie­le 2012 ge­plan­te Er­öff­nungs­ter­min muss­te al­ler­dings auf­grund der Fi­nanz­kri­se ver­scho­ben wor­den. Le­dig­lich die al­ten un­ter­ir­di­schen Öl­tanks wa­ren schon ein­mal kurz­zei­tig Ort für Aus­stel­lun­gen. Dank der größ­ten Spen­de­nak­ti­on für ein Kul­tur­pro­jekt, die es in Groß­bri­tan­nien je ge­ge­ben hat­te, konn­te schließ­lich der Neu­bau in An­griff ge­nom­men wer­den. Von den 327 Mil­lio­nen Eu­ro Ge­samt­kos­ten stam­men rund 250 Mil­lio­nen aus pri­va­ter Hand.

Der An­bau schmiegt sich nun im Sü­den an das al­te Kraft­werk und dockt im In­ne­ren an die Tur­bi­nen­hal­le an. Sah der ur­sprüng­li­che Ent­wurf noch wild auf­ge­türm­te Glas­bo­xen vor, nah­men die Ar­chi­tek­ten vor Bau­be­ginn ei­ne Kehrt­wen­de vor: Der zehn­ge­scho­ßi­ge py­ra­mi­de­nar­ti­ge Turm ist bis auf schma­le Fens­ter­bän­der kom­plett mit Zie­gel­stei­nen ver­klei­det und steht dem Alt­bau an Wuch­tig­keit in nichts nach. „Un­ser Ziel war es, ein Ge­bäu­deen­sem­ble zu schaf­fen, das wie ein Ein­zel­stück wirkt, nicht als Ad­di­ti­on zwei­er un­ter­schied­li­cher Tei­le“, so Ar­chi­tekt Jac­ques Her­zog.

Heu­te, Frei­tag, wird der Neu­bau er­öff­net, und die Ta­te Mo­dern wird zur New Ta­te Mo­dern. Das be­deu­tet nicht nur mehr Qua­drat­me­ter, son­dern soll auch den ak­tu­el­len Stand der Kunst­pro­duk­ti­on wi­der­spiegeln: Vi­deo­ins­tal­la­tio­nen, Fo­to­gra­fie und Neu­en Me­dien wird noch mehr Platz ein­ge­räumt, die fi­gu­ra­ti­ve Mal­erei wird end­gül­tig Ne­ben­sa­che.

„Die Welt hat sich seit dem Jahr 2000 ver­än­dert, und die Kunst eben­so“, so Fran­ces Mor­ris, seit Jän­ner Di­rekt­orin der Ta­te Mo­dern. „An­fangs ha­ben wir uns auf eu­ro­päi­sche und nord­ame­ri­ka­ni­sche Kunst kon­zen­triert. Heu­te se­hen wir Wer­ke von 300 Künst­lern aus über 50 Län­dern, von Afri­ka über Ost­eu­ro­pa bis Asien.“

Mehr Kunst von Frau­en

Auch die Künst­le­rin­nen spie­len ei­ne stär­ke­re Rol­le. War ihr An­teil an­fangs noch 17 Pro­zent, so stammt heu­te die Hälf­te al­ler aus­ge­stell­ten Wer­ke von Frau­en. Da­run­ter sind eta­blier­te Na­men wie Ma­ri­na Ab­ra­mo­vić oder Loui­se Bour­geo­is, und we­ni­ger be­kann­te wie die 1940 ge­bo­re­ne ru­mä­ni­sche Künst­le­rin Ana Lu­paş.

Der be­wusst un­eli­tä­re Zu­gang zur Kunst, den man bis­her ver­folgt hat, setzt man auch mit der Er­wei­te­rung fort, wie die Di­rekt­orin be­tont: „Wir wol­len, dass die Kunst für je­den re­le­vant ist.“ So ist es nur kon­se­quent, dass aus­ge­rech­net die Lon­do­ner Schul­kin­der ei­nen Tag vor der of­fi­ziel­len Er­öff­nung als Er­ste die neu­en Räu­me ex­klu­siv in Be­sitz neh­men durf­ten. Ur­ba­nis­ti­scher Bo­nus: Das Mu­se­um öff­net sich mit ei­nem gro­ßen Vor­platz auch den Wohn­vier­teln der South Bank, de­nen es bis­her noch den Rü­cken zu­ge­wandt hat­te.

Auch Lon­dons frisch ge­wähl­ter Bürg­er­meis­ter Sa­diq Khan un­ter­strich zur Er­öff­nung ein­dring­lich die Wich­tig­keit öf­fent­li­cher Kul­tur­stät­ten für die Iden­ti­tät sei­ner Stadt. „Ich er­in­ne­re mich noch, wie die Men­schen 2003 in der Tur­bi­nen­hal­le auf dem Bo­den sa­ßen und sich vol­ler Fas­zi­na­ti­on Ola­fur Eli­as­sons In­stal­la­ti­on We­at­her Pro­ject an­schau­ten“, schwärm­te er und füg­te un­ter Ap­plaus hin­zu: „Kul­tur ist kein Ni­ce-to-ha­ve. Sie wird ab jetzt ei­ne Her­zens­an­ge­le­gen­heit mei­ner Stadt­ver­wal­tung sein.“

Was Kul­tur heu­te be­deu­tet, lässt sich an der New Ta­te Mo­dern jetzt schon ab­le­sen: Mit ex­klu­si­ven Mem­ber Rooms, in­klu­si­ven Works­hops, meh­re­ren Ca­fés und gleich fünf Shops ist das Mu­se­um kein hei­li­ger Kunst­tem­pel mehr, son­dern ein Ab­bild des Wirt­schafts­fak­tors Kul­tur­in­dus­trie auf vol­ler Tur­bi­nen­leis­tung.

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