Bauwerk

Barbara-Prammer-Hof
NMPB Architekten - Wien (A) - 2019

Gemeindebau neu: Wie viel weniger ist mehr?

Das sollte der 2015 angekündigte „Gemeindebau neu“ jedenfalls sein. Und wo bleibt die Qualität? Jetzt ist das erste Projekt fertig, und es überzeugt: Zumindest in diesem Fall hat man am richtigen Platz gespart.

23. November 2019 - Christian Kühn
Selten hat ein Wohnbau in den vergangenen Jahren so viel gute Presse gehabt wie dieser. Das liegt nicht an der Architektur, zumindest nicht in erster Linie, sondern daran, dass er der erste neu errichtete Gemeindebau der Stadt Wien seit 15 Jahren ist. 2004 hatte die Stadt beschlossen, zusätzlichen geförderten Wohnbau nur noch über Genossenschaften zu errichten. Am Status der 220.000 bestehenden Wiener Gemeindewohnungen, in denen 500.000 Menschen leben, änderte das nichts. Mit Bruttomieten von durchschnittlich 6,28 Euro pro Quadratmeter liegen sie preislich deutlich unter den Mieten im privaten Sektor und helfen damit, die Preissteigerung zu dämpfen.

Der Gemeindebau wurde durch die Entscheidung des Jahres 2004 zwar nicht abgeschafft, aber zu einem historischen Modell erklärt, zu einem wichtigen, aber etwas verstaubten Symbol des „Roten Wien“. Tatsächlich kann man sich Projekte wie die Umnutzung der Gasometer in Simmering kaum als Gemeindebauten vorstellen, genauso wenig die autofreien oder gendergerechten „Themensiedlungen“ – nicht weil sie im Gemeindebau keinen Platz gehabt hätten, sondern weil der Gemeindebau stets dem utilitaristischen Prinzip des „größtmöglichen Glücks für die größtmögliche Zahl“ gefolgt war und so eher dem Durchschnittlichen als dem Besonderen zuneigte.

Die Verlagerung der Wohnbautätigkeit zu den gemeinnützigen Bauträgern erlaubte es der Stadt auch, mehr Konkurrenz zwischen diesen herzustellen. Seit 1995 gibt es Bauträgerwettbewerbe, bei denen Genossenschaften gemeinsam mit Architekten Projekte einreichen. Da die Baukosten im geförderten Wohnbau gedeckelt sind, geht es in diesen Wettbewerben vor allem um Qualität. Unabhängige Jurys bewerten die Einreichungen nach den Kriterien Architektur, Ökonomie, Ökologie sowie soziale Nachhaltigkeit. Vorgeschaltet sind diesen Wettbewerben meist städtebauliche Ideenwettbewerbe, wobei die Teilnehmer an Letzteren oft als sogenannte „Fixstarter“ zu den nachfolgenden Projektwettbewerben eingeladen werden. Der Begriff ist irreführend: „Fixstarter“ dürfen nicht nur teilnehmen, sondern haben bereits den Auftrag zugesichert, ganz gleich, wie gut oder schlecht das Projekt ist, das sie in dieser Phase abliefern.

In den vergangenen Jahren wurden kaum mehr städtebauliche Ideenwettbewerbe, sondern sogenannte „kooperative“ oder „dialogorientierte“ Verfahren zur Schaffung von städtebaulichen Leitprojekten eingesetzt. Diese Verfahren behaupten, durch Dialog zwischen den Beteiligten Qualität zu fördern, führen aber oft zu Kompromissen und zu schwachen Lösungen, für die am Ende niemand verantwortlich sein will. Insgesamt hat sich das System des geförderten, genossenschaftlichen Wohnbaus in Wien in den vergangenen 25 Jahren aber kontinuierlich entwickelt und eine hohe Qualität erzielt. Dass diese Qualität Seiteneffekte hat, ist aber klar. Der geförderte Wohnbau ist heute eine Mittelstandsförderung: Die Obergrenze des Jahreseinkommens für eine Anspruchsberechtigung liegt für Einzelpersonen bei 46.450 Euro, bei einem Zweipersonenhaushalt bei 69.200. Mit diesen Einkommen kann man sich auch in guten Lagen den bei gemeinnützigen Bauträgern geforderten Eigenmittelanteil und Monatsmieten leisten, die spürbar über denen in den 220.000 Gemeindewohnungen liegen. Gleichzeitig steigt die Nachfrage am unteren Ende der Einkommensskala, nicht zuletzt, weil das Angebot an sehr günstigen Substandardwohnungen durch Sanierung zurückgeht. Die Antwort der Stadt war vorerst das „Smart Wohnen“-Modell, das günstigere Mieten durch Reduktion der Fläche pro Wohnung erreichen sollte. Es war daher eine Überraschung, als der damalige Bürgermeister Michael Häupl im Jahr 2015 den „Gemeindebau neu“ ankündigte. War damit eine Rückkehr zum Massenwohnbau der 1950er- bis 1970er-Jahre gemeint, der standardisierte Typengrundrisse übereinandergestapelt hatte?

Der erste fertiggestellte „Gemeindebau neu“ in der Fontanastraße, in alter Gemeindebautradition Barbara-Prammer-Hof genannt, weist in eine andere Richtung. Sein Entwurf ist Ergebnis eines zweistufigen Architekturwettbewerbs, in dem dieselben Kriterien galten wie im geförderten Wohnbau, also Architektur, Ökonomie, Ökologie und soziale Nachhaltigkeit, allerdings gebunden an Errichtungskosten von 1850 Euro pro Quadratmeter Wohnnutzfläche und unter Wegfall des Eigenmittelbeitrags, der im geförderten Wohnbau von den Nutzern verlangt wird. Das Resultat beweist, dass das möglich ist, aber zeigt auch, wo Abstriche gemacht werden müssen.

Die in einem dialogischen Verfahren ermittelte städtebauliche Vorgabe bestand darin, drei unterschiedlich hohe Baukörper auf einem Sockel zu platzieren. Der Entwurf aus dem Büro NMPB, verantwortet vom „B“ dieses Akronyms, Sascha Bradic, deutet diese Vorgabe um. Er stellt einen massiven Block auf seinen Bauplatz und nimmt dann wie ein Bildhauer Masse weg. Durch dieses umgekehrte Verfahren – Subtraktion statt Addition – entstehen drei unterschiedliche, schön proportionierte Innenhöfe und Terrassen, die gemeinsam das Herz der Anlage bilden. Die Wohnungen sind kompakt und gut nutzbar, verfügen über Balkon oder Loggia und bieten eine Vielfalt von Typen, fünf Maisonetten eingeschlossen. Das Haus hat eine repräsentative Eingangshalle mit tanzenden Säulen, die nicht nur den Kindern gefallen. Die Zugänge zu den Wohnungen sind großzügig, Lufträume verbinden die Geschoße und bringen Licht von oben. (Unter dem aktuellen Regime des Brandschutzes in Wien braucht es dafür einen besonderen Kampfgeist; an der Vorgabe, die Lufträume im Brandfall alle zwei Geschoße horizontal abzuschotten, hätten die meisten Planer resigniert.)

Und wo sind die Abstriche? Mehr als Stahlbeton, in Wärmedämmung verpackt, ist konstruktiv zu diesem Preis nicht zu haben; Sanitärbereiche und Küchen sind minimalistisch ausgestattet; die Balkone und Loggien entwässern über kleine Wasserspeier, die sich in der Fassade wichtigmachen, und die Details der Geländer sind mit „schlicht“ nur unzureichend beschrieben. Zumindest bei den Fenstern aus Holz und Aluminium wurde nicht gespart. Trotzdem: Für dieses Segment des geförderten Wohnbaus ist hier eine hervorragende Lösung entstanden, an der sich der „Gemeindebau neu“ zu messen haben wird.

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wettbewerb

Das Projekt ist aus dem Verfahren Fontanastrasse 1 - Baufeld 2 hervorgegangen

1. Rang, Gewinner
NMPB Architekten ZT GmbH