Bauwerk

Mercedes-Benz-Museum
UNStudio - Stuttgart (D) - 2006
Mercedes-Benz-Museum, Foto: Hans Ege
Mercedes-Benz-Museum, Foto: Hans Ege

Ein Kult braucht seine Tempel

Ein Grundriss in Form eines Wankelmotorkolbens, handgeglätteter Stahlbeton, Geometrien, die nur noch der Computer fasst. Schöne neue Welt des Automobils: das Mercedes-Museum bei Stuttgart.

11. Juni 2006 - Christian Kühn
In den knapp über 100 Jahren seit seiner Erfindung hat sich das Au tomobil von einer rollenden Ma schine zum Gegenstand einer fast kultischen Verehrung entwickelt. Henry Ford hatte von seinem „Model T“, dem ersten am Fließband hergestellten Auto, noch gesagt, man könne es in jeder beliebigen Farbe haben, solange die Farbe schwarz sei. Ende der 1920er-Jahre übernahm ein neuer Berufsstand, der Industriedesigner, die Gestaltung in seine Hände. Automobile wurden bunter und verspielter, bekamen aerodynamische Heckflossen und mächtige Kühlergrills und hatten sich spätestens in den 1950er-Jahren zum schönen Gesicht des industriellen Kapitalismus entwickelt. Diese Rolle wurde mit der Ölkrise und dem steigenden Umweltbewusstsein nach 1974 etwas zwiespältig, und die Hersteller setzen seither alles daran, das Automobil als ein Objekt sui generis zu positionieren, eine Synthese aus maschineller Kraft, elektronischer Steuerung und avanciertem Design. Die Ansage der Futuristen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dass die rohe Kraft eines aufheulenden Rennwagens schöner sei als die Nike von Samothrake, wurde von den Automobildesignern in einem Ausmaß sublimiert, von dem Architekten nur träumen können. In der Kotflügelgestaltung eines neuen Sportwagens steckt mehr Entwurfsaufwand als in einem durchschnittlichen Einfamilienhaus.

In der Mythenbildung rund ums Automobil spielt Architektur neben der konventionellen Werbung eine eigene Rolle. Ein Kult braucht seine Tempel, und so dürfen wir heuer in Deutschland die Einweihung von gleich zwei einschlägigen Kultstätten erleben, der BMW-Welt in München nach Plänen von Coop Himmelb(l)au und dem Mercedes-Museum in Stuttgart von „UN studio“, dem Atelier von Ben van Berkel und Caroline Bos. Im Rennen um die Fertigstellung hatte Mercedes die Nase vorn: Seit 20. Mai ist das Museum in unmittelbarer Nähe des Stammwerks Untertürkheim eröffnet und darf im ersten Jahr mit rund einer Million Besuchern rechnen.

„UN studio“ haben ein vertikales Museum entworfen, das als kompakter Turm eine starke Signalwirkung aufweist. Das Museum basiert auf einigen, für sich genommen, einfachen Ideen, deren Überlagerung aber zu einem räumlich und technisch äußerst komplexen Bauwerk führt. Das Grundkonzept des Entwurfs besteht darin, zwei Straßen übereinander zu legen und diesen Doppelpack spiralförmig um ein zentrales Atrium nach oben zu führen. Eine der beiden Straßen ist seitlich nach außen geöffnet und daher hell und extravertiert, die andere ist nach außen geschlossen, aber zum Atrium hin geöffnet und daher dunkler und introvertiert. Auf der hellen Straße wird die Sammlung in einer thematischen Ordnung präsentiert, die dunklere Straße gliedert sich Mythenbereiche, die chronologisch organisiert sind. Zwischen den beiden Straßen, die als Rampen übereinander laufen, ohne sich je zu kreuzen, bieten seitlich angesetzte Treppen die Möglichkeit, vom Sammlungs- in den Mythenbereich und zurück zu wechseln.

So weit das Prinzip. „UN studio“ haben aber erkannt, dass eine durchgehende Rampe, wie man sie etwa im Guggenheim-Museum in New York von Frank Lloyd Wright findet, zwar eindrucksvoll ist, die Präsentation der Exponate aber eher eintönig macht. Daher haben sie die Idee der kontinuierlichen Rampen modifiziert und die Ausstellungsbereiche als großteils ebene Flächen angelegt, die nur seitlich von einer Rampe begleitet werden. Im Grundriss ergibt das die Figur eines dreiblättrigen Kleeblatts oder - hier vielleicht nahe liegender - eines Wankelmotorkolbens.

Überlagert man diese Figur mit der Idee, die Rampen zur Seite hin abwechselnd zu öffnen und zu schließen, ergeben sich Geometrien, die nur noch mit Hilfe der leistungsfähigsten Computer-Aided-Design-Systeme zu bewältigen sind. Für ein Automobilmuseum ist das durchaus passend, sind doch diese Systeme für den Automobilbau zur Beherrschung seiner gekurvten Geometrien entwickelt worden. Was wir bei einem Auto als plastische Form längst gewohnt sind, ist in der Architektur aber eine enorme Herausforderung an die Bautechnik und an die Vorstellungskraft. Eindrucksvoll sind vor allem die an der Fassade liegenden, zweigeschoßig verglasten Verbindungsräume zwischen der Sammlungs- und der Mythosrampe. Die mehrfach gekrümmten Oberflächen aus Stahlbeton mussten hier teilweise von Hand geglättet werden, um kontinuierliche Übergänge zu erhalten, und die schrägen Säulen sind in Stahlmäntel gegossen, die auf der Baustelle individuell auf den Millimeter genau justiert werden konnten. Es ist kein Zufall, dass sich unter den Credits für das Gebäude neben der Tragwerksplanung von Werner Sobek und der Ausstellungsgestaltung von HG Merz als gleichwertige Kategorie die Erstellung des parametrisierten Geometriemodells findet, für die Arnold Walz verantwortlich war. Solche parametrisierten Modelle definieren eine Geometrie nicht mit fest eingestellten Koordinaten, sondern ermöglichen über Parameter eine schrittweise Entwicklung auch derart komplexer Entwürfe.

Was erlebt der Besucher nun in diesem Museum? Zuerst einmal eine Enttäuschung. Das Atrium ist zwar hoch, aber wenig attraktiv, vor allem weil es in 40 Meter Höhe von einem Lüftungseinbau und weißen Sonnensegeln abgeschlossen wird, die den Blick versperren. Drei Lifte, die eher hilflos den Raumkapseln alter Science-Fiction-Filme nachempfunden scheinen, bringen die Besucher auf die oberste Etage. Aber dort beginnt die Seligkeit, zumindest für alle, die im Auto mehr sehen als ein Transportmittel: Die ältesten, die schönsten, die schnellsten Automobile, ein Mythos jagt den anderen, und dazwischen kann sich das Auge in den Kollektionsräumen ein wenig ernüchtern. Dass es hier ausschließlich um das Auto als Objekt geht und weder um das Prinzip Mobilität noch um das Gesamtsystem Verkehr, sollte nicht verwundern. Schließlich ist man nicht in der Zentrale von Greenpeace. Wer über eine verstaute Autobahn hierher angereist ist, wird sich sowieso fragen, ob das Automobil nicht überhaupt im Museum am besten aufgehoben wäre. Trotzdem: „UN studio“ und ihre Partner haben mit diesem Projekt die Grenzen des technisch und architektonisch Möglichen hinausgeschoben. Allein das lohnt einen Besuch.

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