Bauwerk

Museum Rietberg - Zubau
Adolf Krischanitz, Alfred Grazioli - Zürich (CH) - 2006
Museum Rietberg - Zubau, Foto: Margherita Spiluttini

Eine Frage der Wertschätzung

Die Schlüsselübergabe des von Adolf Krischanitz und Alfred Grazioli geplanten Museum Rietberg in Zürich war lediglich ein Formalakt - allerdings einer der kulturpolitischen Spitzenklasse, der allem Hohn spricht, was hier zu Lande in Sachen Bau, Kunst und Politik abgeht.

16. Dezember 2006 - Ute Woltron
Schauplatz Zürich: Am Nachmittag des vergangenen Donnerstags versammelten sich 300 Menschen unter waschseideblauem Herbsthimmel vor der Villa Wesendonck in Zürich-Enge. Das Mitte des 19. Jahrhunderts ohne Rücksicht auf etwaige (und nie eingetretene) finanzielle Verluste gebaute Haus für den Industriellen Otto Wesendock und seine Frau Mathilde liegt anmutig hoch über der Stadt. Allein der Blick auf den Zürichsee ist - und zwar genau im Sinne des Wortes - unbezahlbar, die alten Baumriesen des wohlgepflegten Parks stehen wie alles hier unter strengem Denkmalschutz.

Die Menschen waren deutlich freudig erregt. Grüazis flogen hin und her, im Festzelt an der Flanke des Hauses wurde Wein eingekühlt und weiße Tischwäsche ausgebreitet, es erschien ein aufgeregt rotbackiger Zeremonienmeister und verkündete, dass es nun gleich ernst würde: Die neuen Museumsräumlichkeiten könnten unter der Führung der Architekten erstmals besichtigt werden, und das sei ein feierlicher, ein wunderbarer Moment.

Als der österreichische Architekt Adolf Krischanitz und sein Schweizer Projektpartner Alfred Grazioli vor drei Jahren den Wettbewerb zur Erweiterung des seit 1952 in der Villa untergebrachten Museum Rietberg gewannen, dachten alle mit dem traditionellen Denken der österreichischen Baukulturatmosphäre Geschlagenen, es würde sowieso mindestens ein Dutzend Jahre verstreichen, bis man das Projekt realisiert werde besichtigen können. Wenn es überhaupt je gebaut würde! Doch Schau- und Bauplatz ist eben die Schweiz, und dass die Uhren hier anders ticken, hat Tradition.

Aber wie anders, nämlich mit Freude, Genuss und Wertschätzung der Umgang mit Architektur, mit Planern, mit Kulturpolitik - und natürlich auch mit Geld gepflegt werden kann, ist atemberaubend. Denn das uns hier zu Lande umgebende politische Hickhack umwabert unser aller Denken mittlerweile in einer derart niveaulosen Dichte, dass jeder Blick in klarere Gefilde die Erbärmlichkeit der derzeitigen österreichischen Entscheidungträgerschaft auf allen Ebenen schlagartig und äußerst schmerzhaft vor Augen führt. Und die Baukultur ist einer der unbestechlichen Maßstäbe jeder Nation, sie gibt dreidimensional Auskunft darüber, wie die Aktien des Landes stehen.

Kathrin Martelli, die das Hochbaudepartement der größten Stadt der Schweiz leitet, erklomm das Podium. Sie verlieh ihrer sichtbaren Freude Ausdruck, dieses Projekt vollendet zu sehen: Es sei von den Parteien einstimmig befürwortet worden, von Stadt, Kanton und Investoren finanziert, von vorzüglichen Architekten geplant und umgesetzt und von einem engagierten Museumsdirektor getragen. Doch damit sei es noch lange nicht getan, noch andere Projekte seien notwendig, um den Wirtschafts- und Kulturstandort Zürich zu sichern und aufzuwerten. Man wolle sie alle ehebaldig in Angriff nehmen. „Doch wenn ich jetzt die gesamte Liste aufzuzählen beginne“, scherzte die energische Dame, „ist der Wein verdunstet, den wir ja eigentlich gleich trinken wollen.“

Sodann ergriff mit Elmar Ledergerber der vitale Stadtpräsident Zürichs wohlgelaunt das Wort. Er bedankte sich ebenfalls nicht zuletzt nachdrücklich bei den Architekten und vergaß auch nicht zu betonen, dass alle Investitionen in wichtige Kulturbauten selbstverständlich nicht zuletzt im Dienste der Rendite stünden. Denn jedes eingesetzte Fränkli würde - das sei erwiesen - dreifach wieder zurückrollen: „Die Gäste kommen ja nicht nur hierher, um sich das Museum anzuschauen und reisen aus Zürich gleich wieder ab.“ Und er sei gerne dazu bereit, die mit Beweisen und Statistiken gespickten Berechnungen auch der Regierung in schriftlicher Form quasi aufmunternd zu unterbreiten. Die 300 geladenen Gäste wandten der alten Villa nunmehr den Rücken zu und betrachteten das gegenüber gelegene schlanke und vollständig aus Glas konstruierte Solitärgebäude - die neue Schwelle zum Eingang in die vollständig unter der Erde untergebrachten Erweiterungshallen.

Krischanitz und Grazioli haben mit diesem Museum eine feine Spange zwischen Zeiten und Kulturen gespannt. Das Museum Rietberg beherbergt eine der wichtigsten Asiatica-Sammlungen der Welt, und dass den kostbaren Buddhas und Elefantengöttern vergangener Epochen das Tageslicht abträglich ist, geriet hier zum Vorteil. Auf zwei Ebenen gräbt sich das Museum nun in den Berg und unterhöhlt unsichtbar bis in eine Tiefe von fast 15 Metern die alte Villa und das vorgelagerte Gelände.

Der neue Eingang führt durch den Glassolitär, der, dem Museumsgegenstand entsprechend, kultisch-mysteriös als Schwelle in metaphysische Dimensionen ausgeformt wurde. Ein irisierendes, weil mehrschichtiges und sich dadurch bei Bewegung fast verflüssigendes Muster aus grünen, in das Glas eingebrannten Dreiecken leitet sich von der Kristallstruktur des Smaragds ab und schafft die entsprechende Atmosphäre. Im dahinter gelegenen Foyer stäubt durch eine Decke aus zweieinhalb Zentimeter dicken Onyx-Steinplatten cremefarbenes Licht in den Raum, die hintere Wand wurde vom Künstler Helmut Federle zu einem altarartigen Monument aus Beton geformt.

Zwei Stiegenhäuser erschließen die beiden ausgedehnten Ausstellungsebenen unter der Erde: Eines führt hier im Foyer hinab in die Unterwelt, das zweite leitet die Besucher auf der gegenüber gelegenen Seite hinauf direkt in die traditionellen Ausstellungsräume der Villa. Beide sind in unendlich sorgfältiger Tischlerarbeit wie große Möbelstücke - oder Instrumente - in Eichenholz ausgeführt. Jeder Schritt in diesen Resonanzkörpern ist wohltönend wie die gemessenen Tritte japanischer Priester in uralten Tempeln. Die Treppenwände sind luftige Holzgitter, durch feine, versenkte Messinggitter fließt honigfarbenes Licht auf die Stufen.

Die Ausstellungsebenen sind nach einem Eins-zu-drei-Raster gegliedert. Um je eine große zentrale Halle pro Geschoß gruppieren sich Themenräume für die jeweils gezeigten Exponate. Sanftes Licht spielt auch hier eine wesentliche Rolle: Zum einen dringt es durch eine zart gefältelte Decke aus weißen Polycarbonat-Elementen, die aussieht, als habe sich ein Riese mit der japanischen Kunst des Origami spielerisch die Zeit vertrieben. Zum anderen haucht das diffuse Hell der sensationellen Farbgebung der Wände Leben ein. Petrolgrün, Dunkelrot, Sandfarben, Anthrazit, Kobaltblau, jeder Raum ein dezenter Solitär. Die Farben wurden in aufwändigen Prozeduren und in drei Lasurschichten aufgetragen, was ihnen eine ganz eigenartige Körperhaftigkeit verleiht - und was die meist goldschimmernden Exponate, die erst in den kommenden Wochen hierher übersiedeln werden, mit Sicherheit grandios zur Geltung bringen wird. Apropos: Die Kostbarkeiten bekommen maßgefertigte gläserne Schreine. Deren Scharniere sind so winzig, dass man sie erst bemerkt, wenn man an der Nase hingeführt wird.

Auch die Ausstellungsräume der Villa Wesendonck wurden von den beiden Architekten einer Sanierung unterzogen und mit ebensolchen Farblasuren aufgefrischt. Dieser Part war zwar nicht im ursprünglichen Auftrag vorgesehen, doch Museumsdirektor Albert Lutz ist einer jener verschmitzten Schweizer, die den Wert guter Arbeit nicht nur anerkennen, sondern auch in Geld verwandeln können. Gerüchteweise tat sein Charme bei so mancher Mäzenatin Wunder, die im Herbst ihres Lebens ihre Asiatica-Sammlungen dem Museum vermacht hatte. Der Dank dafür sei groß, habe Lutz bedächtig gemeint, jedoch sei es eine Schande, dass das alte Museum zu klein, der Ausbau so teuer sei und dessentwegen den nunmehr übergebenen Prachtstücken ein würdiger Präsentationsrahmen versagt bleibe. Woraufhin nicht nur die Sammlungen, sondern zusätzlich auch noch Gelder für die Museumserweiterung gespendet wurden.

So stammen denn auch 16 der investierten 46 Millionen Franken von Privaten und Unternehmen, den Rest teilten sich Stadt (26 Mio.) und Kanton (vier Mio.). Mit den neuen 1300 Quadratmetern hat sich die Ausstellungsfläche mehr als verdoppelt. Man erhofft sich künftig bis zu 150.000 Besucher jährlich aus aller Welt, bereits in den vergangenen Jahren hatte sich die Zahl von 10.000 auf 90.000 erhöht. Am 18. Februar kommenden Jahres werden die neuen Säle des Museum Rietberg mit einer Schau früher buddhistischer Kunst Japans der Öffentlichkeit präsentiert.

Da Stadtpräsident Ledergerber nicht nur Reden schwang, sondern am Rande der Feierlichkeiten auch diplomatische Gesprächsrunden durch die Gästeschar drehte, wollte er unter anderem wissen, ob sich Architekt Adolf Krischanitz in Wien derselben hohen Wertschätzung erfreue wie in Zürich. Hier sei er hoch angesehen mit seiner „wienerischen“ Architektur, die doch anders sei als die der Schweizer Architekten, ein bisschen wärmer nämlich, und im Umgang mit den Materialien so gekonnt.

Die Wahrheit wäre undiplomatisch gewesen, deshalb lautete die Antwort schamüberhaucht: Ja. Allerdings mit dem Zusatz: Von der Vergabe-, Abwicklungs- und Bauherrenkultur, wie sie in der Schweiz eine vollkommene Selbstverständlichkeit darstellt, könnten österreichische Architekten im eigenen Land noch lange, lange träumen.

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