Bauwerk

Tiroler Fachberufsschule für Fotografie, Optik und Hörakustik
Peter Mayrhofer, Volker Flamm, Gilbert Sommer - Hall in Tirol (A) - 2023
Tiroler Fachberufsschule für Fotografie, Optik und Hörakustik, Foto: Günter Richard Wett
Tiroler Fachberufsschule für Fotografie, Optik und Hörakustik, Foto: Günter Richard Wett

Suffizienz: ökonomischer Umgang mit Raum und Budget
Bei der Entwicklung des Entwurfs wurde auf einen höchst ökonomischen Umgang mit Flächen und Kubaturen und u.a. auf eine sehr kompakte Erschließung geachtet. Nicht zuletzt deshalb konnten die ökologischen Ziele innerhalb eines üblichen Projektbudgets umgesetzt werden.

Offenheit des Bauherrn für neue und experimentelle Lösungen
Mit dem hier beschriebenen Gebäudekonzept wurden aktuelle Standards in Frage gestellt, und neue Lösungen für klimaschonendes Bauen gesucht – maßgeschneidert für den konkreten Ort, detailliert abgestimmt auf die Nutzung und bezogen auf das lokale Klima sowie die gegenwärtige und zukünftige lokale Energieversorgung. Dies setzte die Bereitschaft des Bauherrn Land Tirol, Abteilung Hochbau voraus, dem Planungsteam entsprechend Verantwortung anzuvertrauen und auch mehr Risiko sowie einen erhöhten Abstimmungsaufwand für Planung und Inbetriebnahme mit zu tragen. Ebenso sind auch die Nutzer:innen gefordert, sich mit der speziellen Funktionsweise vertraut zu machen und das Gebäude entsprechend bewusst und verantwortungsvoll zu benutzen - mit einer sehr positiven Auswirkung: die vertiefte Auseinandersetzung der Beteiligten mit dem Projekt bewirkt auch eine stärkere Identifikation mit den gesetzten Zielen.

Innovation: maßgeschneiderte Konzepte für Heizung, natürliche Belüftung und Belichtung sowie für sommerliche Nachtauskühlung
Schon an der neuen Straßenfassade der Erweiterungszeile und damit am neuen öffentlichen Gesicht der Schule lässt sich ablesen, dass Fragen der Energie und Belichtung intensiv bearbeitet wurden. Alle neuen Räume werden mit großen Fensterbändern nach Süden belichtet. Vor den Glasflächen sorgt ein feststehender baulicher Sonnenschutz aus schlanken Hochleistungsbetonlamellen dafür, dass die Sommersonne draußen bleibt. Die hellen Betonoberflächen reflektieren das Tageslicht tief in die Räume hinein. In den Unterrichtsräumen ist die vorab simulierte und optimierte Tageslichtverteilung deutlich wahrnehmbar. Ein innenliegender Sonnen- und Blendschutz mit zonierter Lichtumlenkung sorgt für blendfreie Lichtverteilung.

Der Neubau wurde mit einem neuartigen integralen, d.h. von der räumlichen Struktur selbst gebildeten Lüftungs- und Heizungskonzept entwickelt. Alle neuen Unterrichtsräume werden mit einer eigens entwickelten hybriden Lüftung während des Unterrichts permanent mit frischer, sauerstoffreicher Atemluft versorgt. Sobald Nutzer:innen einen der neuen Klassenräume und Labors betreten, setzt eine natürlich angetriebene Frischluftströmung ein, die in Kombination mit Fensterlüftung in den Unterrichtspausen für dauerhaft hohe Luftqualität und Lufthygiene sorgt – selbst bei voll belegten Klassenräumen. Frischluft strömt unterhalb der Fensterbänder in die Räume, und wird gangseitig über schallgedämmte Überströmungen in den Vertikalraum des Stiegenhauses und dann über Dach zurück ins Freie geführt. Die meiste Zeit des Jahres funktioniert diese Lüftung allein durch Kaminwirkung und natürlichen Auftrieb, ohne mechanische Unterstützung und damit ohne Energieverbrauch.

Das Konzept wurde mittels energetischer Simulationen in der Planungsphase entwickelt und optimiert. Teilbereiche (Fassadenlüfter – Luftführung zum Heizkörper – Einströmung in die Räume) wurden als Mockups in Originalgröße errichtet und in Strömungsversuchen bei kalter Witterung auf ihre Funktion getestet.

Es wurde vorab nachgewiesen, dass diese Lüftung ohne Wärmerückgewinnung im Gesamten weniger CO2-Emissionen als eine kanalgeführte Lüftungsanlage mit WRG verursacht. Die energetischen und gebäudetechnischen Konzepte sind im beiliegenden Projektbericht detailliert beschrieben und mit Fotos und Grafiken belegt.

Ertüchtigung des Bestandes: automatisierte sommerliche Nachtauskühlung
Das bestehende Atrium wies vor dem Umbau sommerliche Raumtemperaturen von über 40° C auf und beeinträchtigte damit auch die angrenzenden Räume. Die bestehende Verglasung musste ohnehin erneuert werden, da die Gläser defekt waren. Eine neue Dachverglasung mit einem Mikrospiegelraster als feststehendem Sonnenschutz reduziert seither deutlich den Wärmeeintrag bei gleichbleibend hoher Tageslichtqualität. Angesteuerte wettergeschützte Lüftungsflügel im EG und in den oberen Geschossen sorgen für eine natürlich angetriebene Durchströmung mit kühler Nachtluft in Sommernächten. Dies verhindert nicht nur die Überwärmung des Atriums – auch die gesamte Bestandsstruktur wird mit temperiert, indem die thermischen Massen der Betondecken sich nachts entwärmen können.

Reduktion von CO2-Emissionen anstelle minimierten Energieverbrauchs als entscheidende Zielgröße
Die Heizung des Neubaus ist an die lokale Fernwärmeversorgung der Stadt Hall angeschlossen und weist somit sehr günstige Emissionswerte auf. Auf den Flachdächern des Neubaus sowie eines aufgestockten Bestandsbauteils wurde eine große Photovoltaikanlage errichtet. Diese PV-Anlage versorgt nicht nur die Schule mit elektrischer Energie, sondern erreicht eine positive Jahresgesamtbilanz (Plusenergie-Bilanz): innerhalb weniger Betriebsjahre wird dieser Schulbau so viel Energieüberschuss produzieren, dass er die gesamten Klimaemissionen nicht nur aus dem laufenden Betrieb, sondern auch aus seiner Errichtung kompensieren wird. Ab diesem Zeitpunkt wird er CO2-bindend wirken, d.h. anstelle von klimaschädlichen Emissionen wird der Neubau eine klimapositive Gesamtbilanz aufweisen. Dies wird über ein Monitoring anhand der tatsächlich gemessenen Energieverbräuche und -erträge im laufenden Betrieb nachgewiesen und mit der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen zertifiziert.
Emissionsbilanz lt. energetischen Gebäudesimulationen und PV Ertragsberechnung Transsolar:
4.935 kg CO2 equ. Jahresenergieverbrauch - 14.400 kg CO2 equ. PV-Kompensation = -9.465 kg CO2 equ. -> deutlich negative CO2-Jahresbilanz -> es werden ca. 10 Tonnen CO2 je Betriebsjahr substituiert!

Umfassende Betrachtung der Grauen Energie: emissionsoptimierte Konstruktion
Der Neubau wurde schon im Wettbewerbsentwurf als Holzmassivbau konzipiert. Nur die unbedingt notwendigen erdberührten Bauteile (Bodenplatte) und der aussteifende Liftkern wurden in Stahlbeton ausgeführt. Brandschutztechnische Trennbauteile, insbesondere in den Anschlussbereichen zum Bestand, wurden in Trockenbauweise hergestellt. Die Dämmung der Außenhülle besteht aus recyclierter Zellulose oder nachwachsenden Rohstoffen (Holzfaser), ausgenommen die wenigen Bereiche wo eine nichtbrennbare Dämmung erforderlich ist. Die konsequente Beachtung der Ökobilanzen der eingesetzten Baustoffe und der Einsatz nachwachsender Rohstoffe sorgt in Summe für einen minimierten CO2-Fußabdruck der Konstruktion (GWP-total: -50,0 kg CO2 equ./ m² BGF, d.h. -53.850 kg CO2 equ. für die Gebäudehülle für die Phasen A1 – A3) und in der Folge für ein deutlich rascheres Erreichen des übergeordneten Ziels: die klimapositive Gesamtbilanz.

Begrünter Außenraum, begrünte Dächer
Zwischen Bestand und Neubau entsteht ein neuer Dachgarten als allgemein nutzbarer Freibereich für die Schüler:innen. Aus einem kleinen Innenhof heraus bewachsen Glyzinien ein robustes Rankgerüst, das sich über den Dachgarten ausbreitet und diesen ähnlich einer Baumkrone atmosphärisch und thermisch prägen wird.
Alle neu errichteten Dächer erfahren eine Doppelnutzung als Grün- und Regenwasserrückhalteflächen mit PV Anlagen.

Begleitung der Inbetriebnahme und Monitoring des ersten Betriebsjahres
Gerade ein optimiertes Gebäudekonzept kann nur erfolgreich funktionieren, wenn es sorgfältig in Betrieb genommen wird. In diesem Projekt wird die Inbetriebnahme intensiv begleitet. Das innovative Lüftungskonzept machte einen pneumatischen Abgleich aller Räume mit Messung der Frischluftmengen usw. notwendig. Die Nutzer:innen des Hauses wurden in Einschulungsterminen mit der Funktionsweise und auch den Zielsetzungen des Projektes vertraut gemacht – und gerade die Zielsetzung Klimaschutz hat eine starke Identifikation vieler Nutzer:innen mit dem Gebäude ausgelöst. Ein Monitoring sowohl der Komfortparameter Raumtemperatur und Luftqualität, als auch der Energieverbräuche und -erträge ermöglicht einen permanenten Vergleich der realen Werte mit den vorherigen Simulationen. Bereits mehrfach konnten Abweichungen festgestellt und ihre Ursachen gefunden und beseitigt werden. Das Monitoring stellt somit sicher, dass gesetzte ökonomische und ökologische Ziele auch tatsächlich erreicht werden.
Low Tech – wartungsarme technische Systeme ohne aufwendige Anlagenbauteile
Die Lüftungssysteme des Schulgebäudes kommen ohne Luftkanäle, ohne Filter und abgesehen von zwei sehr einfachen und günstigen Axialventilatoren auf dem Dach ohne bewegliche Teile aus. Die Heizung setzt sich aus sehr gängigen und einfachen Komponenten zusammen. Einmal in der Gebäudeleittechnik passend abgebildet und eingeregelt, stellt die gesamte Technik ein sehr nutzerfreundliches und wartungsarmes System mit wenigen beweglichen oder verschleißenden Teilen dar. Sollten einmal einzelne Teile defekt sein, lassen diese sich einfach und günstig austauschen. Einer der entscheidenden Vorteile von Low Tech!

Nachhaltig
ist ein Gebäude vor allem dann, wenn es von seinen Nutzer:innen und von der Gesellschaft über Jahrzehnte wertgeschätzt, gerne genutzt und gepflegt wird. Es kommt daher gleichermaßen auf ein energetisch sinnvolles Konzept wie auf qualitätvolle architektonische Gestaltung an, nur beides gemeinsam kann nachhaltig sein. Diese Schule erreicht auf neuen Wegen sehr hohe energetische Ziele – eine klimapositive Gesamtbilanz – und gleichzeitig bietet sie ihren Schüler:innen und Lehrer:innen langfristig eine angenehme Lern- und Arbeitsatmosphäre. Sie wurde als Pilotprojekt umgesetzt, ist jedoch als massenmarkttaugliche Lösung innerhalb eines Standardbudgets realisierbar und skalierbar – und damit ein mögliches Role Model für nachhaltige Bildungsbauten.

Energiesysteme: Fernwärme, Lüftungsanlage ohne Wärmerückgewinnung

Materialwahl: Holzbau, Vermeidung von PVC für Fenster, Türen, Vermeidung von PVC im Innenausbau, Überwiegende Verwendung von Dämmstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen

Ansprechpartner:in für die Projektdaten: nextroomoffice[at]nextroom.at