Bauwerk

Übernachtungsschutz Lotte-Branz-Strasse
Hild und K - München (D) - 2024

Gute Nacht, Iana!

Hinter der roten Fassade im Norden Münchens verbirgt sich ein temporäres Obdach für obdachlose Menschen. Vorgestern, Donnerstag, wurde das Projekt von Hild und K beim BDA-Preis Bayern gewürdigt.

1. März 2025 - Wojciech Czaja
Iana ist 39 Jahre alt, stammt aus Gorj, Rumänien, und lebt seit einigen Jahren in München. Nach ihrer Scheidung wurden ihr die Papiere gestohlen, kurz danach hat sie ihren Job und schließlich auch die Wohnung verloren. Seitdem ist sie obdachlos. Sie ist eine von 13.000 Wohnungs- und Obdachlosen in München und einer der insgesamt 340 offiziell registrierten Härtefälle, die aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft und ihres rechtlichen Status in keinem sozialen Hilfssystem integriert sind. Wenn es kalt ist, fährt sie am Abend mit der U2 bis zum Frankfurter Ring und steigt dann, wie viele andere auch, in den Bus 178 um. Von dort sind es dann noch fünf Stopps, bis sie, wie sie sagt, für eine Nacht zu Hause ist.

„Früher haben wir Obdachlosen nicht weit von hier in einer ehemaligen Kaserne übernachtet“, erzählt Iana. „Was soll ich sagen? Es war eine Kaserne. Nun ist mein Leben, um ehrlich zu sein, auch nicht wirklich schöner, auch nicht wirklich leichter, ich bin immer noch obdachlos, und ich weiß noch immer nicht, wie es jobmäßig weitergehen soll. Aber für einen kurzen Moment, wenn ich am Abend hierherkomme, habe ich das Gefühl, ein bisschen Schönheit und Freundlichkeit zu erleben. Ich mag das rote Holz, die lustige Fassade, man fühlt sich irgendwie ein bisschen besser willkommen.“

Der sogenannte Übernachtungsschutz in der Lotte-Branz-Straße im Norden Münchens, ein Ersatzneubau für besagte Kaserne, die im Zuge der Stadterweiterung abgerissen wurde, um Platz zu machen für neuen Wohnbau, umfasst ein medizinisches Zentrum sowie 730 Betten für obdachlose Menschen – für Männer, Frauen und Familien, die auf der Flucht sind vor Wind und Wetter, aber auch für akute Notfälle in familiären Gewaltsituationen, bei Wohnungsbränden sowie für all jene, die kurzfristig in keinem anderen sozialen Auffangsystem ein Obdach finden konnten. Vorgestern, Donnerstag, wurde das Haus vom Bund Deutscher Architektinnen und Architekten beim BDA Preis Bayern 2025 mit einer Anerkennung gewürdigt.
Eine Heimat auf Zeit

„Und das freut uns sehr“, sagt Architekt Matthias Haber, Partner im zuständigen Architekturbüro Hild und K, „denn die Unterbringung einer so großen Zahl an Menschen in einer so schwierigen Lebenssituation und noch dazu in einer so unwirtlichen Gegend wie hier, mitten im Gewerbegebiet, umgeben von Lagerhallen und Logistikern, ist keine leichte Aufgabe. Dieses Projekt ist nicht nur eine Hilfe in äußersten Notlagen, sondern auch eine Heimat auf Zeit. Und nichts würde ich lieber, als das Haus für seine Nutzerinnen und Nutzer eines Tages in Wohnungen umzubauen.“

Auffälligstes Mittel ist die terracottafarbene Holzfassade mit ihren schlanken, vertikal verlegten Latten aus Weißtanne sowie die verspielte, rokokohafte Bordüre aus insgesamt 720 Opferbrettern, die sich ganz oben wie Omamas Häkeldeckchen um das Haus legt. Ab und zu schummelt sich ein rundes Bullauge dazwischen. Kenner der Architekturgeschichte werden darin leicht ein Zitat auf das 1927 errichtete Ledigenheim im Münchner Westend erkennen, das Architekt Theodor Fischer als Antwort auf die damals schon dramatische Wohnungsnot geplant hat. Während Fischers Ledigenheim bis heute ein Auffangbecken für all jene ist, die für eine reguläre Miete in München nicht genug verdienen, landen hier, im roten Haus in der Lotte-Branz-Straße, all die anderen, die durch alle sozialen und kommunalen Netze gefallen sind.

Bei aller Liebe zu diesem wunderschönen Haus, zu der kleinmaßstäblichen Sympathie, zu den freundlichen Farben im Inneren, zum Leitsystem von Herburg Weiland mit seinen gelben, fast schon knuffigen Waffen- und Drogenverbotslogos macht sich hier auch ein Loch für die größte Kritik an diesem Projekt auf: In keiner anderen deutschen Stadt sind die Wohnkosten so hoch wie hier, jeder fünfte Münchner muss mittlerweile mehr als 45 Prozent seines Einkommens für die Kaltmiete aufwenden. Die Tatsache, dass die Stadt München selbst keine ausreichend großen innerstädtischen Flächenreserven mehr besitzt und mit dieser Einrichtung an den Stadtrand ausweichen musste, macht das strukturelle Problem nur noch sichtbarer.

„Das Übernachtungsangebot wird, wie man sich vorstellen kann, sehr gut angenommen“, sagt Markus Blaszczyk, Bereichsleiter beim Evangelischen Hilfswerk München. „Im Schnitt haben wir rund 450 Nächtigungen pro Tag, und natürlich mussten wir das Haus in weiser Voraussicht auf die Zukunft leider etwas überdimensionieren.“ Die Anerkennung beim BDA-Preis Bayern darf – jenseits der Grenze wie auch diesseits – als nicht nur architektonische, sondern vor allem auch sozialpolitische Denkanregung verstanden werden.

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