Bauwerk

Wohnbau Leyserstrasse
Froetscher Lichtenwagner - Wien (A) - 2022

Schöner Stiegen steigen in Penzing

In zwei Häusern in Wien-Penzing exerzieren die Architekten die hohe Kunst der schönen Treppe im sozialen Wohnbau, denn: Ein Stiegenhaus ist wichtig für die Orientierung und sollte ein räumliches Erlebnis bieten.

26. Januar 2023 - Isabella Marboe
Rein funktional betrachtet, sind Treppen dazu da, eine Höhendifferenz zu überwinden. Das birgt gestalterisches Potenzial. Kein Schloss ohne Prachtstiege, auf der des Kunsthistorischen Museums posieren Hochzeitspaare gern, auch die der Staatsoper eignet sich bestens zum Defilee. Jugendstil und Gründerzeit waren reich an opulenten Treppen, selbst die der Mietzinskasernen scheinen im Vergleich zur heutigen Norm großzügig. Optimierungswille und Kostendruck ließen den Typus der Stiege, die den Geschoßwechsel zelebriert, nach und nach verschwinden. Froetscher Lichtenwagner Architekten (FLA) haben ein Faible für schöne Stiegenhäuser und Jahrzehnte Erfahrung im sozialen Wohnbau. Dessen Quadratmeterpreise sind an Baukostenobergrenzen, die Wohnbauförderung an die Kriterien Ökonomie, soziale Nachhaltigkeit, Architektur und Ökologie gebunden. FLA wissen den Rahmenbedingungen möglichst viel Qualität abzutrotzen.

2016 gewann Architekt Georg Driendl den offenen, städtebaulichen Wettbewerb auf dem Areal der Körner-Kaserne in Wien Penzing. Es wird im Norden von der Spallartgasse, im Osten von der Kendlerstraße, im Süden von der Hütteldorfer- und im Westen von der Leyserstraße begrenzt. Der Park der Kaserne wuchs über Jahrzehnte hinter einer graffitibesprühten Ziegelmauer dschungelartig zu. Driendls Bebauungsplan formierte Baukörper von den Rändern her so geschickt zu hofartigen Strukturen, dass trotz hoher Dichte nur wenige alte Baumriesen fallen mussten. Es gibt viele Durchgänge, Anrainer spazieren gern im Park, auch Fuchs und Dachs wurden gesichtet.

FLA planten den Neubau mit dem L-förmigen Grundriss an der Leyserstraße 4 für die Wohnbauvereinigung für Privatangestellte (WBV-GPA). Um Bäume zu erhalten, ist der längere Bauteil zehn Meter vom Gehsteig abgerückt, im rechten Winkel dazu ragt ein kleinerer Bauteil in den Park. Die vorgegebene Trakttiefe von 20 Metern ist ein klarer Fall für Mittelgang, beidseitig Wohnungen, alle rollstuhlgerecht adaptierbar, umlaufend Balkon-/Loggienzone. Von 108 Einheiten sind 36 besonders geförderte Smart-Wohnungen zu Mietkosten von 7,50 Euro pro Quadratmeter. Ihre Grundrisse sind hocheffizient. „Das lässt so gut wie keinen Gestaltungsspielraum“, sagt Lichtenwagner. Bleibt die Erschließung. Auch ein Haus kann einen guten ersten Eindruck machen.

Geschoßwechsel spürbar machen

Die Stiege in der Dunkelzone am Eck ist der einzige Fluchtweg und muss daher als Sicherheitsstiege mit Druckbelüftung ausgeführt sein. Eine große Herausforderung für eine natürlich belichtete Stiege mit einer attraktiven Wegführung, die den Geschoßwechsel spürbar macht. „Wir beteten mantraartig herunter, dass ein schönes Stiegenhaus für die Orientierung wichtig ist und ein räumliches Erlebnis bieten muss“, sagt Lichtenwagner. Die WBV-GPA war bereit, die Mehrkosten dafür zu tragen.

Der Haupteingang ist etwas eingerückt an der Leyserstraße, dunkelbraune Klinkerriemchen an den Seitenwänden ziehen nach innen, links die Postkästen, dahinter weitet eine rückspringende Wand den Raum vor den Liften mit der Bank, zum Sitzen, für Einkäufe und Post. Sie lenkt den Blick auf den Treppenantritt, der die Stiege aus ihrem finsteren Eck ins durchgesteckte Foyer vorzieht und durch den Hintereingang Licht erhält. Am Boden, robust, preiswert: Feinsteinzeug. Hier ist aus den Fliesen – anthrazit, hellbeige, diagonal geschnitten – eine Art Tangram gelegt. Wie ein Teppich zwischen Treppe, Lift und Bank. Drei Wohnungen sind für Sehbehinderte und Blinde, auch ihre Leitlinien führen über den Teppich. Sie sind auf den Lift angewiesen, alle anderen sollten die Stiege nehmen.

Sie steigt sich fast von selbst, jedes Eck ist gerundet, das setzt Handlauf und Schritt in eine fließende Bewegung, der Antritt lenkt um 90 Grad in Gehrichtung. Um ein rechteckiges Stiegenauge – groß genug, damit Licht und Blick bis nach unten dringen – windet sich die Treppe abwärts, einläufig führt sie einen Stock höher auf ein frei ausschwingendes, halbkreisförmiges Podest, leichtfüßig folgt man der Drehung, anstrengungslos eben führt ein Steg aufs Liftpodest, in das alle Mittelgänge einmünden. Von Geschoß zu Geschoß schraubt sich diese Stiege durch einen haushohen Luftraum, der nach oben hin immer heller wird. Im sechsten Stock führt ein Steg auf die Dachterrasse am niederen Bauteil. Ab hier zelebriert eine drei Geschoß hohe Glaswand die neue Freiheit, bunte Scheiben zerlegen das Licht in seine Spektralfarben: je nach Tageszeit anders, je mehr Sonne, umso bunter.

Verwerten von jedem Quadratmeter

Die meisten Stiegen werden als Fertigteile zwischen dem oberen und unteren Podest eingehängt. Beim frei in den Luftraum ragenden Halbkreis funktionierte das nicht. Kragplatten und Treppenlauf mussten betoniert, Letzterer in die Wand eingespannt, die darauf aufliegende Fertigsteilstiege schalltechnisch entkoppelt werden. Das erforderte zwischen beidem eine Trittschalldämmung, die Treppenwangen aus weiß lackiertem Stahl gehen mit der Rundung.

Der zweite Wohnbau liegt etwas höher am Eck Leyserstraße/Spallartgasse, auch sein Grundriss ist L-förmig. Er hat 71 Wohnungen und wurde von der gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft Eisenhof umgesetzt. „Das Stiegenhaus liegt an der Innenecke des Hauses; ein Raum, der de facto nicht als Wohnung genutzt werden kann“, sagt Willi Froetscher. „Das Verwerten von jedem Quadratmeter ist ein gefährlicher Sport, der viele Qualitäten vernichtet.“ Dieser Fall ist besonders: Im Erdgeschoß gibt es einen Supermarkt, der fast den ganzen Längstrakt an der Leyserstraße einnimmt, die Zulieferung erfolgt ums Eck von der Spallartgasse aus. Sie muss an das Geschäftslokal angebunden sein, die Verbindung verläuft rückseitig, Foyer und Stiege können also in den zwei Geschoßen, die der Supermarkt und seine Büros einnehmen, nicht durchgesteckt sein. Der Weg vom Eingang zur Stiege ist zwangsläufig lang und verzogen.

FLA glückte ein einladendes Entrée. Zur linken die Postfächer, Gold eloxiert, zur rechten mündet eine Holzbank in die schräge Wand mit dem Fenster zum Park, der Übergang zur Stiege ist fließend. Drei Stufen sind es auf das Zwischenpodest, von dem eine einläufige Treppe diagonal quer über den Luftraum zum Beginn der regulären Stiege führt. Die Bauarbeiter tauften sie „Harry-Potter-Stiege“. Die Situation ist so großzügig, dass sie sich vor Ort sehr belebt zeigt. Die Stiege wird genutzt. Sie variiert die Kombination aus gerader, einläufiger Treppe mit freischwingendem, halbkreisförmigem Podest und Plattform zum Lift durch einen haushohen Luftraum. Ein Einschnitt in den Baukörper bringt mehr Tageslicht; Handlauf und runde Ecken ziehen leichtfüßig nach oben. Die Dachterrasse belohnt mit Blick auf Schönbrunn und Gloriette.

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