Bauwerk

Wohnbau Siccardsburggasse
Patricia Zacek-Stadler - Wien (A) - 2003

Seerosen im Lattenrost

Die Zahl hochwertiger Bauten im klassischen Arbeiterbezirk Favoriten steigt. Architektin Patricia Zacek und die Genossenschaft Neues Leben setzten einen neuen, feinen Stadt-Wohnbaustein ins dicht verbaute Viertel.

8. November 2003 - Isabella Marboe
Wohnen ist eine essenzielle Notwendigkeit, mit dem Bau des Hauses begann die Geschichte der Architektur. Sozialen Wohnbau zu fördern zählt zur grundsätzlichen Infrastrukturleistung einer Stadt. Der Kostendruck ist enorm, die Basisanforderungen von Zimmern, Küche und Bad rasch erfüllt, früher oder später findet jede Wohnung ihren Abnehmer. Starstatus erringen Architekten mit dieser unspektakulären Bauaufgabe nicht. Reich und berühmt wird mit sozialem Wohnbau keiner. Die Versuchung, der Routine zu erliegen, ist groß. Umso erfreulicher ist es, wenn Architekten dieser Aufgabe mit Verantwortungsbewusstsein und Engagement begegnen.

Die neue Anlage in der Siccardsburggasse in Favoriten, die Patricia Zacek für die Genossenschaft Neues Leben plante, ist so ein Fall. Sie beweist, dass sehr viel Lebensqualität im sozialen Wohnbau möglich ist und erfüllt weit mehr als das Grundbedürfnis Wohnen. Die Auseinandersetzung mit urbanen Lebensformen, Angsträumen, Zwischenzonen und die hingebungsvolle Detailarbeit bilden die solide Basis dieser umsichtigen Planung. Das beginnt beim Städtebau und endet im Fahrradabstellraum, wo es eine zusätzliche Fenstertür gibt, damit Dreiräder und Ähnliches ohne Umweg über den Gang direkt auf den Spielplatz im Hof gehoben werden können.

Das Haus endet für Zacek nicht an der Baulinie, die Wohnung nicht an der Tür: Von Anfang an plante sie großzügige Gemeinschafts- und Freiräume, Erschließungszonen und viele Details mit ein. Die lieferte sie als Vertragsgrundlage mit, so waren die Kosten für den Bauträger Neues Leben kalkulierbar. Er ließ sich vom Mehrwert der Ausführungsqualität, kommunikationsfördernden Raumangeboten und Hofgestaltung als innere Regenerationszone überzeugen. „Man nimmt Bauvolumen aus der Stadt, ich möchte ihr dafür etwas zurückzugeben“, sagt Zacek. „Ich wollte einen Baustein fürs Grätzel setzen.“

Kleine Gewerbehöfe, gräuliche Gründerzeitfassaden, Nachkriegsbauten, staubige Autos und Bäume prägen die dicht verbaute Nachbarschaft, der neue Baustein sitzt am Eckgrundstück Siccardsburggasse/Hardtmuthgasse. Er besteht aus zwei Trakten mit unterschied- lichem Charakter, die den Innenhof umschließen.

In der Hardtmuthgasse öffnet sich das Haus mit einer eleganten Glasfassade zur Stadt, spiegelt nicht nur die gegenüberliegende Straßenfront, sondern eine Haltung prinzipieller Wertschätzung, die auf die Umgebung rückwirkt. Die tragenden Scheiben im Erdgeschoß sind in Stützen auflösbar, theoretisch könnte sich hier ein Büro einmieten. Ein Rahmen mit weißen, steuerbaren Sonnensegeln wirkt wie eine schützende Haut, verschiedene Höhen, Rollos, Vorhänge und Pflanzen hinter den Fenstern lassen das Leben dahinter erahnen. Die Fassade liegt südseitig, Sonnenlicht durchflutet die Wohnungen zur Gänze. Sie sind für urbane Singles oder Paare konzipiert, deren Blick sich auf die Stadt richtet. 58 m² lassen keinen Platz für eine Loggia. Das Gefühl, fast im Freien zu sitzen, kann sich trotzdem einstellen: Die raumhohe Verglasung ist in drei horizontale Bänder unterteilt, das Mittlere enthält zwei Schiebefenster. Ohne Raumverlust lassen sie sich öffnen, Frischluft strömt herein, man kann sich hinauslehnen.

Innen bieten die Zweiraumwohnungen viel Bewegungsfreiheit. Der Raum am „Schaufenster“ zur Stadt lässt sich durch eine Schiebewand teilen, dahinter bilden Bad und WC mit der Küchenzeile an der Rückwand einen umgehbaren Sanitärblock. Man betritt die Wohnungen im Norden über den zum Innenhof offenen Laubengang. Elegant mit anthrazitgrauem Eternit verkleidet, vermitteln gelbgrün gestrichene Untersichten und gleichfarbige Elemente neben den Eingangstüren fast südliches Flair, beugen Isolation und Anonymität vor. Der Blick auf den schön gestalteten Garten verführt dazu, sich an die Brüstung zu lehnen, zu beobachten, was sich dort tut, seine Mitbewohner kennen zu lernen.

Weiß verputzt, mit horizontalen Fenstereinschnitten, verglaster Erdgeschoßzone und zwei Eingängen präsentiert sich das Haus auf der Siccardsburggasse als Stadtbaustein mit hohem Wiedererkennungswert. An zwei Stiegenhäusern liegen hier durchgesteckte, ost-west orientierte, familientaugliche Wohnungen. Küche und Sanitäreinheiten sind in der Mitte, straßenseitig gibt es zwei Zimmer, der großzügige Wohnraum erweitert sich hofseitig zur Loggia. Von dort können besorgte Mütter ab und zu einen Blick auf ihre Kinder werfen.

Wo der Singletrakt endet, markiert ein vier Geschosse hoher Schlitz als Schnittstelle zwischen Haus und Stadt den Haupteingang. Leicht zurückgesetzt sitzt der mit pulverbeschichtetem Blech verkleidete Lift wie eine Skulptur in dieser schluchtartigen Passage, sechs Stufen locken hinauf auf die erste Laubengangebene, hell strahlt der Hof nach außen. Rechts davor die Stiege als fußläufige Erschließung. Neonröhren beleuchten die Untersichten, geschoßweise versetzte Ebenen ragen in den Luftraum, bandartig umlaufende Brüstungen aus Metall lassen sie sehr dynamisch wirken. Die Stiege ist leicht von der Wand abgesetzt, was nicht nur Wohnungstüren einen Hauch Gangfläche schenkt, den Fußabstreifer brauchen, sondern auch einen fulminanten Blick von oben nach unten bietet. Im fünften Geschoß befinden sich in beiden Trakten Maisonettewohnungen; sie bilden die horizontale Klammer über dem Eingangsschlitz. Wie ein Helm sitzt die schräge Zinkverblechung auf der Hardtmuthgasse, setzt sich geradlinig mit Terrasse und Flachdach auf der Siccardsburggasse fort, fügt sich so in die patchworkartige Dachlandschaft der Umgebung.

Zwischen den zwei Stiegenhäusern liegt straßenseitig ein voll verglastes Foyer mit Postfächern und blauen Rundstützen, in der Mitte führt eine einläufige Stiege in den Keller. Zwei gebogene Plexiglaselemente mit gelben Tupfen hängen frech von der Decke, umrahmen kreisförmig den Kinderwagenabstellplatz. Von außen kann man das Kommen und Gehen der Bewohner beobachten, von innen das Treiben auf der Straße. Hinterm Foyer liegt der Gemeinschaftsraum, ein raumhohes Fenster mit Tür öffnet ihn zum Hof. Scheinwerfer an der Decke, Minikühlschrank und Waschbecken warten auf das erste Fest.

Gedämpft dringen die Rufe ausgelassener Jugendlicher als lebendige Geräuschkulisse vom nahen Paltramplatz in den Hof. Eingefasst von Lärchenholzlatten, wirkt er wie ein japanischer Garten, meditativ und still. Sonnenstrahlen tanzen über das schmale Wasserband mit den Seerosen im Lattenrost, eine Sitzstufe lädt zum Blick auf die in geometrischen Mustern mit Kies und Bodendeckern gestaltete Grünfläche in der Mitte. Eine kleine Sandkiste ist auch da. Noch spielt hier kein Kind, doch in den Loggien haben die ersten Bewohner schon Rankgerüste und Blumen aufgestellt.

„Ich möchte einmal ein Haus für jemand bauen, der mir eine Geschichte erzählt“, sagt Patricia Zacek. Die Geschichten derer, die hier in 32 Wohnungen einziehen, kannte sie nicht. Sie hat ihnen ein Stadthaus entworfen, in dem sie sich entfalten können.

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