Bauwerk

Urania - Sanierung
Dimitris Manikas - Wien (A) - 2002
Urania - Sanierung, Foto: Heinz Dieter Stauss
Urania - Sanierung, Foto: Darren Penrose

Sanft radikal erneuert

Die Urania ist wieder da, frisch renoviert und umgebaut. Ein Überblick über die Geschichte des neubarocken Gebäudes an Donaukanal und Wienfluss. Aktuelle Architekturkritik inklusive.

6. August 2003 - Jan Tabor
Das Geheimnis der weißen Kugel ist gelöst. Es ist kein Logo und auch sonst kein Werbeträger. Auch kein raffiniert dreidimensional verschlüsseltes Freimaurersymbol, das der Umbauarchitekt heimlich auf das Dach hat aufbringen lassen, wie Johannes Voggenhuber en passant vermutete. Zufällig hatte ich ihn angetroffen, wie er kopfschüttelnd vor der runderneuerten Urania stand. Eine Weile grübelten wir gemeinsam über das Mysterium des aufgesetzten Gebildes und gingen dann ergebnislos von dannen, jeder an seine Statt. Ich beharrte auf der Meinung, es handle sich um ein Denkzeichen des Opus Dei.

Einig waren wir uns in der Einschätzung, dass die Renovierung der Urania überaus gelungen ist, vor allem der Umbau des Zubaues ist sehr überzeugend in der Art, wie er von dem neubarocken Bau von Fabiani nun abgesetzt wird, um den eindrucksvollen, turmartig schlanken und rundlichen Baukörper zu befreien und diesen wieder erleben zu lassen.

Einig waren wir uns außerdem darin, dass das Ding auf dem Dach plump und gemein gegenüber der Attika mit Balustraden ist, in der man nun, da die fehlenden Obelisken wieder aufgesetzt worden sind, wieder, so Voggenhuber, die Anspielung an vatikanische Gärten in Rom erkennen kann.

Früher war über der mit Relieffiguren geschmückten Schrifttafel mit der Huldigung an Kaiser Franz Joseph II. eine von Atlanten getragene Weltkugel angebracht. Die Weltkugel sowie die Obelisken und Steinblumenvasen, welche die Kanten des barock konkav und konvex geschwungenen Baukörpers oben auf der Attika effektvoll markierten, verschwanden während eines kunstgeschichtlich nicht registrierten republikanischen Bildersturms irgendwann zwischen 1920 und 1930. Vermutlich gleich 1920 im Zusammenhang mit der Umgestaltung des großen Theatersaales in ein Kino und der damit verbundenen Modernisierung des Erscheinungsbildes. Die Ersatzkugel ist ein Kunstwerk, das Resultat eines Kunst-am-Bau-Wettbewerbes, den der Bildhauer Stephan Fillitz gewonnen hat. Es stellt den Kosmos mit den drei Elementen Erde, Wasser und Luft dar.

Urania neu 2003. Jetzt hat sie ein Erscheinungsbild bekommen, das dem ursprünglichen annähernd entspricht. Neue Obelisken wurden angeschafft, aus Beton gegossen. Statt auf Elefanten (wie im Entwurf Fabianis zu sehen ist) stehen sie auf Wiener Stadtwappen, was schade ist, weil die Elefanten eine witzige Anspielung an Bernini waren. Und an den Umstand, wie sehr Fabiani bemüht war, auf seine Zuneigung für das römische Barock aufmerksam zu machen.

Obwohl er kein Wagnerschüler war, war Max Fabiani (1865-1962) wohl der beste Schüler Wagners. Er arbeitete in seinem Atelier an der Stadtbahn und saß, längst mit seinem Studium bei König fertig, in Wagners Vorlesungen und schrieb eifrig mit. Seine Mitschrift hatte epochale Bedeutung - sie diente als Basis für „Moderne Architektur“, Wagners folgenreiche Publikation.

Das Architekturrätsel Urania. Erstens ist es die aerodynamische Form, die sowohl der Lage an der Mündung des Donaukanals und des Wienflusses entspricht. Die Turmform rezipiert die Forderung nach einer architecture parlante - das Planetarium soll als solches erkennbar sein - und nimmt die Formen des expressionistischen Bauens vorweg: zum berühmten Einsteinturm in Potsdam von Erich Mendelsohn (1917/21) ist es nur ein Steinwurf weit. Aber, und das sieht man kaum auf den ersten Blick: Fabiani gelang es, in den zylindrischen Baukörper eine Unmenge von verschiedenen Funktionen und der dafür benötigten Räume so hineinzustopfen, dass trotz der schwierigen Form keine unnützen Winkel entstanden sind. Zum berühmten Raumplan von Loos, in dem es um Verschachtelung von unterschiedlich großen Räumen geht, ist der Weg noch kürzer als zum Einsteinturm. Ineinander verschränkte und dann gleichsam homogen und unsichtbar verpackte Räume sind ein Thema, das erst in den Neunzigerjahren wieder aktuell werden sollte. Mit dem 1900 entworfenen und 1901 fertig gestellten Artariahaus am Kohlmarkt gelang Fabiani ein architektonischer Jahrhundertwurf - hier findet man einige Prinzipien des neuen Bauens vorweg verwirklicht, die auch von Adolf Loos aufgegriffen wurden.

1910 dann die Urania. Ein Schock für die kleine Gemeinschaft der ersten Wiener Modernisten. Und dennoch: ein außerordentlicher Bau, das erkannte sie an, trotz aller Polemik. Zur Verfügung stand ein äußerst knappes Grundstück auf einer Restparzelle dort, wo sich die Ringstraße mit dem Kai kreuzt und der Donaukanal sich so schön weitläufig biegt, sodass das merkwürdige Bauwerk weit und aus vielen Winkeln sichtbar wurde und auch von allen Seiten fast gleich aussieht. Eine urbanistische Großtat.

Eine Traumlage für ein Aussichtsrestaurant am Strom. Fabianis Entwurf sah ein Café vor, errichtet wurde es nicht. Erst Architekt Dimitris Manikas, der sich die Pläne Fabianis genau angeschaut hat, hat es nun verwirklicht. So grundrissmäßig fast auf Zentimeter genauso geformt wie von Fabiani vorgesehen.

Die bedauernswerte Urania. In ihrer nicht ganz hundertjährigen Existenz musste sie etwa so viele verschiedene ästhetische Umformungen und Renovierungen ertragen wie Österreich politische Regime. 1936 fügten die Architekten Otto Schottenberger und Adolf Kautzki dem prägnanten Bau einen niedrigen, ebenfalls elliptischen Vorbau zu, mit dem die Urania, die damals mehr als Kino denn als Bildungsstätte im Vordergrund des Publikumsinteresses stand, das fehlende Hauptfoyer mit Kassen bekam.

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus zu einem Bombenschutzraum umgebaut und außerdem schwer beschädigt. Nach einer provisorischen Assanierung am Ende der Vierzigerjahre folgte 1960/61 der gründliche Umbau und die radikale Modernisierung im Stil der Fünfzigerjahre durch Otto Niedermoser. Der Kassenvorbau wurde innen und außen verändert, die Räume des Hauptgebäudes völlig neu eingerichtet.

In der Aufbauzeit hatte der Josef-Hoffmann-Schüler und Bühnenbildprofessor an der Angewandten, Otto Niedermoser (1903-1976), den Ruf eines Fünfzigerjahre-Top-Baukünstlers (unter anderen renovierte er 1954 das Theater in der Josefstadt und 1962 das Theater an der Wien). Sein Umgang mit der einzigartigen architektonischen Substanz der Urania war aber durch Uneinsichtigkeit, um nicht zu sagen Rücksichtslosigkeit gegenüber Fabianis Genie, gekennzeichnet. Zum Beispiel wurden die ungewöhnlichen räumlichen Qualitäten des Inneren, die in den häufigen und oft überraschenden Ausblicken und Durchblicken auf beiden Seiten des verhältnismäßig schmalen Gebäudes bestanden - der elliptische Grundriss ist bloß 23,6 Meter breit und 53,7 Meter lang -, völlig weggebaut oder verstellt. Möglicherweise wirkte sich da noch die Erfahrung aus den Schutzräumen aus - der amerikanische Kulturphilosoph Lewis Mumford bezeichnete diese damalige Sehnsucht nach geschlossenen, nur künstlich beleuchteten Räumen als „Pyramidensyndrom“.

Mit der überaus ehrenvollen und schwierigen Aufgabe, eines der wichtigsten und schwierigsten und auch am schwersten lädierten Bauwerke des 20. Jahrhunderts in Wien zu modernisieren und aufzustocken, wurde Dimitris Manikas betraut. Nach dem gründlichen Studium der Baugeschichte dieses Bauwerkes hat er sich für eine sanfte und zugleich radikale Renovierung entschlossen. Sanft, was den Einsatz seiner eigenen architektonischen Ambitionen betraf, radikal, wenn es um die Befreiung der räumlichen Substanz von Max Fabiani ging. Wo es möglich war, hat er versucht, auch die Architektur von Niedermoser zu erhalten.

Die Durchblicke drinnen und nach außen wurden wieder eröffnet, die zugemauerten Fenster frei gemacht. Während der einstige Anbau von Niedermoser an der Stromseite der Urania wie eine Hinterhofbude wirkte und auch unbewusst die traditionelle und leicht belegbare Abneigung der Wiener gegenüber den Gewässern der Stadt und den Stadtteilen hinter dem Donaukanal ausdrückte, nützt Manikas mit der Cafeteria die Lage am Strom rest- und tadellos aus. Zelebriert die Lage, grüßt mit der neuen Architektur das vorbeifließende Wasser, den weiten Ausblick nach links und rechts und zum anderen Ufer des Donaukanals hin, zur Leopoldstadt.

Natürlich werden jetzt Menschen wie Voggenhuber oder ich kommen und sagen, dies und jenes sei falsch, der Terrazzoboden zum Beispiel, der so billig und banal wirkt. (Was mir gut gefällt.) Oder die scheußliche weiße Luzerne oben auf der Balustrade. Die schrecklichen Betonobelisken, die in den Himmel stechen wie Zahnstocher Gottes. Dennoch: glückliche Urania. Das hat Mimis - so der Szenenname von Dimitris Manikas - gut gemacht. Sehr, sehr gut.

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