Bauwerk

Kapelle Salgenreute
bernardo bader architekten - Krumbach (A) - 2016

Adelung auf dem Berg

Die Kapelle von Krumbach

Ein Raum über einfachem Grundriss, eine kleine Bauaufgabe – und doch eindrucksvoll: die Kapelle Salgenreute in Krumbach, Vorarlberg. Verantwortet von Bernardo Bader.

29. April 2017 - Karin Tschavgova
Le Corbusier erdachte eine, die zur Weltarchitektur zählt, und derPritzker-Preisträger Peter Zumthor ihrer gleich zwei: Kapellen als Andachtsräume sind, ungeachtet ihrer geringen Größe und oft nur symbolischen Honorierung, eine geschätzte Bauaufgabe der Architekten. Solche kleinen Andachtsräume – egal, ob zum Totengedenken,als Pilgerstätte, auf dem Berg – adeln jedes Architekten Werk.

Bei der Planung von Kapellen unterliegt der Architekt kaum Zwängen und Normen. Kapellen sind keiner Beschränkung zur strengen, reinen Funktionalität und weder ökonomischen Zwecken noch Gewinnstreben unterworfen. Ihre Funktion beschränkt sich auf Weniges, aber Elementares. Andachtsräume sollen Orte sein, die Besinnung und innere Einkehr ermöglichen. Will man als Kirchengemeinde oder privater Stifter heute eine Kapelle bauen lassen, so sind meist nur geringe oder gar keine Geldmittel vorhanden. Die Bauaufgabe verlangt dem Architekten also die Fähigkeit zur Beschränkung ab – von Größe, Baukosten, aber auch von überbordendem Gestaltungswillen und Selbstdarstellung. Der Planer muss „einfach“arbeiten. Die Chance zum Gelingen? Es gibt eine scheinbar elementare Sehnsucht vieler Menschen nach Einfachheit in unserer an Überfluss und visueller Überflutung orientierten Zeit. Zugleich erwartet man von Sakralbauten, dass sie spirituelle, atmosphärisch aufgeladene Orte sind. Genau darin liegt die Herausforderung.

Das Einfache, das nicht anspruchslos, gewöhnlich und dürftig ist, kann nur das Resultat eines Prozesses sein, von allem nicht zu viel und nicht zu wenig. Das beginnt mit der Positionierung des Baukörpers in der Landschaft, geht weiter in der Wahl von Proportion und Größe. Es ist die Suche nach dem richtigen Lichteinfall, die Auswahl von Materialien und die Ausbildung und Ausarbeitung von Details. Andachtsräume wie die Bruder-Klaus-Kapelle von Peter Zumthor in Wachendorf in der Eifel, die in den erst zehn Jahren ihres Bestehens zu einem Pilgerort wurde, sind in ihrer fast schon archaischen Einfachheit komplex. Sie zeugen von hoher handwerklicher und technischer Kunstfertigkeit.

Naheliegend, dass sich in Vorarlberg eineReihe von kleinen modernen Sakralbauten finden lässt, die besondere sind. Eine davon ist die Kapelle Salgenreute in Krumbach. Bernardo Bader, der in dieser Gemeinde seine Kindheit verbracht hat und die Landschaft des Moores und des Hügelrückens aus Nagelfluh, auf dem sie steht, wie seine Westentasche kennt, hat sie geplant. Schon seit ungefähr 1880 stand an ihrer Stelle eine kleine Lourdeskapelle. Sie ist der Ausgangspunkt einer Erzählung von Möglichkeitsräumen und ihrer Umsetzung durch viele, die ihr Können und ihre Kraft einsetzen wollten. Es ist eine Geschichte des Gelingens, die uns zeigt, was entstehen kann, wenn in einer Gemeinschaft alle an einem Strang ziehen, abseits von Parteienzugehörigkeit und fern von nachbarlicher Missgunst oder Standesdünkeln. Mag sein, dass die besondere Bauaufgabe die Tradition und Kultur des Miteinanders belebt hat, mag sein, dass es für die Krumbacher selbstverständlich ist, Herausforderungen gemeinsam zu meistern,seit unter Bürgermeister Arnold Hirschbühl die Aufgaben in der Gemeinde nach Kompetenz und Engagement und nicht nach Parteistärke verteilt werden.

Jedenfalls war die alte Kapelle so sanierungsbedürftig, dass sich die Gruppe aus interessierten Nachbarn und Ortsbewohnern, die sie ursprünglich erhalten wollte, entschloss, sie doch abzureißen und an derselben Stelle neu aufzubauen. Mit Exkursionen und diskursiven Gesprächen vertiefte man sich in das Thema des Neubaus, selbst nachdem Bernardo Bader sich bereit erklärt hatte, unentgeltlich einen Entwurf vorzulegen. Die Arbeit blieb eine gemeinschaftliche, vom Abbruch bis zur Einweihung des neuen Hauses im Sommer 2016. Für einfachere Arbeiten stellten sich in einem großen Maß ehrenamtliche Mitarbeiter zur Verfügung. Die anspruchsvolle Facharbeit der Zimmerer, Tischler, Maler und der Restauratorin der historischen Marienstatue wurde zu Sonderkonditionen angeboten, und Spenden und eine kleine finanzielle Beteiligung der Gemeinde ließen den Wunsch zur Wirklichkeit werden.

Ohne Turm steht die Kapelle nun auf einem schmalen Plateau, gerahmt im Hintergrund durch eine Reihe von Bäumen. Ihr hoch aufragendes, steiles Dach charakterisiert die Form der Kapelle, die monolithisch wirkt, weil Dach und Wandflächen mit einem Material, Lärchenschindeln, bekleidet sind. Eine Steinstufe führt vom Wiesensaum hoch. Ein nicht alltägliches Bauwerk hat traditionell ein Fundament, auch wenn es in der offenen Landschaft steht. Der langsamen Annäherung über den Pfad entsprichtein offener Vorbereich unter dem Dach, das Westwerk. Auch das schwere zweiflügelige Portal aus Holz, das außen mit Messing in schöner Handarbeit beschlagen ist, verlangsamt die Annäherung. Innere Sammlungbraucht Zeit.

Betritt man die Kapelle, fällt der Blick zuerst auf eine homogen wirkende Raumschaleaus Holz, in der sich hoch aufstrebende Sparren zart abzeichnen und die Wände rhythmisieren. Boden, Wand und die steile Dachuntersicht aus unbehandelter Tanne bilden ein Ganzes, das mit aussteifenden Scheiben so konstruiert wurde, dass weder Zugbänder noch Rahmengurte notwendig wurden. Harte, einfach geformte Bänke aus Tanne strukturieren den Raum unaufdringlich. Bequem muss es nicht sein. Traditionelle Elemente werden beibehalten, jedoch eigenständig und zeitgemäß interpretiert in Material und Ausführung.

Der Altarraum verengt sich schräg zu einem wandhoch verglasten, rahmenlosen Ausblick in die Landschaft. Das lässt ihn länger erscheinen. Als „heiliger Raum“ wird er durch eine niedrige Stufe abgesetzt. Ein Anstrich mit weißer Kalkfarbe vereinheitlicht Wand und Boden. Der Ambo als ebenso weißer Block, ein Kerzenständer und die aus der Mitte gerückte Madonna auf einem zarten Wandbrett sind alles an Ausschmückung. Raum kann bewusst wahrgenommen werden, sich nach und nach zum Ganzen formen und so zu Ruhe und Andacht führen.

Es zeigt sich, dass auch in der Beschränkung unter glückhaften Umständen Baukunst entstehen kann. Was für alle Beteiligten wohl mehr zählt, ist, erlebt zu haben, dass in einer guten Gemeinschaft die Kraft steckt, schier Unmögliches wahr werden zu lassen. Es ist gebaut auf festem Grund.

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Archfoto

Faruk Pinjo